Neueste Nachrichten seit 1945

Von den Nürnberger Prozessen zur Corona-Pandemie, vom Bleisatz zum innovativen Digitaljournalismus: Wir blicken zurück auf 75 Jahre Süddeutsche Zeitung.

Von Joachim Käppner und Christian Mayer

1945

6. Oktober 1945. Die erste Ausgabe der SZ erscheint, acht Seiten dünn, immerhin 20 Pfennig teuer. Die betagte Druckmaschine hat im Keller der Vorgängerzeitung, der Münchner Neuesten Nachrichten, wundersam die Flächenbombardements überstanden. Erste Lizenzträger sind August Schwingenstein, Edmund Goldschagg und Franz Josef Schöningh (im Bild von links), zu ihnen stoßen Werner Friedmann (1946) und Hans Dürrmeier (1953).

1946

Passanten in München lesen die SZ-Sonderausgabe „Das Urteil in Nürnberg“. Das alliierte Gericht im Nürnberger Justizpalast verurteilt am 1. Oktober zwölf NS-Hauptkriegsverbrecher zum Tode. Die SZ begrüßt den Versuch, Nazitäter juristisch zur Verantwortung zu ziehen.

Erstmals steht das Streiflicht auf der Seite 1. Es wird dort als tägliche und hintergründige Glosse zum Zeitgeschehen bleiben bis zum heutigen Tag.

1948

Auch die SZ steht zum Ärger der Redaktion weiter unter Aufsicht der US-Militärbehörden. Vor allem bei Kommentaren, die aus deren Sicht den Nationalsozialismus verharmlosen, greifen sie durch. Solche Texte gibt es kaum im Blatt. 1946 wird die SZ dagegen wegen „Respektlosigkeit gegenüber den Besatzungsmächten“ mit Papierentzug bestraft, ein einmaliger Vorgang. Erst 1949 erlischt die US-Kontrolle.

1949

Während im Bund das Grundgesetz vorbereitet wird, kursieren in Bayern Pläne, die 1918 abgeschaffte Monarchie wieder einzuführen. Auf der Seite 1 der SZ spricht sich deren „Gesamtredaktion“ entschieden gegen Könige in München aus. Hauptautor ist wahrscheinlich Werner Friedmann, der 1951 Chefredakteur wird.

1954

Das „Wunder von Bern“ und die umjubelte Heimkehr der Fußballweltmeister feiert auch die SZ mit einer Ausgabe, in der es seitenweise um nichts anderes geht.

1961

Adolf Eichmann, der Cheforganisator des Holocaust, steht in Jerusalem vor Gericht. 

In der SZ berichtet Sonderkorrespondent Albert Wucher schonungslos über das noch großteils verdrängte Grauen der Judenverfolgung. Im August verfasst Ursula von Kardorff ihr „Berliner Tagebuch“ über den Schock des Mauerbaus.

1965  

Der stellvertretende Chefredakteur Hugo Deiring beginnt mit dem Aufbau des heutigen Netzwerks eigener Auslandskorrespondenten. Bis dahin wurden große Reportagen aus anderen Ländern meist von Sonderkorrespondenten wie dem legendären Hans Ulrich Kempski (1922 – 2007) verfasst. 

Dessen Reportagen über den Algerienkrieg führten 1960 zur einer Staatskrise in Frankreich. Seine Artikel beginnen oft mit der Dachzeile „Hans Ulrich Kempski berichtet“.

1966

Wolf Schneider fordert das Elektroauto! In einem Leitartikel lehnt der spätere Sprachhüter Jahrzehnte vor Tesla den Verbrennungsmotor als umweltschädlich ab. 

Dem Thema Umwelt bleibt die SZ verbunden, Christian Schütze warnt als einer der ersten Umweltredakteure Deutschlands schon 1989 vor dem Klimawandel.

1967

Der Vietnamkrieg eskaliert, nicht nur in den USA, auch in Europa wächst der Protest. Werner Holzer reist für die Süddeutsche Zeitung als Berichterstatter nach Vietnam und beschreibt den mörderischen Krieg aus nächster Nähe, er fliegt sogar mit einem US-Hubschrauber mit ins Gefecht. Für Zeitungsreporter ist Vietnam eine neue Herausforderung: Erstmals bringt das Fernsehen einen Krieg direkt zu den Zuschauern ins Wohnzimmer.

1968

„In der Nacht fällt Prag in einen unruhigen, von Alpträumen gequälten Schlaf“, schreibt SZ-Reporter Manfred von Conta über das gewaltsame Ende des „Prager Frühlings". Er erlebt die Invasion des Warschauer Paktes live mit.  

1971

Gesellschafter, Geschäftsführung, Betriebsrat und Redaktion beschließen das bis heute gültige Redaktionsstatut, das die politische Linie der Zeitung auf „freiheitliche, demokratische Gesellschaftsformen nach liberalen und sozialen Grundsätzen“ verpflichtet; eine Art Grundgesetz der Süddeutschen Zeitung. Außerdem schützt das im Geist der Reformära Willy Brandt geschaffene Statut die Redaktion vor Eingriffen des Verlages in ihre innere Freiheit und macht die Besetzung von Führungsposten von der Zustimmung der leitenden Redakteurinnen und Redakteure sowie des Redaktionsausschusses abhängig. 

1972

5. September: Kurz vor elf Uhr abends hören die SZ-Reporter vor dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck die ersten Schüsse. Doch die versuchte Geiselbefreiung endet in einem Blutbad. Beim Überfall palästinensischer Terroristen auf Israels Team der Olympischen Spiele in München sterben 17 Menschen. Die SZ wird sich noch lange mit dem Versagen der Sicherheitsbehörden befassen.

 1974

„Wohl jeder fühlt sich wehrlos gegen Sympathiegefühle für diesen Willy Brandt, der es im Leben nie leicht gehabt hat, weil er sich das Leben schwer macht.“ So schrieb Chefkorrespondent Kempski (rechts neben Brandt) einmal über Willy Brandt. Er pflegte ein enges Verhältnis zum SPD-Kanzler, dem er sogar nahelegte, dessen Erzrivalen Herbert Wehner rauszuwerfen. Brandt tat es nicht und stürzte 1974.

1977

„Es war alles vergebens“, schreibt Bonn-Korrespondent Klaus Dreher über die Versuche, den von der RAF entführten Hanns Martin Schleyer zu finden, im Blatt zwei Tage nach der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten. Der „Deutsche Herbst“ erschüttert die Republik.

Die SZ verändert sich: Der Lokalteil wird ausgebaut durch Regionalausgaben für die Landkreise Freising, Erding, Ebersberg, Bad Tölz-Wolfratshausen, Starnberg, Fürstenfeldbruck und Dachau.

1982

Die FDP verlässt die sozialliberale Koalition, Helmut Kohl (CDU) wird Bundeskanzler; er bleibt es für 16 Jahre. Vor allem seinen anfänglichen Versuch einer „geistig-moralischen Erneuerung“ verfolgt die SZ sehr kritisch. 2010 aber, zu Kohls 80. Geburtstag, schreibt auch sie angesichts seiner Verdienste um die deutsche Einheit: „Ein Riese außer Dienst“. 

1984

Für die SZ sind es erfolgreiche Jahre, in denen das Blatt behutsam modernisiert wird und der Verlag Geld in ein neues Druckzentrum in München-Steinhausen investiert. Die alte Druckerei in der Innenstadt ist längst viel zu klein geworden. Das Druckzentrum, eines der modernsten in Europa, wird Anfang Dezember in Betrieb genommen.

1988

Am 3. Oktober stirbt Ministerpräsident Franz Josef Strauß, die übermächtige Figur der Politik in Bayern. Die SZ hat mit ihm und der ewigen Staatspartei CSU oft die Klingen gekreuzt. Chefredakteur Dieter Schröder schreibt im Nachruf: „Er war kein König ohne Land, aber er war ein König ohne große Macht; diese, obwohl heiß begehrt und umworben, hatte sich ihm immer entzogen.“

1989

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November leitet eine Epochenwende ein. Unmittelbar nach der Grenzöffnung reist SZ-Fotografin Regina Schmeken nach Berlin und hält, wie stets in Schwarz-Weiß, bewegende Szenen aus einer Stadt fest, die dieses eine Mal bebt vor Jubel und Euphorie, nach 28 Jahren Teilung.

1990

Das erste SZ-Magazin liegt der Freitagsausgabe bei, mit Texten über Schnittblumen, Oskar Lafontaine, die deutsche Einheit, eine Schweizer Malerin und das Münchner Nachtleben.

Erster Chefredakteur ist Andreas Lebert. Das Magazin entwickelt sich sehr erfolgreich.

1991

Die Suche nach der Wahrheit kann lebensgefährlich sein: Egon Scotland, Korrespondent für Südosteuropa, wird beim kroatischen Ort Glina von einem Scharfschützen der serbischen Paramilitärs ermordet. Der Tod des 42-Jährigen ist ein Schock nicht nur für die Redaktion. Scotland ist einer der ersten Journalisten, die in den Balkankriegen getötet werden. In Deutschland wird als Reaktion auf den Mord an Egon Scotland der Verein „Journalisten helfen Journalisten“ gegründet.

1992

Ende einer Ära: Das beträchtlich angewachsene, von den Archivaren sehr sorgfältig angelegte Redaktionsarchiv wird fortan elektronisch geführt. Hier enden die von den damaligen Redakteurinnen und Redakteuren sehr geschätzten Papiermappen mit SZ-Texten zu Themen und Namen. Heute bietet das SZ-Archiv eine der größten deutschen digitalen Pressedatenbanken.

1993

Am 17. Mai erscheint erstmals das jetzt-Magazin als Beilage der Süddeutschen Zeitung. Es liegt fortan der Montagsausgabe bei. 

Die Webseite jetzt.de bleibt auch nach Einstellung des Heftes infolge der Konjunkturkrise ab 2002 bestehen und erfreut sich in der Gegenwart wachsender Klickzahlen, sprich neuer Nutzer.

1995

Die digitale Zukunft bricht auch bei der Süddeutschen an, wie schnell sie sich entwickeln wird, ahnen erst wenige; die SZ startet ihr Online-Angebot, aus dem später das Internetportal SZ.de wird. Ein Vierteljahrhundert später wird das Geschäftsmodell vor allem auf drei Säulen ruhen: der Website SZ.de, der klassischen Printzeitung und deren digitaler Version. 

1998

Das Angebot auf der Homepage wird erweitert, Leser können sich per Mail beteiligen, ein Nachrichtenticker „garantiert Aktualität über den letzten Redaktionsschluß der Printausgabe hinaus“, wie eine Hausmitteilung stolz vermeldet. 

1999

Das SZ-Hauptstadtbüro zieht 1999 vom beschaulichen Bonn, dem sprichwörtlichen „Glashaus“, in die Französische Straße mitten im Berliner Regierungsviertel. Günstigerweise liegt der Politikertreff „Borchardt“ in unmittelbarer Nähe. Das Parlamentsbüro wird deutlich ausgeweitet. Ab 1999 lädt die Zeitung einmal im Jahr zur „SZ-Nacht“ wie hier im Jahr 2000 mit Otto Waalkes auf der Bühne. 

Ab 2007 veranstaltet die SZ außerdem jährlich den großen „Wirtschaftsgipfel“ in der Hauptstadt.

2001

„Tastende Schritte im Trümmerfeld“ und „Amerika im Krieg“, so heißen einige der ersten Beiträge, welche die SZ nach den verheerenden Terrorattacken mit Tausenden Toten in New York und Washington veröffentlicht. Die allermeisten Kommentare der Süddeutschen Zeitung lehnen dennoch den Irakkrieg der USA 2003 ab, weil es unbewiesen sei, dass Saddam Hussein hinter „9/11“ stecke und Massenvernichtungswaffen horte. Sie behielten recht.

2002

Nicht alle neuen Angebote sind von Dauer, die Konjunkturkrise trifft auch die SZ. Aus Kostengründen werden die Berlin-Seite und 2003 der mit etwa 20 Redakteuren besetzte Regionalteil für Nordrhein-Westfalen eingestellt. Aus (vergeblichem) Protest erscheint das Streiflicht nur mit einem einzigen kurzen Satz und drückt den Kollegen sein Bedauern aus. 

2008

Redaktion und Verlag ziehen neben das Druckereigebäude in Steinhausen in ein Hochhaus – nach 63 Jahren in der Münchner Innenstadt in ein „städtebauliches Wildschweingehege“, wie es Oberbürgermeister Christian Ude auf der Abschiedsparty ausdrückt. Die SZ wird zu 81,25 Prozent übernommen von der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), von den fünf Besitzerfamilien behält nur die Familie Friedmann ihre Anteile.

2009

Unter Chefredakteur Hans Werner Kilz und dessen Stellvertretern (und späteren Nachfolgern) Kurt Kister und Wolfgang Krach wird das von Hans Leyendecker geleitete Ressort für Investigative Recherche geschaffen und zählt zu den neuen Markenzeichen der SZ. Oftmals arbeiten „die Investigativen“ (Hausjargon) dabei mit Kollegen internationaler Medien zusammen.   

2011

Von zentraler Bedeutung für die Zukunft der Zeitung ist nun die digitale Ausgabe: Ab Oktober ist die grüne SZ-App erhältlich, mit der man die Tageszeitung schon am Abend vor dem eigentlichen Erscheinungstag weltweit herunterladen kann, seit März 2015 ist es Lesern möglich, mit dem Angebot SZ Plus auf alle Ausgaben der Zeitung und die zahlreichen digitalen Zusatzangebote wie Videos und Podcasts zuzugreifen.

2014

Da lehnt sich die Redaktion aber weit aus dem Fenster: „Das Tor zur Welt“ titelt sie nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft in Rio, und weiter: „Was für ein Spiel. Was für ein Kampf. Was für ein Triumph. Deutschland ist Weltmeister. Es ist die perfekte Vollendung einer lange geplanten Revolution.“ Nicht ganz der SZ-Stil. Aber man muss sich auch mal freuen dürfen. 

2015

Hunderttausende Flüchtlinge, vor allem aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens, suchen Sicherheit in Europa. Viele in der SZ wie ihr Leitartikler Heribert Prantl begrüßen den liberalen Aufnahmekurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel. In der Redaktion wie in der Leserschaft gibt es aber auch Gegenstimmen. 

2016

Die „Panama Papers“ enthüllen weltweite Steuerskandale. Ein „John Doe“ hat dem SZ-Ressort Investigative Recherche große Datenmengen zugespielt. Für die „Panama Papers“ erhalten „die Investigativen“ (Hausjargon) und die beteiligten Kollegen des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) sogar den Pulitzerpreis.   

2019

Als „bsoffene Geschicht“ versucht der Star der österreichischen Rechtspopulisten, Vizekanzler Heinz-Christian Strache (Foto) von der FPÖ, das Ibiza-Video herunter-zuspielen. Dieses von der SZ und dem Spiegel enthüllte Video dokumentiert Straches Verachtung für die Demokratie und führt zu seinem Sturz.

2020

Während der Corona-Pandemie registriert die SZ, ob gedruckt oder digital, eine deutlich zunehmende Leserschaft. Die Zahl der Digitalabonnements übersteigt erstmals die 150 000, die verkaufte Printauflage liegt bei 308 000.

Die SZ erhält eine neue Chefredaktion. Zu Wolfgang Krach (seit 2015) stößt Judith Wittwer als Chefredakteurin; Stellvertreterin und Stellvertreter sind Alexandra Föderl-Schmid und Ulrich Schäfer.