Paradise Papers -
Die Schattenwelt des großen Geldes

Motor der Ungleichheit

Wer von Steuertricks profitiert? Konzerne und Superreiche. Wer verliert? Zum Beispiel Deutschland

Gastbeitrag von Gabriel Zucman - 06. November 2017

Seit den 1980er-Jahren hat sich weitgehend unbemerkt eine mächtige Industrie entwickelt. Auf den Kaimaninseln, in Luxemburg, Hongkong und anderen Steueroasen bieten Finanzunternehmen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Anwaltskanzleien reichen Privatpersonen und multinationalen Konzernen etliche Dienstleistungen an. Manche sind legal, doch die meisten gehen auf Kosten der Steuereinnahmen anderer Länder. Bezahlen müssen es dort vor allem die sozial Schwächeren.

Um zu verstehen, wie das funktioniert, muss man sich die Finanzbeziehungen zwischen Unternehmen und Steueroasen genauer ansehen. Die Informationen aus diesen Ländern sind zwar spärlich, doch bei gründlicher Analyse lassen sich wiederkehrende Muster erkennen.

Zu den vielen Merkwürdigkeiten von Steueroasen gehören zum Beispiel die verblüffend hohen Gewinne, die Unternehmen dort angeblich machen. Für jeden Euro, den ein Unternehmen in Form von Gehalt zahlt, macht es weltweit im Durchschnitt etwa 50 Cent Gewinn. So zumindest ist es in den USA, in Deutschland und Frankreich zu beobachten. Anders in Luxemburg: Zahlt ein Unternehmen dort einen Euro Gehalt, erwirtschaftet es im Durchschnitt einen Gewinn von 3,50 Euro. Sind also die Arbeiter des Großherzogtums um so viel produktiver als die in Bayern?

Natürlich nicht. Der Grund, weshalb die Unternehmen so profitabel erscheinen, ist, dass sie ihre Gewinne verschieben. Eigentlich sollen internationale Konzerne ihren Tochterfirmen die Erträge so zuordnen, als wären diese eigenständige Unternehmen, die Waren und Dienstleistungen zu marktüblichen Preisen handeln. Tatsächlich werden die Preise dafür jedoch von Offshore-Firmen regelmäßig verfälscht.

Das Ziel dabei ist, Gewinne in den Ländern zu versteuern, die die niedrigsten Sätze haben. Immer mehr Konzerne verschieben außerdem ihre Marken, Logos und Algorithmen in Steueroasen, um dort ihre weltweiten Einnahmen zu verbuchen. Den Ländern, in denen die Gewinne eigentlich erwirtschaftet werden, wird so das Geld entzogen. Ländern wie den USA oder Deutschland.

600 Milliarden verschieben Konzerne jedes Jahr in Steueroasen

Das vielleicht spektakulärste Beispiel dafür ist der Google-Mutterkonzern Alphabet. 2003, weniger als ein Jahr vor dem Börsengang, übertrug "Google USA" seine Suchmaschinen- und Werbetechnologie an "Google Holdings", eine in Irland eingetragene Tochter. Dank des irischen Steuerrechts kann das Unternehmen seine Gewinne mit einen Zwischenstopp auf den Bermudas versteuern. 15,5 Milliarden Dollar waren das bei Google im Jahr 2015, der Steuersatz für Unternehmen auf der Inselgruppe: null Prozent.

Google ist beileibe kein Einzelfall. Gemeinsam mit meinen Kollegen Thomas Tørsløv und Ludvig Wier habe ich Lesen Sie die Studie hier:Daten aus weltweiten SteueroasenLesen Sie die Studie hier: verknüpft, um den Schaden zu ermitteln, die anderen Staaten durch das Verschieben von Gewinnen entstehen. Kleine Länder wie die Bermudas liefern keine nennenswerten Statistiken, aber die Steueroasen der EU schon. Allein die sechs europäischen Länder Luxemburg, Irland, Niederlande, Belgien, Malta und Zypern schöpfen im Jahr 350 Milliarden Euro ab. Das Geld landet dort, nachdem Armeen von Wirtschaftsprüfern die Zahlungsströme manipuliert haben. Jahr für Jahr verschieben internationale Konzerne so mehr als 600 Milliarden Euro in Steueroasen.  

Wo es Gewinner gibt, gibt es immer auch Verlierer. Darunter sind vor allem die USA und die großen EU-Staaten. Dort leben die meisten Angestellten und Kunden der internationalen Konzerne. Steueroasen entziehen der EU umgerechnet ein Fünftel ihrer Unternehmensteuereinnahmen. Das entspricht einem Schaden von 60 Milliarden Euro im Jahr, 17 Milliarden Euro davon entgehen allein Deutschland.  

Jedes Land hat das Recht, sich seine Form der Besteuerung auszusuchen. Aber wenn die Niederlande maßgeschneiderte Steuerdeals für Konzerne anbieten, wenn die Britischen Jungferninseln es Geldwäschern ermöglichen, für einen Penny eine anonyme Firma zu gründen, wenn die Schweiz den Reichtum von korrupten Eliten unsichtbar in Koffern hält, dann stehlen diese Länder die Einnahmen anderer Staaten. Während der Rest von uns verliert, gewinnen die Steueroasen: Sie bekommen Geld für ihre Dienstleistungen, dazu - wenn auch geringe - Steuereinnahmen und manchmal auch großen Einfluss auf internationaler Bühne.

Nehmen wir Irland, den Bösewicht in dieser Geschichte: Vor dreißig Jahren lag der Steuersatz für Unternehmen dort bei 50 Prozent. Zu dieser Zeit nahm Irland gemessen am Bruttosozialprodukt weniger Unternehmensteuern ein als die USA oder die EU. Seit Irland seinen Steuersatz in den Neunzigern auf 12,5 Prozent gesenkt hat (in Wahrheit gelten für internationale Konzerne noch weit niedrigere Sätze, manchmal fast null Prozent), nimmt das Land mehr Geld ein als Länder mit besonders hohen Steuersätzen.

Dieses Geld entsteht also nicht durch ein gesundes Wachstum, sondern durch Profite, die ausländische Konzerne in Dublin oder Cork parken. Die Gewinne wurden von Menschen in anderen Ländern erarbeitet und existieren in Irland nur auf dem Papier. Die irische Regierung erhält auf diese Weise höhere Einnahmen, die sie für Straßen oder Krankenhäuser ausgeben kann; andere Länder bekommen gleichzeitig weniger. Es gibt im Sinne des freien Warenaustausches nichts, was dies rechtfertigen würde.

Es liegt auf der Hand, warum dieses System dennoch fortlebt. Die Summen, die in Steueroasen verschoben werden, sind gigantisch. Den Steueroasen genügen deshalb auch Steuersätze von wenigen Prozent, um – gemessen an der Größe ihrer Volkswirtschaft – enorme Summen einzunehmen. Sie werden dieses lukrative Geschäft nicht aufgeben, solange man sie nicht mit hohen Strafen belegt. Doch es geschieht kaum etwas, immer mehr Gewinne werden verschoben: Multinationale US-Konzerne verbuchen inzwischen 63 Prozent ihrer ausländischen Überschüsse in einer guten Handvoll Steueroasen. 2006 waren es nur rund 40 Prozent. 

Steueroasen verschärfen massiv die Ungleichheit in der Welt. Denn nur vermögende Menschen können es sich leisten, Steuern aufwendig zu vermeiden, und werden dadurch noch wohlhabender. Hinzu kommt: Werden den Industrienationen Abgaben entzogen, müssen diese die Mittel anderswo besorgen. Meist sind es Angestellte und Arbeiter, die deshalb höhere Steuern zahlen müssen. Dadurch wird es für sie immer schwieriger, selbst Vermögen aufzubauen. Wollen die Staaten die Steuern aber nicht erhöhen, müssen sie die öffentlichen Ausgaben kürzen. Die Einnahmen, die die EU-Staaten an Steueroasen verlieren, entsprechen der Hälfte ihrer Ausgaben für Hochschulbildung. Steueroasen lösen so gesehen auch eine massive Verschiebung des Wohlstands zwischen den Generationen aus: Sie machen die wohlhabenden, meist älteren Menschen reicher und lassen die jüngeren verarmen.

In einem anderen Punkt zeigt sich jedoch noch viel deutlicher, wie Steueroasen die Ungleichheit verschärfen: Sie helfen einer Reihe von ultrareichen Menschen dabei, ihr Vermögen zu verstecken – vor dem Finanzamt, vor Geschäftspartnern, Angehörigen oder Richtern. Der Gegenwert von zehn Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts wird von Reichen in Steueroasen geparkt, in Form von Bankguthaben, Firmenbeteiligungen, als Anleihen oder in Investmentfonds. Meist geschieht das über eine anonyme Briefkastenfirma oder in Stiftungen und Trusts. Durch die Leaks der vergangenen Jahren bekamen meine Kollegen Annette Alstadsæter und Niels Johannesen und ich einen besseren Lesen Sie die ganze Studie hierÜberblickLesen Sie die ganze Studie hier, wem die Vermögen gehören. Mithilfe der Daten aus den Swiss Leaks und den Panama Papers wurde so deutlich, wie wenige Menschen über den größten Teil des weltweiten Besitzes verfügen.  

Die Summe des Geldes, das die Superreichen in Steueroasen parken, entspricht der Wirtschaftskraft dieser 96 ärmsten Länder der Welt.

Etwa die Hälfte des in Steueroasen geparkten Geldes gehört Haushalten, die mehr als 50 Millionen Dollar an Nettovermögen besitzen. Es ist eine Gruppe, die Privatbanker als "Ultra-high-net-worth individuals" bezeichnen und die sie meist heftig umwerben. Diese Ultrareichen repräsentieren gleichzeitig gerade einmal 0,01 Prozent der Bevölkerung entwickelter Staaten.

Viele Leute glauben, dass Steuervermeidung mit der Zeit "demokratischer" geworden ist. Im Jahr 2007 (aus dieser Zeit stammen die Daten aus den Swiss Leaks) bedienten Schweizer Banken Hunderttausende Kunden; diese Zahl legt nahe, dass die Nutzung von Steueroasen sehr weit verbreitet war. Das Vermögen dieser Kunden ist allerdings gar nicht so groß, wenn man es mit dem Vermögen der wenigen Ultrareichen vergleicht. Die Konsequenz daraus ist klar: Aufgrund von Steueroasen unterschätzen wir das Ausmaß und das Wachstum der globalen Ungleichheit substanziell. Die komplette Intransparenz macht es unmöglich einzuschätzen, wie vielen oder wie wenigen Menschen das geparkte Geld gehört.

Für Länder wie Russland, wo der Großteil des Vermögens der Oberschicht außerhalb des Landes liegt, sind die Auswirkungen des Offshore-Systems dramatisch. Aber auch für Länder wie Großbritannien, Spanien, Deutschland und Frankreich schafft die Steuerverschiebung enorme Probleme: Die Ultrareichen dieser Länder parken 30 bis 40 Prozent ihrer Vermögen im Ausland. Es wird geschätzt, dass den Staaten auf der ganzen Welt dadurch Einnahmen in Höhe von etwa 170 Milliarden Dollar pro Jahr entgehen.   

Während die Ungleichheit ohnehin weltweit zunimmt, konzentrieren sich die Offshore-Firmen auf eine kleinere, aber noch wohlhabendere Klientel. Sie halten es für profitabler, sich um eine exklusive, extrem reiche Kundschaft zu kümmern als um Tausende gut situierte Anleger, die Steuern sparen wollen. Schweizer Banken haben sich daher unlängst von vielen dieser Kunden getrennt. Die Ungleichheit wächst also auch, weil Steuervermeidung mehr und mehr zum Elitensport wird.

Die wiederkehrenden Skandale können den Eindruck erwecken, dass der Kampf gegen den Missbrauch von Steueroasen zu nichts führt. Doch das stimmt nicht. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hat es bereits Fortschritte im Kampf gegen Steuervermeidung gegeben, und es kann in naher Zukunft mehr getan werden.

Es gibt ein wirkungsvolles Mittel gegen Steueroasen

Vor der weltweiten Finanzkrise 2008/2009 weigerten die meisten Steueroasen sich, Daten für die Zusammenarbeit mit anderen Steuerbehörden herauszugeben. 2016 hat dann eine Reihe prominenter Steuerparadiese damit begonnen, Statistiken darüber bereitzustellen, wie viele Konten von Ausländern in ihren Ländern gehalten werden, darunter Luxemburg, die Kanalinseln sowie Hongkong. Seit diesem Jahr tauschen einige Steueroasen zudem Bankdaten mit anderen Ländern aus.

Weiterhin fehlen jedoch jede Menge Informationen. Einige große Steueroasen, darunter Panama und Singapur, legen noch immer nicht offen, wer in ihren Ländern Bankkonten besitzt. Und was besonders wichtig ist: Ein wachsender Anteil des Offshore-Vermögens steckt in Scheinfirmen, Stiftungen und Trusts, die alle das gleiche Ziel verfolgen - der wahre Besitzer des Vermögens soll anonym bleiben. Steueroasen tun stets so, als würden sie mit anderen Ländern vollständig kooperieren, aber sie haben kaum einen Anreiz, das zu tun. Außerdem haben wir kaum Möglichkeiten, zu prüfen, ob sie ihr Wort halten (was sie in der Vergangenheit ohnehin nie taten).

Um das zu ändern, braucht es härtere Strafen gegen die Firmen und Länder, die Steuervergehen ermöglichen. Mehrere große Banken, darunter die Credit Suisse und die HSBC, mussten in den vergangenen fünf Jahren Strafen in den USA zahlen. Das Problem ist, dass die Strafen oft als normale Kosten dieser Geschäfte einkalkuliert werden. Sie sind verglichen mit den Gewinnen der Finanzgiganten zu niedrig. Ein besseres Abschreckungsmittel wäre es, mit dem Entzug der Banklizenz zu drohen.

Abschreckung ist das eine Mittel, Transparenz das andere. Um das Blatt zu wenden, braucht es ein globales Finanzregister. Offshore-Firmen dienen mit ihren Dienstleistungen teilweise legalen Zwecken, aber in vielen Fällen ermöglichen sie, Geld zu waschen, Insiderhandel zu betreiben und Steuern zu umgehen. Manchmal helfen sie gar, den internationalen Terror zu finanzieren. Vollständige Übersichten, die die wirtschaftlichen Eigentümer von Immobilien und anderen finanziellen Sicherheiten ausweisen, wären der beste Weg, um die trübe Welt der Offshore-Firmen aufzulösen. Die meisten Länder haben bereits Immobilienregister. Trotzdem besitzen Scheinfirmen große Teile von Manhattan oder London, die möglicherweise für Geldwäsche genutzt werden. Da müssen die Register besser werden.

Anschließend sollten sie auch um Finanzvermögen erweitert werden. Die Reaktion auf diesen Vorschlag ist hinlänglich bekannt und lautet: Finanzregister bedrohen die Privatsphäre. Doch das ist kein Argument, denn für Grundstücke und Immobilien gibt es seit Jahrzehnten Register - ohne nennenswerte Probleme für die Registrierten. Ein Finanzregister wäre also bezogen auf die Privatsphäre keine radikale Abkehr von früheren Standards. Andererseits wäre es ein wirklich wirkungsvoller Schlag gegen die Heimlichtuerei im Finanzsystem. Ein weltweites Finanzregister ist deshalb aus meiner Sicht die effektivste Waffe gegen die Intransparenz der Weltfinanzen.

Der französische Ökonom Gabriel Zucman, 31, beschäftigt sich mit Steuerhinterziehung und den Steuertricks internationaler Konzerne. Zucman will aufzeigen, welche Kosten das System Offshore den Staaten aufbürdet. Er sieht sich nicht allein als Forscher, sondern verknüpft seine Untersuchungen auch mit politischen Botschaften – ganz ähnlich übrigens, wie es sein berühmter Doktorvater tut: der Bestseller-Autor Thomas Piketty, der "Das Kapital im 21. Jahrhundert" geschrieben hat.

Das sind die Paradise Papers

Lesen Sie hier die komplette SZ-Recherche: Geschichten, die Konzerne, Politiker und die Welt der Superreichen erschüttern  

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