Endlich richtig widersprech­en

Mit Rechten reden? Geht. Mit Sexisten auch - wenn Sie ein paar Dinge beachten. Trainieren Sie mit dem interaktiven Streitbot.

9 Minuten Lesezeit

"Also, ich hab lieber einen Mann als Chef, weil die meisten Männer nicht so zickig sind."

"Immer diese Ausländer! Wir sind in Deutschland - hier spricht man Deutsch!"

Und jetzt? Sitzen Sie da, wissen nicht, was Sie sagen sollen, und sagen: nichts. Und ärgern sich im Nachhinein mehr über Ihr Schweigen als über die Provokation. Das geht vielen so, aber Populismus und Vorurteile verlangen nach Widerspruch, nach Diskussion, nach Streit. Die SZ hat auch deswegen Projekte wie die aktuell laufende Werkstatt Demokratie ins Leben gerufen. Weil gesellschaftliche Fronten sich verhärtet, Hass und Hetze zugenommen haben. 30 Prozent der Wähler sind einer Studie zufolge populistisch eingestellt. Rechte Politiker provozieren im Bundestag. Und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes vermeldet einen Anstieg der Anfragen um etwa 70 Prozent, vor allem wegen Rassismus und Sexismus. 

Sogar der Bundespräsident sah sich genötigt, in seiner Weihnachtsansprache dazu aufzurufen, doch mehr miteinander zu sprechen und sich gegenseitig zuzuhören. Das würde sich auch Melinda Tamás wünschen, die zu politischer Bildung und Antidiskriminierung forscht. Sie bietet auch Argumentationstrainings an, die immer mehr Zulauf haben. "Jeder Einwand ist besser als keiner", sagt sie. Aber man kann auch lernen, geschickt und gelassen auf diskriminierende Aussagen zu reagieren und konstruktiv darüber zu diskutieren. 

Wie das gelingt, können Sie direkt ausprobieren - mit unserem interaktiven Trainer können Sie online für schwierige Situationen im Alltag üben. Wir haben dafür auf Basis tatsächlich so gefallener Sätze zwei beispielhafte Szenen entworfen: Stellen Sie sich vor, Sie wären mit folgender Aussage konfrontiert - wie reagieren Sie? 

Sexismus im Job

"Also, ich hab lieber einen Mann als Chef, weil die meisten Männer nicht so zickig sind."

Und? Haben Sie Ihren Kollegen aus der Küche vertrieben oder hat er angefangen verständnisvoll zu nicken? Vielleicht haben Sie die Szene mehrmals durchgespielt und dabei bemerkt: Es gibt mehr als einen Gesprächsverlauf, in dem die Beteiligten ohne Ärger und Empörung auskommen. 

Wie sich eine Diskussion entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab. Entscheidend für Ihr Verhalten ist aber zunächst einmal Ihr Ziel. Hoffen Sie, dass der Kollege sein Frauenbild hinterfragt oder dass er zumindest mal darüber nachdenkt, wie unangemessen solche Sprüche sind? Möchten Sie vor den anderen zeigen, dass eine sexistische Haltung nicht in Ordnung ist? Geht es Ihnen darum, Partei für die im Betrieb benachteiligten Frauen zu ergreifen?

Im Allgemeinen hilft in diesen Situationen, erst mal kurz durchzuschnaufen: Was will ich eigentlich? "Ich muss nicht ständig in Kampfbereitschaft sein, aber ich muss mir über mein Ziel und meine innere Haltung klar werden. Und davon abhängig kann ich mir Strategien zurechtlegen", sagt Tamás. (Am Ende dieses Artikels haben wir zehn davon für Sie zusammengestellt.)

Im Fall des sexistischen Kollegen wird Ihre Intervention dadurch schwieriger, dass Sie ja weiter zusammenarbeiten und ihn deshalb nicht verprellen wollen. Die Beziehungsebene spielt eine entscheidende Rolle im Gespräch - umso mehr, je besser man sich kennt. "Es ist emotional sehr belastend, wenn Menschen, die man mag, Dinge sagen, die man ablehnt", sagt Klaus-Peter Hufer, der sich als Professor an der Universität Duisburg-Essen mit politischer Bildung und Politikdidaktik auseinandersetzt, "man will die eigene Familie ja mögen". 

Wenn es keine belastete Vorgeschichte gibt, kann ein schwieriges Gespräch mit vertrauten Menschen sogar einfacher sein. Weil zum Beispiel Fakten dann ein stärkeres Gewicht haben, wenn man dem Gegenüber vertraut. Wieder anders ist die Ausgangslage, wenn die Gesprächsteilnehmer bislang in keiner Beziehung zueinander standen. Etwa bei Diskussionen auf Social Media oder bei Begegnungen im öffentlichen Raum - zum Beispiel in der Straßenbahn. In dieser zweiten Beispielszene geht es wieder um Ihre Reaktion. Versetzen Sie sich in die Situation hinein - was würden Sie tun

Rassismus im Alltag

"Immer diese Ausländer! Wir sind in Deutschland - hier spricht man Deutsch!"

Bei einem kurzen Wortwechsel mit Fremden in der Öffentlichkeit ist es schwierig, inhaltlich durchzudringen – wichtig ist hier vor allem die Solidarität mit der Angegriffenen und die Vorbildfunktion. Wie Sie mit populistischen oder rassistischen Aussagen umgehen, hängt also nicht nur von Ihren Zielen und Ihrer Beziehung zueinander ab, sondern auch von der Situation.

Professor Hufer hat ein Training gegen sogenannte Stammtischparolen entwickelt. Er betont, wie wichtig es ist, in der Öffentlichkeit Zivilcourage zu zeigen: "Ich empfehle, sich zu positionieren, Stopp zu sagen und zu zeigen, dass man solche Aussagen nicht gut findet." Er gibt aber zu bedenken: "Bei Fremden ist die Frage, wie weit man gehen kann, ohne sich in Gefahr zu begeben."

Gerade im öffentlichen Raum kann es sinnvoll sein, Umstehende anzusprechen und um Unterstützung zu bitten. Nicht selten sind viele Menschen anwesend, aber niemand traut sich einzugreifen. Niemand sollte untätig zusehen, wenn etwa ein rassistischer Übergriff passiert - eine Ausnahme ist aber natürlich, wenn es bedrohlich wird. Der eigene Schutz und der des Opfers bleibt das Hauptziel.

In einer nichtaggressiven Atmosphäre lohnt es sich aber, genauer auf Inhalte und Sprache zu achten. Ihr Gegenüber hat im Gespräch auch Begriffe verwendet wie "Ausländer", "Asylanten" oder "Flüchtlingswelle”. Diese Wörter sind wertend und geben dem Gespräch eine andere Dynamik als etwa "Menschen mit Migrationshintergrund", "Geflüchtete" oder "zeitweise gestiegene Zahl von Asylsuchenden".

Solche Formulierungen geben Denkrahmen vor, in der Linguistik werden sie als Frames bezeichnet. Beim Framing geht es im Kern um die Frage, wie bestimmte Sprachmuster, vor allem Metaphern, einen Deutungsrahmen setzen - also letztlich: das Denken und auch das Handeln steuern. Mit Framing lässt sich Sprache politisch instrumentalisieren und der Gesprächspartner bewusst manipulieren. 

Bei allen Taktiken und Tipps ist aber eines besonders wichtig: "Bleiben Sie authentisch", sagt Trainerin Tamás. Wer sich über fiese Sprüche ärgert, darf das zeigen. Beleidigende und abwertende Aussagen sind tabu; sie verletzen nicht nur den anderen, sondern wirken auch unsouverän. Aber eine scharfe und verärgerte Reaktion ist oft der erste Impuls. Womöglich haben Sie instinktiv auf die offensivere Reaktion geklickt, weil sie angesichts der Aussagen nur angemessen erscheint. Das ist nachvollziehbar und völlig ausreichend, wenn es Ihnen vor allem um einen Konter mit Signalwirkung geht. Wenn Sie aber eine Eskalation verhindern wollen, wenn Sie bei Ihrem Gesprächspartner etwas auslösen wollen, wenn Sie konstruktiver streiten wollen, führt ruhiges, aber beharrliches Nachfragen und Nachhaken eher zum Erfolg.

Je nachdem, welche Strategie Sie verfolgt haben und wie Ihr Gegenüber reagiert hat, gibt es am Ende des Gesprächs drei Möglichkeiten:

Sie haben den anderen überzeugt.

Das ist eine erfreuliche, aber leider unwahrscheinliche Variante. Vorurteile werden oft nicht als Einstieg in eine ernsthafte Debatte geäußert, sondern um etwa Frustration zu auszudrücken. Zudem ist schwierig, in einem Gespräch aufzulösen, was ein Leben lang gepflegt wurde.

Sie sind empört auseinandergegangen.

Ein Gesprächsabbruch fühlt sich nicht angenehm an, aber manchmal lässt er sich nicht vermeiden. Bei bestimmten Aussagen sollte eine Auseinandersetzung sogar bewusst abgelehnt werden. Inhaltliche Grenzen sind definitiv überschritten, wenn die Parole grundgesetzwidrig oder menschenverachtend ist. Rechtsextreme Äußerungen, Gewaltandrohungen, Holocaustleugnungen sind indiskutabel – hier kann es nur noch um deutliche Abgrenzung gehen.

Und schließlich gibt es die graue Mitte, irgendwo zwischen diesen Ergebnissen.

Unterschätzen Sie diese sicher häufigste Variante nicht. Ein Erfolg sei es schon, sagt Hufer, wenn weniger Spannung als zu Beginn des Gespräches fühlbar sei, wenn man beim anderen einen Moment der Nachdenklichkeit und Einsicht erreicht habe. "Wir müssen eine Brücke zueinander bauen, zeigen, dass wir uns gegenseitig ernst nehmen." Denn es gebe durchaus Menschen, die sich von Argumenten überzeugen ließen. "Auf die kommt es an, denn die kann man noch erreichen."

Und hier lesen Sie, mit welchen Strategien Sie gut durch ein Streitgespräch kommen - und wann sich eine Diskussion nicht lohnt:

Und Sie?

Haben Sie solche Situationen schon erlebt? Und wie haben Sie reagiert? Mailen Sie uns Ihre schlagfertigsten Antworten mit dem Betreff "Streitbot". Oder schreiben Sie uns, mit welchen populistischen Sprüchen Sie schon konfrontiert waren, vielleicht können wir sie beim nächsten Mal aufgreifen.

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