Warum Abstand halten so wichtig ist

Deutschland macht auf, mit der Öffnung von Restaurants und Biergärten kommt die Normalität zurück. Warum es jetzt umso wichtiger ist, Abstand zu halten, zeigt unsere 3-D-Animation.

5 Minuten Lesezeit

Von Hanno Charisius, Felix Ebert, Elisabeth Gamperl, Verena Gehrig, Julia Kandler und Benedict Witzenberger

Deutschland und die Welt öffnen sich wieder. Läuft alles nach Plan, sperren Ende des Monats Hotels und Schwimmbäder auf, Museen und Kosmetikstudios dürfen wieder besucht werden. Voraussetzung für all das ist weiterhin ein Mindestabstand von 1,5 Metern und eine Maske. Doch wie effizient sind diese Schutzmaßnahmen eigentlich?

Wie sich das Corona-Virus genau in der Luft ausbreitet, wird gerade erforscht, kann deswegen noch nicht genau konstruiert werden. Es gibt aber Indizien, wie sich Erreger von Atemwegserkrankungen in der Luft verhalten.

Eine davon liefert die Berechnung von Forschern des Kyoto Institute of Technology, die die Verbreitung von Tröpfchen in einem geschlossenen Raum simulierten:

Dieser Raum ist 60 Quadratmeter groß und hat in etwa die Größe eines Seminarraums oder Klassenzimmers.

Eine Person im Raum hustet. Die Tropfenwolke sieht aus wie eine Explosion.

Darin enthalten sind Tröpfchen in verschiedener Größe: Sehr kleine Tröpfchen bis etwa fünf Mikrometern Größe. 1000 Mikrometer sind ein Millimeter. Dazu größere Tröpfchen ab fünf Mikrometer, bis zu einer Größe von 2000 Mikrometern. Diese fallen schon nach kurzem Weg durch die Luft zu Boden.

In der Luft können Flüssigkeitspartikel, die noch kleiner sind als fünf Mikrometer hängen bleiben, sogenannte Aerosole mit ihrer infektiösen Fracht.

Ein Abstand von mindestens 1,5 bis zwei Metern hilft also dabei, den größeren Tröpfchen zu entgehen, wenn jemand niest, hustet oder mit einer feuchten Aussprache laut spricht.

Die Aerosole aber bleiben weiter in der Luft. Ob sie ansteckend sind, war zu Beginn der Pandemie noch strittig. Doch im Grunde sprach nie etwas dagegen, denn auch andere Viren werden durch feinste Tröpfchen in der Luft übertragen: Masern zum Beispiel. In Aerosolen sind auch Erbgutspuren von Sars-CoV-2 zu finden.

Inzwischen gibt es einige Untersuchungen von Corona-Ausbrüchen, etwa in einem Restaurant, einem Call-Center und unter Chormitgliedern, in denen Aerosole noch die beste Erklärung für die Übertragung der Viren darstellen.

Auch nach 20 Minuten sind sie noch da. Laboruntersuchungen haben sogar nach drei Stunden noch infektiöse Viren in Aerosolpartikeln gefunden. Es ist allerdings fraglich, wie aussagekräftig diese Studie für den Alltag ist. Aerosolübertragungen scheinen vor allem in geschlossenen, schlecht belüfteten Räumen von Bedeutung zu sein. An der frischen Luft sinkt die Ansteckungsgefahr wahrscheinlich schnell, weil das Aerosol bereits durch kleinste Luftbewegungen verteilt und verdünnt wird.

Die Simulation kann nur die Tröpfchen und Partikel zeigen, die ein Infizierter in seine Umgebung entlässt. Wie viele Viren darin enthalten sind und wie infektiös diese Fracht ist, hängt von vielen Einflussfaktoren ab und entzieht sich diesem Modell.

Aber nicht nur beim Husten und Niesen entstehen diese Tröpfchen. Auch beim ganz normalen Ein- und Ausatmen. Sogar beim Sprechen. Amerikanische Forscher konnten das mit einer Lasermessung zeigen. Der Satz "Stay Healthy!" produziert kleine Tröpfchen, am stärksten beim "th". Je lauter dieser Satz gebrüllt wird, umso mehr. Dass die Lautstärke einen Einfluss auf die Zahl der ausgestoßenen Tröpfchen hat, konnten auch schon andere Studien zeigen. Die Menge der Tröpfchen soll laut einer Studie von 2009 beim Sprechen sogar ähnlich hoch sein, wie beim Husten.

Was der Versuch der amerikanischen Forscher aber auch zeigen konnte: Ein handelsüblicher Waschlappen vor dem Mund kann die Zahl der Tröpfchen in der Luft sichtbar reduzieren. Die Wissenschaftler haben jedoch wieder nur die Verbreitung von Tröpfchen analysiert. Über das Infektionsrisiko lassen sich so höchstens Schätzungen anstellen.

Was das Video zeigt: Einfache Masken schützen die meisten Menschen zwar kaum vor Aerosolen in der Luft - aber immerhin reduzieren sogar diese einfachen Schutzmittel die Aerosolmenge, die eine Person an die Luft abgibt. Wie stark Masken helfen, ist allerdings in der Forschung unklar. Mehrere Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Eine australische Studie aus dem Jahr 2009 schätzt, dass sich das Risiko einer Atemwegsinfektion mit Maske um 60 bis 80 Prozent senken lässt. Allerdings wurden dafür nur 286 Erwachsene aus 143 Haushalten untersucht. Generell gilt: Es ist nicht belegt, dass Masken die Verbreitung einschränken, es gibt nur Hinweise darauf.

Wenn sie eng genug anliegen, reduzieren auch einfache OP-Masken, die Mund und Nase bedecken, die Virus- und Bakterienmenge in der durch die Maske eingeatmeten Luft. Sie sind demnach ausreichend, um kleine Tropfen, die beim Husten in die Luft geschleudert werden, aus der Luft zu filtern.

Feinste Tröpfchen aus Aerosolen hingegen können durch die Lücken zwischen Gesicht und Maske dringen und doch die Atemwege erreichen. Auch bei selbstgenähten Masken überwiegt der Fremdschutz den Eigenschutz.

Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Strömungsdynamik der Bundeswehruniversität München. Der Leiter des Instituts Christian Kähler sagte in einem SZ-Interview: "Es ist klar zu erkennen, dass selbst ein einfacher Mund-Nase-Schutz die Ausbreitung der Atemluft wirkungsvoll begrenzt." Allerdings nur, wenn auch der 1,5-Meter-Abstand eingehalten werde. Es gibt Anhaltspunkte, dass Masken einen Effekt haben.

Auch wenn die Messdaten dazu nicht immer einheitlich sind kann man sich auf das Vorbeugeprinzip berufen: Masken sind einfach, billig und potenziell hilfreich. Und richten keinen Schaden an, solange weiter die übrigen Hygiene- und Abstandsregeln befolgt werden.

Sie sollten deshalb in allen Situationen angelegt werden, in denen man in geschlossenen Räumen den empfohlenen Sicherheitsabstand von anderthalb Metern oder mehr nicht einhalten kann, sei es in Zügen, Flugzeugkabinen oder Fahrstühlen und natürlich Geschäften aller Art.

Weitere Informationen:

Studien zur Verbreitung von Viren durch Aerosole:

Es gibt eine Untersuchung aus China, die verfolgte, wie sich das Virus von einem Infizierten in einem Restaurant ausbreitete.

In einem südkoreanischen Call-Center verbreitete sich der Erreger ebenfalls auffällig stark.

Im März steckte in Infizierter während einer zweieinhalbstündigen Chorprobe mit insgesamt 61 Sängerinnen und Sängern mindestens 32 Personen an. 

Auch vom ersten Sars-Virus sind Infektionen durch Aerosole bekannt. Die amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften geht inzwischen davon aus, dass das Virus bereits beim Sprechen in die Luft gelangt und Infektionen verursachen kann.

Wie sieht es im Zug, Flugzeug oder dem Aufzug aus?

Feinporige Filter in Klima- oder Belüftungsanlagen können zwar die Viruslast in der Atemluft reduzieren. Doch hängt ihr Effekt stark von der Art der Anlage und der Wartung ab. Und wenn der Sitznachbar hustet und prustet, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Tröpfchen abbekommt, bevor die Luft durch Filter gezogen wird, recht hoch. Auf einer Flugreise steckte ein mit Sars Infizierter im Jahr 2003 sehr wahrscheinlich zahlreiche weitere Passagiere an, die sogar deutlich weiter entfernt von ihm saßen als anderthalb Meter.

Masken können in diesen Situationen zusätzlichen Schutz bieten. Doch keine Maske kann Hygieneregeln und Sicherheitsabstand ersetzen, sondern idealerweise immer nur ergänzen.

Es gibt eine Studie, die gezeigt hat: legen Profis vorschriftsmäßig und enganliegend standardmässige Mund-Nase-Masken an, kann der Schutzeffekt für sie selbst fast so gut ausfallen wie mit FFP-2 oder 3-Masken.

Auch die New York Times erarbeitete mit den Berechnungen der Forscher des Kyoto Institute of Technology eine 3D-Simulation.