Die wichtigsten Fakten zu den FinCEN-Files

Worum geht es bei der Recherche? Woher stammen die Unterlagen? Antworten auf die zehn drängendsten Fragen.

11 Minuten Lesezeit

Von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Worum geht es bei den FinCEN-Files?

Das Daten-Leak zeigt, dass die größten Banken der Welt jedes Jahr Überweisungen im Gegenwert von Hunderten Milliarden Dollar abwickeln, obwohl sie selbst vermuten, dass sie dadurch das Geld von korrupten Oligarchen, Terrorgruppen oder anderen Kriminellen in Umlauf bringen. Dies geht aus vertraulichen Berichten des US-Finanzministeriums sowie aus Meldungen hervor, welche die Geldhäuser zwischen 2000 und 2017 an das Ministerium geschickt haben.

Diese Meldungen – im Bankenjargon Geldwäscheverdachtsmeldungen, auf englisch Suspicious Activity Report (SAR) – geben erstmals Einblick in ein teures, weitgehend geheimes, aber ineffizientes System . Solche Geldwäscheverdachtsmeldungen haben oftmals reinen Pro-forma-Charakter, da die mit der Prüfung betrauten Behörden chronisch unterbesetzt sind. Auch deutsche Banken transferieren regelmäßig Geld verdächtiger Kunden – offenbar nicht selten, ohne wirklich zu wissen, was der Zweck der Überweisung ist.

Warum heißt das Rechercheprojekt FinCEN-Files?

Es ist benannt nach dem Financial Crimes Enforcement Network, kurz FinCEN. Die Behörde mit Sitz im US-Bundesstaat Virginia untersteht dem amerikanischen Finanzministerium.

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Aufgabe der etwa 300 Mitarbeiter ist es, Überweisungen zu überwachen, um Geldwäsche, Terrorfinanzierung und andere Verbrechen zu bekämpfen. Banken mit Sitz oder Niederlassung in den USA sind gesetzlich verpflichtet, jede Überweisung, die verdächtig erscheint – etwa weil der Empfänger ein bekannter Krimineller ist oder der Verwendungszweck fragwürdig wirkt – umgehend an die Behörde zu melden

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Um welche Art von Unterlagen handelt es sich?

Der Datensatz besteht aus mehr als 2100 Geldwäscheverdachtsmeldungen und zahlreichen internen Berichten des US-Finanzministeriums. Das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und seine Partner – darunter in Deutschland die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR – haben die Daten ausgewertet. Hinzu kommen interne Bankunterlagen, die mehreren an dem Rechercheprojekt beteiligten Medien zugespielt wurden.

SAR

Die FinCEN-Files betreffen verdächtige Überweisungen aus den Jahren 1999 bis 2017, durch die insgesamt mehr als zwei Billionen Dollar transferiert wurden. Die vorliegenden Meldungen stellen nur einen Bruchteil der insgesamt mehreren Millionen Verdachtsmeldungen aus dieser Zeit dar.

Die Recherche zeigt, dass Banken und Behörden bisweilen tatenlos zuschauen, wie Mafiosi, Despoten und andere Kriminelle weltweit Geld verschieben. So belegen die Dokumente, wie die US-Großbank JP Morgan Chase mehr als eine Milliarde Dollar für zwei Firmen transferierte, die nach Einschätzung der Bank in Verbindung zu einem Mann namens Semjon Mogilewitsch stehen. Der russische Staatsbürger wird als ranghohes Mitglied der russischen Mafia vom FBI gesucht – laut Experten ist er der „gefährlichste Gangster der Welt“. Eine Sprecherin von JP Morgan Chase erklärte auf Anfrage, dass es der Bank „gesetzlich verwehrt“ sei, sich zu diesem und anderen Fällen zu äußern.

Die FinCEN-Files zeigen zudem, wie die britische Bank Standard Chartered offenbar einem türkischen Geschäftsmann ermöglicht hat, Iran-Sanktionen zu unterlaufen. Auf eine detaillierte Anfrage erklärte Standard Chartered allgemein: „Die Realität des globalen Finanzsystems ist, dass es immer Versuche geben wird, Geld zu waschen und Sanktionen zu umgehen.“ Man arbeite aber eng mit den Behörden zusammen, „um die Täter vor Gericht zu bringen“.

Außerdem geht aus den Unterlagen hervor, dass die HSBC-Bank, immerhin die größte Bank Europas, offenbar auch nach Zahlung einer hohen Geldstrafe im Jahr 2012 weiterhin Geschäfte mit Kriminellen machte. Die Bank erklärte dazu, in den vergangenen Jahren viel getan zu haben, um Finanzkriminalität zu bekämpfen. Heute sei die Bank „viel sicherer“ als 2012.

Warum ist das Vorgehen von Banken und Behörden so problematisch?

Banken wie Behörden versagen im Kampf gegen Geldwäsche weitgehend. Eigentlich sollen Finanzinstitute „unverzüglich“ – in den USA: spätestens 30 Tage – nach Entdecken einer verdächtigen Transaktion den Behörden Bescheid geben, damit diese den Vorgang ebenso unverzüglich prüfen und mögliche illegale Geldflüsse stoppen können.

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Eine Analyse der FinCEN-Files offenbart allerdings, dass die Banken im Schnitt 166 Tage – also fast ein halbes Jahr – verstreichen lassen, bis sie nach einer verdächtigen Überweisung auch eine Verdachtsmeldung abgeben.

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In einem Fall einer New Yorker Bank dauerte es sogar 6666 Tage. Auf Anfrage wollte sich die Bank nicht dazu äußern.

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Die FinCEN-Files zeigen auch, dass mehrere Großbanken – darunter JPMorgan, HSBC, Barclays, Wells Fargo, Bank of New York Mellon, Standard Chartered und die Deutsche Bank – weiterhin Geschäfte mit verdächtigen Kunden machten, nachdem die amerikanischen beziehungsweise britischen Behörden sie wegen ähnlicher Geschäfte bereits bestraft hatten.

Wer hat die FinCEN-Dokumente weitergegeben?

Die Dokumente wurden dem US-Onlinemedium Buzzfeed News zugespielt, das die Unterlagen mit dem International Consortium of Investigative Journalists und mehr als 400 Journalisten aus rund 90 Ländern geteilt hat. Aus Gründen des Quellenschutzes machen weder Buzzfeed News noch die Süddeutsche Zeitung Angaben zur Herkunft der Unterlagen. Geldwäscheverdachtsmeldungen sind in den USA Geheimsache: Das Strafmaß für die unautorisierte Weitergabe reicht von hohen Geldstrafen bis zu fünf Jahren Haft. Das FinCEN hatte bereits im Vorfeld der Veröffentlichungen angekündigt, die „rechtswidrige“ Publikation vom Justizministerium untersuchen zu lassen.

Was haben die FinCEN-Files mit der Trump-Regierung zu tun?

Die meisten Geldwäscheverdachtsmeldungen aus den FinCEN-Files sind Teil der Unterlagen, die der damalige US-Sonderermittler Robert Mueller zusammengetragen hat. Mueller untersuchte zwischen 2017 und 2019 mögliche illegale Beziehungen des Wahlkampfteams des heutigen US-Präsidenten Donald Trump zur russischen Regierung. Aus den Daten geht unter anderem hervor, dass Trumps früherer Wahlkampfmanager Paul Manafort über geheime Briefkastenfirmen Geld aus dem Ausland bekommen und der US-Steuerbehörde verheimlicht hat. Manafort wurde deswegen 2019 zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.

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Welchen Bezug zu Deutschland haben die FinCEN-Files?

In den FinCEN-Files finden sich Informationen zu deutschen Staatsbürgern und Geldinstituten. Die Deutsche Bank ist in dem Leak mit Abstand die Bank mit den meisten verdächtigen Überweisungen. Dies muss allerdings nicht heißen, dass die Deutsche Bank insgesamt die meisten Meldungen abgibt, sondern kann auch an der Zusammensetzung der geleakten Daten liegen, die womöglich nicht repräsentativ sind.

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Aus den Jahren 2001 bis 2017 finden sich 982 Geldwäscheverdachtsmeldungen der Deutschen Bank in den Files, etwa zu sanktionierten russischen Oligarchen oder dem Odebrecht-Korruptionsskandal in Lateinamerika. Die Deutsche Bank stufte dem Daten-Leak zufolge Überweisungen mit einem Volumen von mehr als einer Billion Dollar als verdächtig ein. Auch sechs der zehn größten verdächtigen Überweisungen in den FinCEN-Files wurden von der Deutschen Bank gemeldet. Die Unterlagen geben erstmals Aufschluss darüber, wer offenbar von einem der größten Geldwäschefälle in der Deutschen Bank, dem sogenannten Mirror-Trade-Skandal, profitiert haben soll – unter anderem russische Mafiosi und ein Mann, der für al-Qaida und die Hisbollah Geld gewaschen haben soll. Ausgerechnet die frühere Abteilung des heutigen Deutsche-Bank-Chefs Christian Sewing soll bei der Überprüfung des Russland-Geschäfts weitgehend versagt haben. Dies geht aus einem internen Bericht der Bank hervor, welcher der SZ vorliegt. Die Deutsche Bank sagt, Sewing sei „weder direkt noch indirekt“ an der Prüfung des Geschäfts beteiligt gewesen. Er habe lediglich den Gesamtplan für mehrere Hundert Prüfungen des Jahres 2014 eingereicht. Den Moskau-Bericht habe er zum ersten Mal gelesen, „als im Mai 2015 klar wurde, dass es Mängel in diesem Audit gegeben haben könnte“.

Auch die Commerzbank taucht auf. Sie meldete den Unterlagen zufolge verdächtige Geschäfte im Zusammenhang mit der russischen Sviaz-Bank, die zwischen 2010 und 2013 etwa 497 Millionen Dollar in bar angekauft hatte. Die Commerzbank vermutete laut FinCEN-Files einen Zusammenhang mit den amerikanischen und europäischen Sanktionen gegen das Regime in Syrien - meldete den Verdacht aber erst zehn Monate später. Auf Anfrage wollte sich die Bank nicht zu dem konkreten Fall äußern; eine Sprecherin verwies auf das Bankgeheimnis.

Die Commerzbank hat laut den FinCEN-Files zwischen 2012 und 2015 außerdem mehrere Millionen Dollar für den ukrainischen Geschäftsmann Dmytro Firtasch transferiert, dem US-Ermittler Bestechung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorwerfen.

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Firtasch hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Offenbar hat die Commerzbank am 21. März 2014 auch noch eine Überweisung für die russische SMP Bank abgewickelt – diese gehört den Brüdern Arkadij und Boris Rotenberg. Beide wurden einen Tag vor der Überweisung von der US-Regierung sanktioniert. Auch zu diesem Fall machte die Commerzbank auf Anfrage keine Angaben.

Warum schreiten die deutschen Behörden nicht ein?

Deutschlands Behörden stehen dem Treiben der Banken weitgehend hilflos gegenüber. Das deutsche Pendant zum FinCEN ist die beim Zoll angesiedelte Financial Intelligence Unit (FIU). Diese Zoll-Einheit und die amerikanische Behörde sollen eigentlich alle wichtigen Informationen teilen. SZ-Recherchen legen jedoch nahe, dass die Praxis oft anders aussieht. So schickte die Deutsche Bank laut den FinCEN-Files nach 2010 durchschnittlich 140 Verdachtsmeldungen pro Jahr an die US-Behörden. Da die FinCEN-Files nur einen Bruchteil aller versandten Meldungen darstellen, könnte die Zahl sogar noch höher sein.

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Von den in den USA abgegebenen Verdachtsmeldungen mit Bezug zu deutschen Banken bekommt die deutsche FIU meist aber nur einen Bruchteil zu sehen. So haben die deutschen Ermittler 2018 lediglich acht sogenannte Spontaninformationen aus den Vereinigten Staaten erhalten, 2019 waren es 52. In Deutschland stieg zuletzt zwar die Zahl der Verdachtsmeldungen, doch nur wenige Überweisungen werden tatsächlich gestoppt. 2019 geschah dies nur 19 Mal.

Was ist das ICIJ, das die FinCEN-Files-Recherchen organisiert hat, und wie wird es finanziert?

Das International Consortium of Investigative Journalists – kurz ICIJ – ist eine gemeinnützige Organisation, die wie eine Art internationaler Verein für investigative Journalisten zu verstehen ist. Ihm gehören mehr als 250 Journalistinnen und Journalisten aus rund 100 Ländern an, darunter auch vier SZ-Reporter (Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Georg Mascolo sowie Hans Leyendecker). Das ICIJ wird über Spenden finanziert, unter anderem von Stiftungen aus Australien, Großbritannien, den Niederlanden und den USA – darunter die Ford Foundation, die Adessium Foundation, die von George Soros gegründete Open Society Foundation –, sowie von Luminate, einer philanthropischen Organisation von Ebay-Gründer Pierre Omidyar.

Die Süddeutsche Zeitung arbeitet seit 2012 mit dem ICIJ zusammen, etwa bei den Projekten Offshore Leaks und Luxemburg Leaks, aber auch den Implant-Files-Recherchen zu fehlerhaften Medizinprodukten oder den China-Cables zu willkürlichen Masseninternierungen von Uiguren in China. 2017 erhielt das ICIJ für die von der SZ initiierten Panama-Papers-Recherchen den Pulitzer-Preis.

Werden das ICIJ oder die Süddeutsche Zeitung die Dokumente der FinCEN-Files veröffentlichen?

Nein. Weder das ICIJ noch die SZ werden die kompletten Unterlagen veröffentlichen. Die an den Recherchen beteiligten Medien werden nur über Fälle berichten, an denen ein öffentliches Interesse besteht und die anhand von anderen Quellen überprüfbar sind. Im Rahmen dieser Berichte werden ausgewählte Dokumente veröffentlicht, sofern dadurch der Quellenschutz nicht gefährdet ist.

Die Süddeutsche Zeitung wird die Dokumente auch keinen Behörden zur Verfügung stellen. Die SZ ist nicht der verlängerte Arm der Staatsanwaltschaft oder der Steuerfahndung. Da es sich bei den FinCEN-Files um geheime Unterlagen aus dem US-Finanzministerium handelt, liegen sie zumindest den amerikanischen Behörden ohnehin bereits vor.