Paradise Papers -
Die Schattenwelt des großen Geldes

#gruesseausmoskau

Vom Kreml finanzierte Firmen investierten Hunderte Millionen Dollar in Facebook und Twitter

Von Hannes Munzinger, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer - 05. November 2017

Im Herbst 2010 sitzt der russische Milliardär Juri Milner auf der Bühne einer Tech-Konferenz im Silicon Valley und beantwortet freimütig die Fragen des Publikums. Milner, eine der prominentesten Figuren der Branche, redet gern über seine Investitionen in Firmen wie Facebook, Twitter, Airbnb oder über sein neues Raumfahrtprojekt. Über eines aber redet er nicht gerne: seine Geldgeber. So ist es auch auf der besagten Konferenz, als ein Reporter wiederholt fragt, wer hinter seiner Investition in Facebook stecke. Milner schaut nur verständnislos zwischen Publikum und Moderator hin und her, als habe er die Frage nicht verstanden.

Die Paradise Papers geben nun Antworten. Sie zeigen, dass vom Kreml kontrollierte Firmen mit Milners Hilfe Hunderte Millionen Dollar in Facebook und Twitter investierten. Die Unterlagen belegen, dass die russische Bank VTB, berüchtigt als Putins strategische Schwarzgeldkasse, 2011 einen Teil der Mittel für Milners Investition in Twitter bereitgestellt hat – verschleiert durch Briefkastenfirmen. Auch hinter Milners Facebook-Einstieg 2009 steht eine Offshore-Firma, deren Kapital wiederum, unter anderem, vom russischen Energieriesen Gazprom stammte.

Zwischenzeitlich hielten Juri Milners Firmen mehr als acht Prozent von Facebook und etwa fünf Prozent von Twitter - und brachten Milner den Ruf als Star-Investor ein, der ihn noch immer umgibt. Die Aktien der Social-Media-Firmen hat Milner inzwischen verkauft und 2015 in einen Immobilienfonds investiert, der teilweise Jared Kushner gehört, dem Schwiegersohn des US-Präsidenten Donald Trump. 

Nachdem Reporter der New York Times Juri Milner vor Wochen mit den Recherchen zu den Paradise Papers konfrontiert hatten, erschien nur Tage später auf der Webseite des Forbes-Interview mit Juri MilnerUS-Magazins ForbesForbes-Interview mit Juri Milner ein Interview, in dem Milner erstmals auch über die Investments aus Russland sprach. Seine Botschaft: Er ist kein Oligarch, keine Marionette Moskaus, sondern vielmehr ein Tech-Guru, ein Philantrop und Visionär, wie es sie eben nur im Silicon Valley gibt. Und überhaupt, Russland – da sei er schon seit drei, vier Jahren nicht mehr gewesen.

Tatsächlich könnte Moskau kaum weiter weg sein von der Welt, in der sich Juri Milner im Silicon Valley eingerichtet hat. Allein sein Anwesen südlich von Palo Alto, nur ein paar Kilometer von den Zentralen von Facebook und Google entfernt, soll 100 Millionen Dollar gekostet haben. Dort empfängt er Hollywoodstars wie Keira Knightley, wenn er gerade nicht mit Stephen Hawking, dem wohl berühmtesten Physiker der Welt, eine Weltraummission plant. 

2015 gewann Juri Milner den berühmten Physiker Stephen Hawking für sein Raumfahrtprojekt, in das er 100 Millionen US-Dollar investieren will.

Stuart C. Wilson/Getty Images

2015 gewann Juri Milner den berühmten Physiker Stephen Hawking für sein Raumfahrtprojekt, in das er 100 Millionen US-Dollar investieren will.

Die Welt, aus der Milner kommt, ist eine ganz andere, eine, die weit weniger Glamour versprüht. Er studierte in den Achtzigerjahren in Moskau, seiner Heimatstadt, theoretische Physik und fing an, nebenher auf dem grauen Markt Computer zu verkaufen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging er in die USA, erst an eine Business School, dann zur Weltbank, als Spezialist für den russischen Finanzmarkt. Mit diesem Wissen kehrte er zurück nach Moskau und arbeitete für eine Bank, die pleiteging. Sein erstes erfolgreiches Projekt war die Sanierung einer Nudelfabrik.   

Dann entdeckte er das Internet für sich: Juri Milner übernahm den E-Mail-Dienst Mail.ru mit, rettete das Unternehmen als Geschäftsführer über die "Dotcom-Blase" und baute es danach zum wichtigsten Technologiekonzern Russlands auf. Er verdiente damit Milliarden und brachte Mail.ru 2010 an die Londoner Börse; zuvor hatte er schon die Investment-Firma Digital Sky Technologies (DST) gegründet. Einer seiner frühen Unterstützer und Geschäftspartner war der Putin-nahe Oligarch Die ganze Geschichte zu Alischer Usmanow: "Ein ganz besonderes Freundschaftsspiel"Alischer UsmanowDie ganze Geschichte zu Alischer Usmanow: "Ein ganz besonderes Freundschaftsspiel" - mit ihm hielt er über DST auch den beschriebenen Acht-Prozent-Anteil an Facebook.

Vier Tage, nachdem Facebook 2012 an die Börse gegangen war, verkaufte DST sein Aktienpaket für rund eine Milliarde Dollar. Ein legendäres Geschäft, von dem man noch heute im Silicon Valley redet. 

Was damals nicht bekannt war: Nur Monate zuvor hatten diese Anteile einer undurchsichtigen Briefkastenfirma namens Kanton Services gehört, die von der Investmenttochter des staatlichen russischen Energiekonzerns Gazprom finanziert wurde. Reporter des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) werteten entsprechende Unterlagen aus den Paradise Papers mit David Zweighaft, einem angesehenen Experten für kriminologische Rechnungsprüfung, aus. Dieser kommt zu dem Schluss, dass Kanton von Gazprom finanziert wurde.

Und zwar so: Die Firma habe Transaktionen mit Tochtergesellschaften von Milners DST durchgeführt, um Geld für Gazprom so zu bewegen, dass die Rolle des Energieriesen verschleiert würde. Dokumente aus den Alles zu den Panama Papers: Die Geheimnisse des schmutzigen GeldesPanama PapersAlles zu den Panama Papers: Die Geheimnisse des schmutzigen Geldes, jenen 2016 veröffentlichten Unterlagen der panamaischen Offshore-Kanzlei Mossack Fonseca, zeigen, dass Kanton Services Kredite in Höhe von 197 Millionen Dollar von der Gazprom Investholding bekam - drei Monate bevor Facebook Milners erstes Investment in die Firma verkündete. Die Gazprom-Tochter antwortete dem ICIJ, die Kredite an die Briefkastenfirma Kanton Services seien "für allgemeine Firmenzwecke zur Verfügung gestellt worden".

Der ehemalige Russland-Direktor im Nationalen Sicherheitsrat der USA, Michael Carpenter, glaubt das nicht: "Mit dem Kreml verbundene Institutionen investieren mit strategischen Interessen, nicht nur mit kommerziellen." Facebook betonte, dass DST nie Kontrolle über das von Marc Zuckerberg gegründete Unternehmen gehabt habe. "Es ist wichtig zu erwähnen, dass DST als passiver Investor keine Stimmrechte oder Aufsichtsratsmandate hatte", sagte ein Facebook-Sprecher. Der Verdacht, dass Facebook staatliche oder halbstaatliche russische Investitionen verschwiegen hat, kommt für das Unternehmen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. 

In der vergangenen Woche saß Facebooks Vizepräsident Colin Stretch wie ein Schuljunge in einer Anhörung des US-Senats. Die Senatoren wollten aus erster Hand erfahren, wie stark russische Akteure über soziale Medien in den Präsidentschaftswahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton eingegriffen hatten. 126 Millionen US-Bürger sollen allein auf Facebook Inhalte gesehen haben, die russische Quellen gezielt zur Desinformation erstellt hätten. Der demokratische Senator Al Franken sagte: "Wie hat Facebook, das stolz darauf ist, Milliarden von Datenpunkten verarbeiten zu können [...], nicht die Verbindung herstellen können, dass Wahlwerbung, die in Rubel bezahlt wurde, aus Russland kam?"

Die Frage nach dem russischen Geld war dem Konzernvertreter während der Anhörung im Senat sichtlich unangenehm. Ihre besondere Brisanz bestand freilich noch nicht, als Milner 2009 bei Facebook einstieg, sondern erst heute, angesichts der Debatten um die teilweise sehr engen Beziehungen des Teams um US-Präsident Donald Trump zu Russland. Als Milner vor acht Jahren die ersten gut 200 Millionen in Facebook investierte, waren die Beziehungen zwischen dem Kreml und Washington ungleich entspannter. Die Obama-Regierung strebte ein Klima zwischen beiden Nationen an, das ganz dezidiert russische Investoren in die USA locken sollte. Der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew besuchte im selben Jahr demonstrativ die Apple-Zentrale in Cupertino. Medwedjew richtete auch eine Präsidialkommission für Innovation ein, der Milner angehörte.

Dmitrij Medwedjew, von 2008 bis 2012 russischer Präsident, zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs.

ITAR-TASS/imago

Dmitrij Medwedjew, von 2008 bis 2012 russischer Präsident, zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs.

Heute wären Milners Investitionen in Facebook und Twitter vielleicht kaum mehr möglich. Beide quasi staatlichen Geldgeber - die VTB Bank wie auch Gazprom - wurden als Folge der russischen Annektion der Krim im Jahr 2014 von den USA mit Sanktionen belegt.

Auch das Geld für Twitter - Milners Firma investierte 2011 gut 400 Millionen Dollar in den Kurznachrichtendienst - floss über etliche Banden: Seine Firma DST gründete einen Offshore-Fonds auf der Isle of Man namens "DST Investments 3", in den, im Juli 2011, die VTB Bank 191 Millionen Dollar investierte. Der Isle-of-Man-Fonds finanzierte so rund die Hälfte von Milners Twitter-Aktien - und die Millionen der zweitgrößten und hoch umstrittenen russischen Bank landeten als Anteile beim amerikanischen Kurznachrichtendienst. Auch die Briefkastenfirma Kanton Services, die schon bei Milners Facebook-Deal mitgewirkt hatte, erhielt den Unterlagen zufolge Anteile an dem DST-Fonds auf der Isle of Man - obwohl sie kaum Geld in den Fonds einzahlte. Ein seltsamer Vorgang.

Bekam Kanton - das ja laut den ausgewerteten Dokumenten von der staatlichen Gazprombank finanziert wurde - nun also Aktien an dem DST-Fonds von einer anderen staatlichen Bank übertragen, einfach so? Und wem gehört Kanton Services überhaupt?

Juri Milner ließ erklären, man könne "keine Zuordnung des Besitzers vornehmen, was Kanton angeht".

Dokumentieren lassen sich allerdings zahlreiche Verbindungen zu Milners Unterstützer, dem Oligarchen Alischer Usmanow: Zwei seiner Geschäftspartner waren bei Kanton Services laut einem Memo der Kanzlei Appleby und Unterlagen der Panama Papers als Besitzer respektive Geschäftsführer involviert. Eine Trustfirma, die viele von Usmanows Firmen verwaltet, nennt Kanton Services in einer E-Mail: "Private Investmentfirma, (Facebook und Twitter)".

Ein Sprecher Usmanows teilte der New York Times auf Anfrage mit, der Oligarch sei bei seinen Investitionen nicht auf öffentliche Quellen angewiesen gewesen: "Um absolut klar zu sein, Herr Usmanow lieh oder nutzte keine staatlichen oder quasi staatlichen Gelder, um Investitionen in Facebook" und andere Unternehmen zu tätigen.

Alischer Usmanow bei einem Premier-League-Spiel seines Vereins FC Arsenal gegen Tottenham Hotspur 2013.

Glyn Kirk/AFP  

Alischer Usmanow bei einem Premier-League-Spiel seines Vereins FC Arsenal gegen Tottenham Hotspur 2013.

Ob es nun eine Usmanow-Firma war oder nicht - Kanton Services kaufte 2014, wenige Monate nach dem Börsengang von Twitter, den Großteil der DST-Anteile, die zuvor die VTB Bank gehalten hatte. Ein Sprecher von Milners Firma lehnte es ab, Informationen über Vereinbarungen zwischen der VTB Bank und Kanton Services zu geben.

Juri Milner versuchte in Gesprächen mit Reportern der New York Times, seine Firma von Usmanow zu distanzieren. Dieser habe viele Geldquellen. Es sei unmöglich zu wissen, ob Geld von der Gazprom-Tochter genutzt wurde, um dessen Anteil an Facebook zu finanzieren.

Um seine Sicht der Dinge deutlich zu machen, stellte Milner durchsichtige Plastikbecher mit Schildern wie "Herr Usmanow", "Facebook", "vermeintliche russische Staatsgelder" auf. Dann holte er vor Reportern der New York Times - ganz Showman - eine Packung grüner M&M's hervor, füllte die Becher damit und schüttete die Schokolinsen dann zwischen den Bechern hin und her. "Geld ist austauschbar", sagte er, "sie können nicht sagen, dass dieser spezifische Dollar den ganzen Weg zu Facebook gegangen ist."

Für Juri Milner ist die Geschichte sowieso ganz einfach. "Es ist nicht mehr als ein Geschäft", sagte er, "wir bekommen Geld, und wir stecken es in Facebook, in Twitter. Wir verdienen Geld für unsere Partner, und wir geben ihnen Geld zurück. Für mich ist es eine geschäftliche Vereinbarung."

Außerdem ist er längst weitergezogen. "Moving On From Russia" stand wohl nicht zufällig in der Überschrift des Interviews mit dem Forbes-Magazin. Das soll wohl heißen: Für Milner sind die russischen Partner sowieso Vergangenheit.

Das sind die Paradise Papers

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