Wie der Flug zum Mond

Vor 40 Jahren gewann Walter Röhrl zum ersten Mal die Rallye Monte-Carlo. Ein Triumph in einer anderen Zeit.

7 Minuten Lesezeit

Von René Hofmann

Walter Röhrl war schlecht vorbereitet für den Auftritt, er hatte keine guten Lederschuhe eingepackt. Vor der Fahrt zum Fürstenpalast in Monte-Carlo musste er neue kaufen, was, wenn es schnell gehen muss, seinen Preis hat im Fürstentum am Mittelmeer und den sparsamen Röhrl ärgerte. Christian Geistdörfer, sein Beifahrer, hatte ganz andere Sorgen: Er fand Fürstin Gracia Patricia dermaßen hinreißend, dass er sie bei der Pokalübergabe auf besondere Weise begrüßen wollte: per Handkuss. Allerdings wusste Geistdörfer nicht, wie ein solcher korrekt anzubringen sei, weshalb er sich vor den letzten Metern der denkwürdigen Siegesfahrt bei einem österreichischen Journalisten Rat holte. Zu Beginn des Zeremoniells stürzte er sich dann tatsächlich eifrig, aber formvollendet auf die Hand der Fürstin, während Röhrl in den ungeliebten neuen Schuhen indigniert daneben stand.

Walter Röhrl (li.) und Christian Geistdörfer. Wahrscheinlich hat es in der Geschichte des deutschen Sports kein unterschiedlicheres Team gegeben, das ähnlich erfolgreich gewesen ist. 

Und wenn es einen Tag gibt, der beides illustriert, dann war es dieser 25. Januar 1980. Vor genau 40 Jahren haben Walter Röhrl und Christian Geistdörfer die Rallye Monte-Carlo gewonnen. Ein ganz besonderer Triumph, weil diese Rallye eine sehr spezielle Sportveranstaltung war. Und weil ein Triumph dort zuvor nur einem deutschen Duo geglückt war, 1960 – also zwanzig Jahre zuvor – Walter Schock und Rolf Moll mit einem Mercedes 220 SE, einem Modell, das aussah wie ein Taxi, weniger wie ein Rennwagen.

Der erste Triumph eines deutschen Fahrers in Monte Carlo: Walter Schock und Rolf Moll in ihrem Mercedes 220 SE.

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Der erste Triumph eines deutschen Fahrers in Monte Carlo: Walter Schock und Rolf Moll in ihrem Mercedes 220 SE.

Das Auto, mit dem Röhrl und Geistdörfer zum Triumph brausten, sah auch noch nicht wie ein echter Rennwagen aus, eher wie eine aufgemotzte Familienkutsche: Es war ein Fiat 131 Abarth, eine kantige Kiste, damals das Größte, was die Italiener im Programm hatten. Weiß-blau lackiert, die Startnummer Zehn groß auf die Türen geklebt. Nicht unbedingt ein Traumwagen, aber das Vehikel, mit dem Röhrl seinen Traum erreichte, den einen großen Traum, den er in seinem Leben hatte: sich selbst zu beweisen, dass er der beste Autofahrer war. Dass die Welt ihm dabei zusah, nahm er billigend in Kauf. 

„Ich habe ja alles im Kopf gehabt, nur eines nicht: berühmt zu werden. Das wollte ich vermeiden. Deshalb bin ich Rallyefahrer geworden. Da fährt man in der Nacht durch den Wald, ohne Leute, um selbst zu wissen, ob man ein Träumer ist, oder ob man’s drauf hat“: So hat Röhrl seine Motivation einst beschrieben. An jenem 25. Januar 1980 durfte er sich bestätigt fühlen: Er hatte es drauf. Nochmal O-Ton Röhrl: „Monte-Carlo habe ich als das empfunden, was den besten Fahrer zeigt: Der muss auf Asphalt schnell sein, der muss auf Schnee schnell sein. Der muss eine unheimliche Kondition haben. Und der muss sich sicher sein, wo er fährt. Da ist kein Platz, für einmal durch den Graben fahren. Denn der Graben ist ein Felsen oder ein Abgrund.“

Aus heutiger Sicht mag das befremdlich klingen: dieses Martialische, Unerbittliche, Getriebene, aber so war die Zeit damals. Trainiert wurde auf öffentlichen Straßen oder in einsamen, aber nicht immer abgesperrten Wäldern, manchmal auch auf zwei Rädern.

Bei den Rallyes standen Menschenmassen nicht nur an der Straße, sie standen auf der Straße; die Fahrer rasten mitten hinein und hofften, dass sich das Menschenmeer rechtzeitig teilte. Die Rallyes dauerten lange. Bis zu 40 Stunden, in denen die Fahrer vielleicht vier Stunden Schlaf fanden. Es war eine wilde, ungezügelte Zeit. Und bei der Monte wurde jedes Jahr das Hochamt gefeiert. 

Die spektakulärste Etappe führte über den kurvigen, oft schneebdeckten, 1600-Meter-hohen Col de Turini. "Das war die Kathedrale des Rallyesports, das, was Wimbledon im Tennis oder das Bernabéu-Stadion im Fußball ist. Da musste man morgens um zehn los, um abends um zehn einen Platz zu bekommen", erinnert sich Peter Lill, der das Ereignis damals für die Springer-Zeitungen miterlebte.

"Bei minus 20 Grad standen da 15 000 und haben eine Mischung aus Frostschutzmittel und Rotwein gesoffen“, erzählt Lill. Um den Spektakelfaktor zu erhöhen, schaufelten die Zuschauer gerne Schnee auf die Fahrbahn.

Die Scheinwerfer der heranbrausenden Autos schnitten helle Schneisen in die Dunkelheit, so formte sich der Name für diesen Showdown: die Nacht der langen Messer.  

 „Als erstes hat man die Autos gehört, dann kamen sie um die Kurve geschossen, und wenn sie dann mit einem Grollen wieder verschwunden sind, dann ist einem das Blut in den Adern geronnen. Das war ganz großes Kino“, sagt Lill, „heute sind die Autos viel schneller. Aber damals wurde noch geschaltet.“ Das heißt: Es knallte, es knatterte, es zischte, es stank. Kurz: Es ging so ganz anders zu, als es heute schicklich ist. Aber ganz so ignorant, wie es scheint, war die Szene auch nicht. Das Thema Ressourcensparen gab es auch damals schon. 

Die Rallye Monte-Carlo war 1911 gegründet worden, mitinitiiert vom damaligen Fürsten Albert I., um auch im Winter Touristen in sein Reich zu locken. Und um möglichst viele davon zu erreichen, gab es einen Prolog, zu dem die Teilnehmer an vielen verschiedenen Orten in Europa starteten und sich in eine Sternfahrt auf Monaco zubewegten. 1980, nach der zweiten Ölkrise, ausgelöst durch Förderausfälle nach der Islamischen Revolution im Iran, war diese deutlich verkürzt worden: auf knapp 2000 Kilometer.   

Das Problembewusstsein war schon vorhanden, aber es war noch nicht wirklich ausgeprägt. Zu groß war die Begeisterung, die sich fürs Auto als Vehikel der Freiheit in den siebziger Jahren entwickelt hatte. Ford Capri, Opel Manta, BMW 2002, Golf GTI – mit sportlichen Einsteigermodellen hatten die Autofirmen den Fahrspaß demokratisiert.

In Afrika kam es zu einem Duell Mann gegen Frau


Und um die Massenware zu individualisieren, rollte eine große Tuningwelle durchs Land, Front- und Heckspoiler wurden montiert, Rallyestreifen über die Flanken der Kompaktsportler gemalt, Fuchsschwänze an den Antennen aufgezogen. Zur Einordnung: 2018 starben in Deutschland knapp 3200 Menschen bei Verkehrsunfällen. 1980 waren es – alleine in Westdeutschland – 15 000. Damals galt die Gurtpflicht zwar schon, es wurden aber noch keine Bußgelder erhoben und viele lehnten das Anschnallen ab, weil sie sich eingeengt fühlten. In diese Stimmungslage hinein fiel Röhrls Erfolg 1980 (und später im Jahr der erste WM-Titel des Motorradfahrers Anton „Toni“ Mang); die Formel 1 spielte in jenen Jahren in Deutschland keine große Rolle.

Was Röhrls Popularität wuchern ließ: seine unaufgeregte Art. Seine Unverstelltheit. Und dass sein Sportgerät so herrlich gewöhnlich wirkte. Das Außergewöhnliche – vom Monte-Sieg eilte er 1980 weiter zum WM-Titel – glückte ihm mit etwas vermeintlich für jedermann Verfügbarem. Und als er zwei Jahre später das gleiche Kunststück genauso wieder hinbekam, war sein Mythos gefestigt. Im biederen Opel Ascona rang Röhrl 1982 die Vierrad-getriebenen Audis nieder, erst bei der ausnahmsweise schneelosen Monte, dann auch im WM-Duell. Es war ein Sieg der bewährten Technik über die noch nicht ganz ausgereifte Avantgarde. Und einer in einem besonderen Duell: Mann gegen Frau.

Die Französin Michèle Mouton hatte damals die besten Chancen, die erste Weltmeisterin zu werden, doch beim Wettbewerb an der Elfenbeinküste vergab die Audi-Fahrerin diese – von Röhrl gehetzt. Das Geschlechterthema war auch damals schon eines, das Schlagzeilen generierte.  

Als Röhrl nach einer Wertungsprüfung, auf der es ziemlich lang ziemlich steil auf ziemlich viel Schotter bergauf ging, meinte, man könne „auch einen Affen“ in einen der allradgetriebenen Audis setzen, wurde dies als Angriff auf Mouton gewertet.   

Geschadet hat die Publicity, die dies brachte, am Ende niemandem. Mouton wurde von ihrem Sponsor, der Mineralölfirma BP, bewusst als PS-Amazone inszeniert.     

Zwei weitere Male hat Röhrl die Monte noch gewonnen: 1983 glückte es ihm dank einiger Tricks, mit einem heckgetriebenen und konsequent auf Leichtbau getrimmten Lancia 037, die Audi Quattro zu überrumpeln. Geistdörfer und er ließen mitten in der Wertungsprüfung Reifen wechseln und heimlich Salzstreuer ausrücken, um die Fahrspur schneefrei zu bekommen. 1984 schließlich jagte Röhrl selbst in einem Quattro voraus. Vier Siege bei der berühmtesten Rallye für vier Marken in vier grundverschiedenen Autos – bis heute ist keinem anderen Ähnliches gelungen. 

„Damals ist in kurzer Zeit technisch unheimlich viel passiert“, erinnert sich Christian Geistdörfer: „Meine erste deutsche Rallyemeisterschaft bin ich 1975 gefahren, mit einem BMW 2002 tii, der gerade einmal 120 PS hatte und ein völlig serienmäßiges Fahrwerk. Bis 1980 hatte sich da noch gar nicht so viel verändert, unser Fiat für die Rallye Monte-Carlo hatte 240 PS. Der große Sprung kam 1981 mit den Audis: die hatten Allradantrieb und Turbo-Motoren, die auf einen Schlag 300 PS leisteten. Das hat die Welt auf den Kopf gestellt. Alle mussten nachziehen.“ 

In kürzester Zeit wuchs die Leistung in zuvor nicht vorstellbare Bereiche. „Unser Lancia 037 aus dem Jahr 1983 hatte 310 PS, da waren die Audis schon bei 380“, weiß Geistdörfer. Das Reglement erlaubte grenzenlose Freiheiten. Turbos wurden mit Kompressoren kombiniert, die PS-Zahlen kletterten und kletterten. „450, 480, 500, 550 PS – es gab kein Limit. Wir sind da mit echten Höllenmaschinen durch die Wälder gefahren. Es war wie der Flug zum Mond“, sagt Geistdörfer.  

Die immer schnelleren Maschinen forderten die Fahrer immer mehr und lockten immer mehr Zuschauer zu den Rallyes, Hunderttausende pilgerten in die Wälder. Alles verdichtete sich in kurzer Zeit immer stärker, bis 1986 die Explosion erfolgte: Im März rutschte in Portugal Joaquím Santos in eine Zuschauermenge; bei dem Unfall wurden drei Menschen getötet und mehr als 30 schwer verletzt. Zwei Monate später kam der Finne Henri Toivonen bei der Korsika-Rallye von der Strecke ab, schleuderte gegen einen Baum und verbrannte wie sein Beifahrer Sergio Cresto.

Die Unfälle brachten das Aus für die überzüchteten Boliden, nach der Saison 1986 wurden sie verboten, womit die zügellose Zeit vorbei war. 

Im Audi 200 quattro verging Walter Röhrl der Spaß, er beendete seine Karriere.

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Im Audi 200 quattro verging Walter Röhrl der Spaß, er beendete seine Karriere.

Kurz darauf beendete Walter Röhrl seine Karriere. 1987 bestritten er und Geistdörfer noch drei Rallyes mit einem Audi 200 quattro, aber mit einem so großen, so schweren und gerade einmal 200 PS starken Auto auf Zeitenjagd zu gehen, das bot Röhrl keinen Reiz mehr. Er verabschiedete sich mit den Worten: „Das kann jeder, da braucht man mich nicht dafür.“