Es ist der Tag nach Thanksgiving, der Black Friday, an dem die Amerikaner wie entfesselt einkaufen. Die Amerikaner anderswo. Für Paul Forberg ist es der Tag, an dem die Polizei ihn zum ersten Mal nach dem großen Feuer zu seinem Haus lässt, in die kleine Siedlung auf einer Bergkuppe am Rand der Stadt Paradise.
Hier ist er geboren und aufgewachsen, hier lebt er seit fünf Jahren mit seiner Frau in einem hübschen Haus mit Blick in den Canyon. Oder muss er gleich sagen: Lebte? Noch weiß er es nicht.
Zwei Wochen hat Forberg in der Ungewissheit verbracht, ob von seinem Haus noch etwas übrig ist. Zwei Wochen haben sie alle hier auf den ersten Winterregen gehofft. Nun ist er endlich da und das Feuer unter Kontrolle.
Mit einem Ruck dreht Forberg sich um. Er lächelt und sagt etwas sehr Amerikanisches, das sich schwer ins Deutsche übersetzen lässt: „We move on.“ Das ist selbstbestimmter als „Es wird weitergehen“ und leichter als „Wir werden es überwinden“.
Forberg wirkt fast erleichtert, er erzählt jetzt ausführlich. Er und seine Frau waren vorbereitet, sie hatten eine Tasche mit dem Wichtigsten immer griffbereit in der Garderobe stehen.
Forberg hatte Pech, einerseits, das Haus steht nicht mehr. Aber auch Glück andererseits, es war gegen Feuer versichert. Im Moment wohnt er mit seiner Frau in einem Wohnmobil, „ziemlich luxuriös“, das sie erst vor einigen Monaten gekauft haben. „Und sobald die Versicherung gezahlt hat, räumen wir die Trümmer weg und bauen ein neues Haus. Dann beginnt ein neues Abenteuer.“
Auf einem Eckgrundstück rührt Ashley im knöcheltiefen Schlamm aus Asche und Regenwasser. Sie lacht. Sie hat das Hochzeitsporzellan ihrer Mutter gefunden. Die ist 86, lebte hier alleine – und hat es rausgeschafft. „Ihr geht’s gut, sie kann es nicht erwarten, zurückzukehren.“ Die alte Dame spreche immer nur davon, dass Paradise nun vielleicht wirklich ein Paradies werde: „Alles neu und die Stromleitungen unter der Erde, wer weiß?“ Jetzt wird Ashley ihre Mutter erst mal bei sich unterbringen.
An diesem Tag kann man viel darüber lernen, wie Menschen sich im Angesicht der Katastrophe verhalten. Eine ältere Dame ärgert sich, dass sie keine Dokumente einpackte, keinen Schmuck, keine Fotoalben. Sondern Bananen und Milch, weil die bald verdorben wären. Ihr Mann kehrte währenddessen die niederregnende Asche von der Terrasse. Und dann fanden die beiden die Notfalltasche nicht, die sie vor Jahren gepackt hatten. Ein Lehrer erzählt, er habe, während er sein Haus in Flammen aufgehen sah, entschieden, sich ein Boot zu kaufen und um die Welt zu segeln. Ein anderer berichtet unter Tränen, er habe seine alte Nachbarin nicht überreden können, ihr Haus zu verlassen, als die Flammen schon im Garten standen. „Es hat keinen Zweck“, habe sie immer wieder gesagt, „es ist das Ende der Welt, Gott straft uns jetzt.“
Draußen trifft man einen Mann, der sich als Frank vorstellt. Von dem Thanksgiving-Essen weiß er nichts, er hätte aber ohnehin keine Zeit. Er fischt Pfandflaschen aus dem Müll, den ganzen Tag, im strömenden Regen. Sein aufgeweichter Mantel riecht immer noch nach Rauch. Die vergangenen Jahre war Frank in einem Zimmer im Haus eines Freundes untergekommen, oben in den Bergen. Um Geld zu verdienen, schlug er Feuerholz im Wald. „Das ist nun wohl vorbei“, sagt er und lacht tonlos.
Als Frank an dem Morgen vor zwei Wochen den Feuerschein am Himmel sah, setzte er sich auf den Traktor des Freundes und begann, Büsche, Bäume und das Gras wegzureißen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit arbeitete er – vergebens. Als die Baumkronen rings um das Haus in Flammen standen, setzte er sich auf sein Motorrad und raste die Straße hinunter. „Der ganze Berg über mir brannte.“ Seither sammelt Frank Flaschen, ein paar Dollar kriegt er am Tag zusammen. Die Nächte verbringt er auf einer Bank im Wohnwagen eines Bekannten. Wie lange er bleiben kann? „Bis ich in mein Zimmer zurückkann, vermute ich.“ Und wenn es das nicht mehr gibt? Keine Antwort, ein Blick ins Leere.
So wenig dieser Mann von den kleinen Hilfsangeboten weiß, von den Essensausgaben, den Einkaufsgutscheinen oder den Kleiderspenden, so wenig erwartet er irgendeine Hilfe. Und er hat ja auch gar keine Zeit für so etwas, er muss schließlich Geld verdienen. Auch diese Haltung im Angesicht der Katastrophe ist etwas, das sich schwer ins Deutsche übersetzen lässt.
Andere wittern schon das große Geschäft: Im Radio laufen Werbespots von Anwaltskanzleien. Sie wollen im Namen der Brandopfer den regionalen Stromversorger auf Milliarden Dollar verklagen, weil eine Panne bei ihm den Brand ausgelöst haben könnte.
Dieser Artikel erschien erstmals am 11.11.2018 in der SZ. Die besten digitalen Projekte finden Sie hier.