Ein Jahr, acht Schiffe, mehr als 3500 gerettete Menschen

Auch 2020 suchten Freiwillige wieder nach Geflüchteten, die auf dem Weg übers Mittelmeer in Seenot geraten sind.

Tausende haben sie so aus überfüllten, nicht seetauglichen Booten gerettet. Doch viele andere starben auf der gefährlichen Überfahrt. Unter anderem, weil den Retter*innen ihre Arbeit in den vergangenen Jahren zunehmend erschwert wurde.

Und dann kam 2020 auch noch die Corona-Pandemie. Was bedeutete das für die Geflüchteten und die Seenotretter*innen? Chronologie eines schwierigen Jahres.

Von Nadja Schlüter, Raphael Weiss, Federico Delfrati, Christian Helten und Felix Hunger

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Auch 2020 war das Mittelmeer eine der häufigsten Fluchtrouten nach Europa. 90 Prozent der Geflüchteten, die diese Überfahrt wagen, starten von Libyen aus, einem Land, in dem seit Jahren Bürgerkrieg herrscht. Dort müssen die Menschen meist in menschenunwürdigen Lagern ausharren. Viele von ihnen werden auf der Flucht von der libyschen Küstenwache abgefangen und in Internierungslager gebracht, andere geraten mit den meist überfüllten und ungeeigneten Holz- und Schlauchbooten in Seenot.

Seit 2015 operieren mehrere zivile Seenotrettungsorganisationen aus verschiedenen europäischen Ländern, vor allem Deutschland, Italien und Spanien, hauptsächlich im zentralen Mittelmeer – und betonen dabei immer wieder, dass die Seenotrettung eigentlich eine staatliche Aufgabe sei, die aber nicht ausreichend wahrgenommen werde. Mehr als 3500 Menschen konnten sie nach eigenen Angaben 2020 aus Seenot retten. Doch seit einiger Zeit wird ihre Arbeit immer stärker durch politische Maßnahmen behindert, zum Beispiel, weil Mittelmeerstaaten wie Italien und Malta sich weigern, Geflüchtete aufzunehmen und die Einfahrt in ihre Häfen untersagen, und die EU „Sophia“, ihre Rettungsmission auf dem Mittelmeer, ausgesetzt hat. Rettungsschiffe werden festgesetzt, und wenn sie im Einsatz sind, funktioniert die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden nur noch lückenhaft. 

Im Laufe des Jahres 2020 waren acht NGO-Schiffe aktiv, meist jeweils nur für wenige Wochen. Derzeit ist nur ein Schiff, die Aita Mari der spanischen Seenotrettungsorganisation „Salvamento Marítimo Humanitario“, im Einsatz, sechs sind in europäischen Häfen festgesetzt, fünf befinden sich im Stand-by-Status, warten also auf nötige Reparaturen, um zur nächsten Mission aufbrechen zu können, oder sind wegen der Corona-Pandemie nicht im Einsatz.

Wir haben die Arbeit der zivilen Seenotretter*innen im Jahr 2020 rekonstruiert und uns dabei auf das zentrale Mittelmeer konzentriert (Seenotfälle und Einsätze in der Ägäis und in anderen Teilen des Mittelmeers wurden also nicht mit einbezogen, mit Ausnahme der monatlichen Zahlen der Internationalen Organisation für Migration, die sich auf das gesamte Mittelmeer beziehen). Dafür haben wir die Aufzeichnungen von neun NGOs aus ganz Europa angefragt, mit Mitarbeiter*innen gesprochen, Medienberichte, Pressemitteilungen und Twitter-Feeds ausgewertet und Behörden gefragt. In manchen Fällen mussten wir uns auf die Beobachtungen der Seenotretter*innen verlassen, ohne die Information über eine zweite Quelle verifizieren zu können.

Eine solche Chronologie kann nicht vollständig sein. Insgesamt ist davon auszugehen, dass nicht alle Seenotfälle bekannt werden. Dass bei weitem nicht alle Menschen, die im Mittelmeer sterben, entdeckt werden. Besonders in Zeiträumen, in denen Schiffe und Flugzeuge von NGOs festgesetzt wurden, ist deutlich weniger über Fluchtbewegung und Notfälle auf dem Mittelmeer bekannt. Rettungen von Küstenwachen und Handelsschiffen haben wir nicht gesondert recherchiert, sondern soweit aufgenommen, wie sie in dem Material über die Arbeit der NGOs erwähnt wurden. Wenn wir Informationen darüber hatten, in welcher Rettungszone des Mittelmeers ein Seenotfall gemeldet wurde, haben wir sie ergänzt: M SAR steht für die maltesische, I SAR für die italienische und L SAR für die libysche „Search and Rescue“-Zone.

2020 erschwerte die Covid-19-Pandemie die Arbeit der NGOs zusätzlich. Die Missionen auf dem Mittelmeer kamen zeitweise vollständig zum Erliegen, gleichzeitig bekam das Thema Seenotrettung wegen der anhaltenden Diskussion über Infektionszahlen und Maßnahmen weniger öffentliche Aufmerksamkeit. „Das Jahr 2020 war für uns Seenotretter*innen extrem kräftezehrend und frustrierend“, sagt Gorden Isler von der Seenotrettungsorganisation Sea-Eye. „Uns wurden so viele Steine in den Weg gelegt wie selten zuvor.“

Januar

Von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 105
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 1125

1. Januar Die Sea-Watch 3 der deutschen Organisation „Sea-Watch“ ist seit dem 30. Dezember auf Mission im Mittelmeer.

7. Januar Der deutsche Kapitän Claus-Peter Reisch von der Seenotrettungsorganisation „Mission Lifeline“ wird in Malta freigesprochen. Zuvor wurde er in erster Instanz zu einer Geldstrafe von 10 000 Euro verurteilt, weil er im Juni 2018 mit mehr als 230 Menschen, die aus Seenot gerettet wurden, einen Hafen in Malta mit einem angeblich falsch registrierten Schiff angesteuert hatte.

9. und 10. Januar Die Sea-Watch 3 rettet in drei Einsätzen 119 Personen aus Seenot (M SAR + L SAR). Am 16. Januar können die Geretteten das Schiff in Tarent, Italien verlassen.

14. Januar Die IOM meldet, dass in den ersten beiden Wochen des Jahres mindestens 953 Geflüchtete zurück nach Libyen in Gefangenenlager gebracht worden seien.

„Es ist in diesem Jahr vermehrt zu illegalen Pushbacks gekommen, bei denen Flüchtende zurück nach Libyen und damit in ein Bürgerkriegsgebiet gebracht worden sind. Die EU und ihre Grenzschutzagentur Frontex arbeitet dabei mit der libyschen Küstenwache zusammen.“

Ruben Neugebauer, Mitgründer und Crewmitglied von „Sea-Watch“

Ayoub Qassem, der Sprecher der libyschen Marine, wies im Oktober 2019 den Vorwurf zurück, die libysche Küstenwache sei für den Tod von Migranten im Mittelmeer verantwortlich, und betonte, sie führe Rettungsoperationen gemäß internationaler Standards durch.

15. Januar Die Open Arms steuert mit 118 Menschen an Bord Messina, Italien, an. Im Anschluss fährt das Schiff nach Syrakus, um den alten Motor zu reparieren.

17. Januar Die Ocean Viking der Seenotrettungsorganisation „SOS Méditerranée“ rettet 39 Menschen aus Seenot (L SAR). Vier Tage später können sie in Sizilien an Land gehen.

22. Januar Die Ocean Viking nimmt von Pozzallo, Sizilien, aus erneut Kurs auf das zentrale Mittelmeer.

24. bis 27. Januar Die Ocean Viking rettet in vier Einsätzen insgesamt 407 Menschen in zwei Schlauch- und zwei Holzbooten aus Seenot. (L SAR, M SAR)

25. Januar Am Morgen erreicht die Alan Kurdi der deutschen Seenotrettungsorganisation „Sea-Eye“ ein Schlauchboot in Seenot, auf dem sich 62 Menschen befinden. In das Boot tritt bereits Wasser ein. Alle Menschen, darunter ein sechs Monate altes Baby, können gerettet werden. Kurze Zeit später erreicht das Schiff ein Hochsee-untüchtiges Boot in der Nähe. An Bord: 17 Passagiere, drei von ihnen sind stark dehydriert und müssen umgehend medizinisch versorgt werden. An Bord der Alan Kurdi befinden sich nun 78 Gerettete. Einen Tag später erklärt Malta, dass es diese Menschen nicht aufnehmen wird.

26. Januar Mit dem provisorisch reparierten Motor bricht die Open Arms von Syrakus, Italien, zu ihrer insgesamt 75. Mission auf.

27. und 28. Januar Die Open Arms rettet in zwei Einsätzen 158 Menschen aus Seenot. Beim dritten Einsatz innerhalb von 24 Stunden rettet die Crew der Open Arms 79 Menschen aus Seenot. Auf dem Schiff befinden sich nun neben der Crew 237 Menschen, einige brauchen dringend medizinische Versorgung.

29. Januar Die Open Arms rettet 45 Menschen, die auf einem kleinen Boot in internationalen Gewässern in Seenot geraten sind.

30. Januar Die Crew der Open Arms rettet 81 Menschen, die auf einem überfüllten, kleinen Doppeldecker-Boot aus Holz in Seenot geraten sind. An Bord des NGO-Schiffes sind nun 363 Gerettete. Malta verbietet dem Schiff, den nächstgelegenen Hafen anzufahren.

Das maltesische Militär evakuiert die 77 Menschen an Bord der Alan Kurdi.

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Februar

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 119
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 626

2. Februar Die Open Arms darf in Pozzallo, Italien, anlegen. Die 363 Menschen verlassen das Schiff. Die Open Arms steuert im Anschluss den Hafen von Barcelona an, um dringend notwendige Reparaturen durchzuführen.

4. Februar Ein Gericht in Palermo gibt die Mare Jonio der italienischen Seenotrettungsorganisation „Mediterranea Saving Humans“ frei. Das Schiff war am 3. September 2019 in Licata, Sizilien festgesetzt worden, weil es trotz eines Verbots in italienische Gewässer gefahren war. Die NGO muss 300 000 Euro Strafe zahlen.

9. und 10. Februar Die Aita Mari der spanischen Seenotrettungsorganisation „Salvamento Marítimo Humanitario“ rettet in zwei Missionen insgesamt 158 Menschen aus Seenot. (M SAR)

10. Februar Den Crews der Sea-Watch 3 und der Mare Jonio werden für ihren Einsatz vom Bürgermeister von Palermo Ehrenbürgerschaften verliehen.

14. Februar Die Menschen an Bord der Aita Mari dürfen in Messina, Italien, an Land gehen. Die Sea-Watch 3 startet eine neue Mission.

18. Februar Die Ocean Viking rettet in zwei Einsätzen insgesamt 182 Personen in einem Holz- und einem Schlauchboot aus Seenot. (L SAR)

19. Februar Die Ocean Viking rettet 92 Personen aus Seenot. (L SAR) Die Sea-Watch 3 rettet 121 Menschen aus Seenot. (L SAR)

23. Februar Die Ocean Viking bringt die an den Vortagen geretteten Menschen zum sizilianischen Hafen Pozzallo. Dort können sie an Land gehen, werden aber wegen der Covid-19-Pandemie in Quarantäne genommen. Die Crew der Ocean Viking wird angewiesen, das Schiff außerhalb des Hafens vor Anker zu legen und dort ebenfalls eine zweiwöchige Quarantäne einzuhalten.

„Wir mussten unsere drei Such- und Rettungseinsätze komplett ohne Koordination der Seefahrtsbehörden durchführen. Die vor Ort zuständige libysche Rettungsleitstelle (JRCC) hat entweder unsere Anrufe nicht beantwortet oder die Person im Dienst sprach kein Englisch. Die Europäischen Leitstellen verwiesen uns immer wieder auf das JRCC und boten keinerlei Hilfe an, obwohl wir ihnen wiederholt mitteilten, dass Tripolis nicht antwortet.“

Nicholas Romaniuk, Such- und Rettungskoordinator von SOS Méditerranée

24. Februar Die Sea-Watch 3 rettet in zwei Einsätzen 73 Personen aus Seenot. (I SAR)

25. Februar Das Gericht in Palermo gibt das Segelboot Alex der italienischen NichtregierungsorganisationMediterranea Saving Humans“ frei, das im Juli 2019 von den italienischen Behörden festgesetzt worden war, weil es trotz eines Verbots in italienische Gewässer gefahren war. Die NGO muss 66 000 Euro Strafe zahlen. Die Alex bleibt 2020 aber wegen der Corona-Auflagen für Freizeitschiffe im Hafen.

27. Februar Gerettete verlassen die Sea-Watch 3 in Messina, Sizilien. Dort werden sie in Quarantäne genommen. Die Crew muss ebenfalls für zwei Wochen in Quarantäne.

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März

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 33
Von NGOs im zentralem Mittelmeer gerettete Menschen: 0

3. März Das deutsche Verkehrsministerium ändert die Schiffssicherheitsverordnung. Bislang waren Kleinfahrzeuge oder Sportboote, die nicht für berufliche Zwecke eingesetzt wurden, davon befreit, ein Sicherheitszeugnis zu führen. Durch die Änderung der Formulierung, dass Fahrzeuge für „Sport- und Freizeitzwecke“ von einem solchen Zeugnis befreit seien, auf „Sport- und Erholungszwecke“, gilt diese Ausnahme nicht mehr für Seenotrettung. 2019 hatte der in Berlin ansässige Verein „Mare Liberum“, der in der Ägäis aktiv ist, mit dem Verweis auf diese Formulierung erfolgreich vor dem Oberverwaltungsgericht Hamburg gegen die Festsetzung eines ihrer Schiffe geklagt. Die neue Regelung betrifft unter anderem die Mare Liberum und das neue Schiff Rise Above von „Mission Lifeline“. Deutsche Seenotrettungsorganisationen und Seerechtler*innen kritisieren das Vorgehen des Verkehrsministeriums und des Verkehrsministers Andreas Scheuer. Eine Recherche des Spiegel belegt später, dass das Verkehrsministerium gezielt die Seenotrettung von NGOs unterbinden wollte.

19. März Die NGO „Mediterranea Saving Humans“ teilt den Crews der Mare Jonio und der Alex in einem offenen Brief mit, dass wegen der Covid-19-Pandemie vorerst alle Rettungsaktionen ausgesetzt werden.

30. März Die Alan Kurdi bricht zu einer Rettungsmission auf. Im Vorfeld bekommt ihre Organisation „Sea-Eye“ einen Brief des Innenministeriums, in dem es die Crew ausdrücklich bittet, nicht auszulaufen, da sich abzeichnet, dass Malta und Italien aufgrund der Corona-Pandemie keine Geflüchteten, die in Seenot waren, aufnehmen werden. Auch andere Organisationen erhalten eine solche Bitte.

„Es war klar, dass durch Corona die Situation extrem schwierig werden würde. Uns wurde von allen offiziellen Seiten abgeraten, dass wir losfahren. Kaum hatten wir den Hafen in Spanien verlassen, haben Malta und Italien angekündigt, keine Menschen an Land zu lassen. Geschlossene Häfen kannten wir ja schon aus den Jahren, als Matteo Salvini in der Regierung war. Aber dass es so schwer werden würde, hätten wir nicht gedacht.“

Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye“ 

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April

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 14
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 194

1. April „Irini“, die neue EU-Mission auf dem Mittelmeer, löst die Mission „Sophia“ ab. Hauptaufgabe ist die die Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen und der Ausbau der libyschen Küstenwache. Seenotrettung ist nicht Teil des Mandats.

6. April Die Alan Kurdi rettet 150 Menschen aus Seenot. Laut „Sea-Eye“-Vorsitzendem Gorden Isler waren noch nie so viele Menschen an Bord des Rettungsschiffes.

7. und 8. April Italien und Malta erklären ihre Häfen aufgrund der Corona-Krise für „unsicher“. Beide Länder weigern sich, die Menschen von der Alan Kurdi aufzunehmen.

13. April Die Aita Mari rettet am Ostermontag 44 Menschen aus einem sinkenden Schlauchboot. An Bord waren eine schwangere Frau und sechs bewusstlose Menschen.

16. April Die Alan Kurdi wartet seit zehn Tagen mit 150 Geflüchteten an Bord, dass ihr ein Hafen zugewiesen wird. Die Lage an Bord spitzt sich zu. Ein Mann versucht, sich das Leben zu nehmen, zwei weitere brauchen dringend medizinische Behandlung. Die drei Männer werden von der italienischen Küstenwache vom Schiff geholt. Einen Tag später werden die restlichen Menschen auf die Fähre Raffaele Rubattino überführt.

17. April Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, bisher Partner von „SOS Méditerranée“, kündigt an, die Zusammenarbeit zum 31. Juli zu beenden. „SOS Méditerranée“ hatte wegen der faktisch geschlossenen Häfen in Italien und Malta zuvor beschlossen, die Arbeit vorerst einzustellen.

19. April Die geretteten Menschen auf der Aita Mari wechseln im Hafen von Palermo auf ein Quarantäne-Schiff.

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Mai

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 12
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 0

5. Mai Die Alan Kurdi wird im Hafen von Palermo festgesetzt. Die italienische Behörden bescheinigen dem Schiff, nicht mehr seetüchtig zu sein.

„Wir werden festgesetzt, weil wir angeblich nicht genügend Toiletten an Bord haben?! Das ist das geringste Problem der Menschen, die wir retten. Die italienische Küstenwache argumentiert, dass wir einen ,Service‘ für Migranten auf See anbieten und nicht Seenotrettung betreiben. Damit übernehmen sie ein rechtspopulistisches Narrativ und sprechen den Menschen ab, dass sie sich in Seenot befunden haben.“

Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye“ 

8. Mai Die italienischen Behörden setzen die Aita Mari fest. Sie kritisierten den technischen Zustand des Schiffs und sprechen von Missachtung der Regeln gegen Meeresverschmutzung. „Salvamento Marítimo Humanitario“ weist diese Vorwürfe als falsch zurück. Das Schiff erfülle alle Vorgaben.
Das UNO-Menschenrechtsbüro verlangt eine Öffnung der Häfen und kritisiert die Festsetzung von Rettungsschiffen sowie die vermehrten Pushbacks nach Libyen. Die beteiligten EU-Länder verstießen mit diesen Maßnahmen gegen das Völkerrecht.

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Juni

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 99
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 409
Von den „Sea-Watch“-Flugzeugen gesichtete leere Boote: 3

„Wenn wir leere Boote sichten, ist zunächst unklar, was mit den Menschen passiert ist. In der Mehrzahl der Fälle dürfte es sich um Rückführungen handeln, es gibt aber auch häufiger Bootsunglücke, von denen niemand was mitbekommt.“

Ruben Neugebauer, Mitgründer und Crewmitglied von „Sea-Watch“

6. Juni Die Sea-Watch 3 startet eine neue Mission.

9. Juni Die Moonbird, eines der beiden Aufklärungsflugzeuge von „Sea-Watch, sichtet drei überfüllte Boote in Seenot. Sie werden von der libyschen Küstenwache zurück an Land gebracht. (L SAR) Die Mare Jonio startet von Trapani, Sizilien, aus eine neue Mission.

17. Juni Die Crew der Mare Jonio berichtet von einem Seenotfall vor der libyschen Küste, der von einem Schnellboot der libyschen Küstenwache vor ihnen erreicht worden sei. Die Küstenwache habe die Menschen zurück nach Libyen gebracht, das Boot sei leer und zerstört gewesen, als die Mare Jonio es erreicht habe.

17. und 18. Juni Die Sea-Watch 3 rettet in drei Einsätzen insgesamt 211 Personen aus Seenot. (L SAR)

Die Moonbird sichtet ein Boot, das von der libyschen Küstenwache abgefangen und zurück an Land gebracht wird. Die NGO gibt an, ein Frontex-Flugzeug sei ebenfalls vor Ort gewesen. (L SAR)

Die Moonbird sichtet einen Seenotfall. Die Crew gibt an, es sei nicht möglich gewesen, den Fall zu melden, weil die zuständigen libyschen Behörden nicht erreichbar gewesen seien. Wahrscheinlich wurde das Boot später von der libyschen Küstenwache zurück an Land gebracht. (L SAR)

Die Moonbird sichtet einen Seenotfall mit 25 Personen und informiert die italienischen und maltesischen Behörden (L SAR, M SAR). Einen weiteren Seenotfall mit 49 Personen meldet sie den maltesischen Behörden. Das Boot erreicht einen Tag später selbstständig die Küste von Lampedusa. Laut Logbuch der Moonbird war ein Frontex-Flugzeug ebenfalls vor Ort. (M SAR)

19. Juni Die Mare Jonio rettet etwa 70 Kilometer vor Lampedusa 64 Menschen aus Seenot. Die NGO gibt an, die Geretteten hätten zwei Tage ohne Trinkwasser auf Rettung warten müssen. Zudem habe man den Körper eines ertrunkenen Menschen gesichtet. Am Folgetag können die geretteten Menschen im italienischen Pozzallo von Bord gehen. (M-SAR)

Die Moonbird sichtet erneut das Boot mit 25 Personen in Seenot (s. 17. und 18. Juni). Die Crew meldet den Fall, laut Logbuch der Moonbird habe Malta nicht kooperiert und Italien einen Eingriff abgelehnt, solange er nicht von Malta angeordnet werde. Die tunesische Küstenwache rettet die Menschen und bringt sie in Tunesien an Land. (M SAR)

21. Juni 211 Gerettete verlassen die Sea-Watch 3 in Porto Empedocle, Sizilien. Dort werden sie in Quarantäne genommen. Die Crew muss ebenfalls für zwei Wochen in Quarantäne.

„Das deutsche Innenministerium hat uns wegen des Infektionsrisikos gewarnt, auszulaufen. Aber in der Ersten Hilfe gilt: Treat first what kills first. Wenn Menschen in Seenot sind, ist das Ansteckungsrisiko sekundär.“

Ruben Neugebauer, Mitgründer und Crewmitglied von „Sea-Watch“

22. Juni Die Ocean Viking startet nach den ersten Grenzöffnungen in Europa eine neue Rettungsmission. Nach dem Ende der Zusammenarbeit mit „Ärzte ohne Grenzen“ hat „SOS Méditerranée“ die Crew um ein eigenes medizinisches Team erweitert.

23. Juni „SOS Méditerranée“ stellt den Bericht „Völkerrecht über Bord“ vor. Darin dokumentiert die Organisation, wie die Europäische Union die Verantwortung für die Seenotrettung im Mittelmeer an die libysche Küstenwache ausgelagert habe. Seit 2017 sei die libysche Küstenwache von der EU aufgebaut und befähigt worden, Schiffbrüchige abzufangen und in das Bürgerkriegsland zurückzubringen. Dieses Vorgehen verstoße gegen das Völkerrecht. Mehrere Protokolle von Einsätzen der Ocean Viking belegen, dass die libysche Rettungsleitstelle bei Notfällen nicht erreichbar war.

„Wer Libyen illegal über das Meer verlässt, sollte kriminalisiert werden, denn diese Menschen setzen damit ihr eigenes Leben aufs Spiel. Wer das tut, sollte dafür zur Rechenschaft gezogen werden. So sollten auch die Menschenrechtsorganisationen mit den Migranten umgehen, um sie vor solch gefährlichem Verhalten zu schützen, anstatt sie in Holzboote zu setzen, der Gnade von Menschenhändlern ausgeliefert.“
Ayoub Qassim, Sprecher der libyschen Marine, in einem TV-Interview im Januar 2019

24. und 25. Juni Die Moonbird sichtet insgesamt fünf Seenotfälle. In zwei Fällen werden die Menschen von der italienischen Küstenwache aufgenommen und an Land gebracht, ein Boot schafft es selbstständig bis nach Lampedusa. Über die zwei übrigen Fälle gibt es keine weiteren Informationen. (M SAR)

Zwei Boote in Seenot werden vermutlich von der libyschen Küstenwache zurück an Land gebracht. (L SAR)

25. bis 30. Juni Die Ocean Viking rettet in vier Einsätzen insgesamt 181 Menschen aus Seenot. Die Crew bittet bei den zuständigen Behörden in Malta und Italien wiederholt um Zuweisung eines sicheren Hafens, ohne Erfolg. (M SAR) Die Ocean Viking sucht zudem zwölf Stunden nach einem Boot in Not vor der libyschen Küste. Es wird schließlich von der libyschen Küstenwache abgefangen und zurück nach Libyen gebracht. Die IOM Libyen berichtet, an Bord sei ein Neugeborenes gewesen, das im Schlauchboot zur Welt gekommen sei. Außerdem seien sechs Menschen gestorben, bevor die Küstenwache das Boot erreicht habe. (L SAR)

26. Juni Die Crew der Mare Jonio berichtet, sie habe mehr als 90 Menschen in Seenot vor der libyschen Küste aufnehmen wollen, die libysche Küstenwache habe ihnen die Rettung jedoch untersagt und die Menschen nach Libyen zurückgebracht. Insass*innen des Bootes hatten der Hilfsorganisation „Alarm-Phone“, die Notrufe vom Mittelmeer entgegennimmt und weiterleitet, gemeldet, an Bord befänden sich acht Leichen. Eine Frau habe auf dem Boot ein Kind zur Welt gebracht.

29. Juni Die Mare Jonio rettet 43 Menschen aus Seenot von einem Fiberglas-Boot. Die Menschen können am 1. Juli in Augusta, Italien, das Schiff verlassen. (L SAR)

Die Crews der Moonbird und des zweiten „Sea-Watch“-Flugzeugs Seabird sichten einen leblosen Körper in der Nähe eines kaputten Schlauchboots. Die NGO berichtet, dass die Behörden informiert wurden, der Körper aber mehrere Wochen lang nicht geborgen wurde. (L SAR)

„Ich bin mir sicher: Wäre die tote Person weiß gewesen, hätte es keine zwölf Stunden gedauert, sie zu bergen.“

Ruben Neugebauer, Mitgründer und Crewmitglied bei „Sea-Watch“

30. Juni Die Crews der Moonbird und der Seabird sichten einen weiteren leblosen Körper.

Die Seabird sichtet und meldet zwei Seenotfälle, über deren weiteren Verlauf nichts bekannt ist. (M SAR)
Die Seabird sichtet einen Seenotfall, die italienische Küstenwache rettet 36 Menschen und bringt sie an Land. (M SAR)

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Juli

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 82
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 0
Von den „Sea-Watch“-Flugzeugen gesichtete leere Boote: 16

1. Juli Die Seabird sichtet drei Seenotfälle. Die italienische Küstenwache rettet 49 Menschen und bringt sie nach Lampedusa. Fünf Menschen bekommen keine Hilfe und erreichen vermutlich Lampedusa. Der Verbleib von 80 Menschen ist nicht geklärt. (M SAR)

2. Juli Die Seabird sichtet einen Seenotfall. Ein Fischerboot hatte das Boot entdeckt und die italienischen Behörden verständigt. Die 15 Menschen werden wahrscheinlich von einem Boot der italienischen Küstenwache aufgenommen und nach Italien gebracht. (M SAR)

Die Seabird sichtet erneut den leblosen Körper vom 29. Juni. Er wurde noch immer nicht geborgen.

3. Juli Die Seabird sichtet einen Seenotfall. Der unter libanesischer Flagge fahrende Tiertransporter Talia reagiert auf den Notruf und rettet 52 Menschen auf Anweisung des Maltesischen Rescue Coordination Center (RCC). Laut „Sea-Watch“ habe das RCC angegeben, dass ein maltesisches Militärschiff die Menschen aufnehmen werde. Sowohl Italien als auch Malta verweigern der Talia anschließend Einfahrt in ihre Küstengewässer. Am Folgetag erlaubt Malta der Talia in Küstennähe zu ankern, da sich das Schiff vor hohem Wellengang in Sicherheit bringen muss. Trotz Krankheitsfällen an Bord müssen die Menschen mehrere Tage auf dem Schiff ausharren, bevor sie am 7. Juli in Malta an Land gehen dürfen. (M SAR)

Der Kapitän der Ocean Viking ruft nach sieben Anfragen nach einem sicheren Hafen in einer Woche und nach sechs Selbstmordversuchen von Geretteten innerhalb von 24 Stunden den Notstand an Bord aus. Die Sicherheit der 180 geretteten Menschen und der Besatzung könne nicht mehr gewährleistet werden. Die NGO fordert alle EU-Staaten auf, eine Lösung für die Überlebenden zu finden. Das Schiff wartet zu diesem Zeitpunkt seit neun Tagen auf Einfahrt in einen Hafen.

4. Juli Ein Team aus Mediziner*innen kommt an Bord der Ocean Viking, um die psychologische Situation der Geretteten zu begutachten.

5. Juli Die Ocean Viking erhält die Anweisung, in den sizilianischen Hafen von Porto Empedocle einzulaufen.

6. Juli 181 gerettete Menschen verlassen die Ocean Viking und wechseln auf ein italienisches Quarantäneschiff im Hafen von Porto Empedocle. Die Crew muss ebenfalls für 14 Tage in Quarantäne.

9. Juli Der leblose Körper, der bereits am 29. Juni und am 2. Juli dokumentiert wurde, wird wieder gesichtet. Er wurde noch immer nicht geborgen. 

Die Sea-Watch 3 wird in Messina auf Sizilien nach einer Kontrolle wegen „technischer Mängel“ festgesetzt. Nach einem Antrag der Crew auf eine „single voyage“ kann sie in eine Werft in Spanien wechseln, wo die Mängel behoben werden sollen.

Die Moonbird sichtet einen Seenotfall, 268 Personen ohne Rettungswesten auf einem überfüllten Schiff. Die Crew informiert die libyschen, italienischen und maltesischen Behörden sowie das UNHCR. Das Boot erreicht schließlich ohne Hilfe Lampedusa. Laut Moonbird war es das Schiff mit den meisten Personen an Bord, das sie jemals gesehen haben. (L SAR)

Die Moonbird sichtet einen weiteren Seenotfall mit 80 Personen. Auch hier informierte die Crew die libyschen, italienischen und maltesischen Behörden sowie das UNHCR. Das Boot erreichte ohne Hilfe Lampedusa. (L SAR)

„jetzt“ hat die zuständigen maltesischen und italienischen Behörden gebeten, zu den wiederholten Vorwürfen der NGOs, sie hätten in Seenotfällen zu spät oder gar nicht reagiert, Stellung zu nehmen. Die Behörden haben die gesetzte Frist verstreichen lassen und bislang nicht geantwortet.

10. Juli Die Moonbird sichtet einen Seenotfall. Das maltesische Militär rettet 25 Menschen und bringt sie nach Malta. (M SAR)

11. Juli Der leblose Körper wurde wieder gesichtet (siehe 29. Juni., 2. und 9. Juli). Er wurde noch immer nicht geborgen.

13. Juli Die Moonbird sichtet einen Seenotfall, 57 Personen ohne Rettungswesten. Die Crew fliegt über den Tag verteilt drei Mal über das Boot. Beim ersten Mal sei ein Fischerboot in der Nähe gewesen, beim zweiten Mal ein Boot der italienischen Küstenwache und das Frachtschiff Karewood Star (Bahamas), ohne zu retten. Beim dritten Mal sei nur noch das Frachtschiff anwesend gewesen. Nachdem italienische und internationale Medien über den Fall berichtet haben, nimmt am 14. Juli ein Schiff der italienischen Finanzpolizei Guardia Di Finanza die Menschen auf und bringt sie nach Italien. (M SAR)

Die Moonbird sichtet 25 Menschen in Seenot. Ausgang unklar. (M SAR)

Die Moonbird sichtet ein Boot mit zehn Personen, das ohne Hilfe Lampedusa erreicht. (M SAR)

16. Juli Die Moonbird sichtet einen Seenotfall, 63 Personen ohne Rettungswesten. Sie informiert die maltesischen Behörden, die angeben, dass alle notwendigen Schritte eingeleitet werden. Die Menschen werden erst am folgenden Tag von einem Schiff des maltesischen Militärs gerettet und nach Malta gebracht. (MSAR)

21. Juli Die Moonbird sichtet einen Seenotfall, 131 Personen ohne Rettungswesten in einem defekten Schlauchboot. Die NGO gibt an, auf drei Notrufe der Crew sei keine Antwort erfolgt, außer von einem libyschen Flugzeug. Die Menschen werden wahrscheinlich von der libyschen Küstenwache zurück nach Libyen gebracht. (L SAR)

Die Crew der Moonbird entdeckt einen leblosen Körper. Die NGO gibt an, auf Nachfrage keine Informationen von den Behörden erhalten zu haben, wann dieser Mensch gestorben sein könnte. Es wird keine Bergungsmission gestartet. (L SAR)

22. Juli Die Ocean Viking wird im Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien festgesetzt. Als Begründung werden Sicherheitsmängel angegeben. Das Schiff habe zu viele Passagiere befördert. Die Moonbird sichtet einen Seenotfall, 160 Personen in zwei überfüllten Booten ohne Rettungswesten. Die Menschen schaffen es ohne Hilfe nach Lampedusa. (M SAR)

24. Juli Bei der Freiwilligenorganisation „Alarm-Phone“ geht ein Notruf ein: Ein Schlauchboot mit 108 Menschen ist in Seenot. Die Moonbird sichtet zudem ein Holzboot mit 72 Menschen in Seenot. Die maltesische Rettungsleitstelle weist die Cosmo, einen Öl-Tanker unter italienischer Flagge, an, beide Fälle zu überwachen, greift aber selbst nicht ein. Als die Situation sich nach mehreren Stunden zuspitzt und das Schlauchboot zu sinken droht, greift die Crew der Cosmo ein, rettet 108 Menschen und bringt sie entgegen der Aufforderung der libyschen Küstenwache, die Geretteten an sie zu übergeben, nach Italien. Das Holzboot wird von der libyschen Küstenwache abgefangen und zurück nach Libyen gebracht. (M SAR)

28. bis 31. Juli Bei der Freiwilligenorganisation „Alarm-Phone“ geht ein Notruf ein, der an die zuständigen Behörden weitergegeben wird. Zwei Tage später sichtet die Moonbird das betroffene Boot. Zwei Handelsschiffe bleiben auf Anweisung des Italian Maritime Rescue Coordination Centres (MRCC) in der Nähe, ohne einzugreifen, da das Boot laut MRCC im Verantwortungsbereich der libyschen Küstenwache sei. Die beiden Handelsschiffe fahren schließlich weg. Am Folgetag sichtet die Moonbird das Boot noch einmal. Die Lage ist kritisch, mehrere Menschen sind über Bord gegangen. Die Moonbird sendet ein Mayday relay, gibt also den Notruf des Boots weiter, und ruft beim italienischen MRCC an. Die NGO gibt an, dort habe sie die Angabe erhalten, man sei beschäftigt. Die 17 Menschen in Seenot werden schließlich – 83 Stunden nach dem ersten Notruf – von dem Handelsschiff Asso Ventinove (Italien) gerettet und nach Italien gebracht. (L SAR)

31. Juli Die Moonbird sichtet 30 Menschen in Seenot, die schließlich von der italienischen Küstenwache nach Lampedusa, Italien, geleitet werden. (L SAR)

Die Moonbird sichtet 97 Personen in Seenot, die von der italienischen Küstenwache gerettet und nach Lampedusa gebracht wurden. (I SAR)

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August

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 136
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 455
Von den Sea-Watch Flugzeuge gesichtete leere Boote: 15

1. August Die Moonbird sichtet 71 Menschen in Seenot. Das Handelsschiff Neverland (Italien) kommt zur Hilfe. Die Menschen werden anschließend vom maltesischen Militär nach Malta gebracht. (M SAR)

2. August Die Crew der Moonbird sichtet 20 Menschen in Seenot. Die NGO gibt an, Behörden seien informierten worden, aber nicht eingeschritten. Vermutlich kommt das Boot am 3. August ohne Hilfe auf Lampedusa an. (M SAR)

Heute vor genau drei Jahren wurde die Iuventa der Berliner NGO „Jugend rettet“ in Trapani, Italien, festgesetzt und die Crew der Beihilfe zur illegalen Einreise beschuldigt. Die Ermittlungen laufen bis heute.

„Wir gehen davon aus, dass die sizilianische Staatsanwaltschaft nicht genug Beweise gegen unsere Crew hat. Aber in jedem Fall wurde erreicht, dass unser Schiff drei Jahre lang an der Kette lag und heute vielleicht gar nicht mehr einsatzbereit ist.“

Sophie Tadeus, Vorstandsmitglied von „Jugend rettet“

3. August Die Moonbird sichtet 26 Menschen in Seenot. Sie werden von der italienischen Küstenwache gerettet und nach Lampedusa gebracht. Ein Mensch stirbt bei der Ankunft in Lampedusa, weitere müssen im Krankenhaus behandelt werden.

4. August Die Moonbird entdeckt 27 Menschen in Seenot. Der Öltanker Maersk Etienne (Dänemark) rettet die Menschen nach Absprache mit den maltesischen Behörden und fährt Richtung Malta. Die maltesischen Behörden verweigern dem Schiff jedoch, die geretteten Menschen an Land zu bringen. Es folgt der bisher längste Stand-Off im Mittelmeer: 38 Tage lang werden Crew und Geflüchtete ausharren müssen. Drei Geflüchtete springen während dieser Zeit aus Verzweiflung von Bord und werden abermals von der Crew gerettet. Schließlich erklärt Italien sich bereit, die Geflüchteten aufzunehmen. (M SAR)

11. August Die Moonbird sichtet und meldet 25 Menschen in Seenot. Der Motor des Holzbootes scheint ausgefallen zu sein, die Menschen paddeln mit den Händen. „Sea-Watch“ gibt an, das Handelsschiff PEMBA (Antigua und Berbuda) sei von den maltesischen Behörden angewiesen worden, die Szene zu überwachen, aber nicht einzugreifen. Das maltesische Militär nähert sich dem Boot. Am nächsten Tag sichtet die Moonbird das Boot immer noch auf dem Meer, die Menschen tragen nun Rettungswesten. Das maltesische Militär nähert sich erneut, arbeitet offenbar am Motor und fährt wieder weg. Das Boot mit den Geflüchteten nimmt mit einem nun wieder funktionsfähigen Motor Kurs auf Lampedusa. Die Menschen werden schließlich von der italienischen Küstenwache aufgenommen. (M ASR)

Auf Anfrage beim maltesischen Militär, ob am Motor des Holzbootes gearbeitet oder er repariert wurde, hat jetzt bisher keine Antwort erhalten.

15. August Die Moonbird beobachtet, wie 90 in Seenot geratene Menschen von der italienischen Küstenwache gerettet und nach Lampedusa gebracht werden. (M ASR)

Die Moonbird sichtet drei Seenotfälle mit elf, 13 und 14 Menschen. Die Crew kann die libysche Küstenwache nicht erreichen. Was mit den Menschen passiert ist, ist ungewiss. (L SAR)

Die Sea-Watch 4 startet ihre erste und einzige Mission in diesem Jahr. Die Crew wird durch ein Team von „Ärzte ohne Grenzen” medizinisch unterstützt.

18. August Die Louise Michel startet von Burriana, Spanien, aus zu ihrer ersten Mission.

22. August Sieben Menschen in Seenot werden von der Louise Michel und der Moonbird entdeckt und von der Sea-Watch 4 gerettet. (L SAR)

23. August Die Moonbird sichtet zwei Boote der libysche Küstenwache. Eines hat die reglosen Körper von fünf Menschen aufeinandergestapelt an Bord. Vermutlich Geflüchtete, die nahe der libyschen Küste ertrunken sind. (L SAR)

Die Sea-Watch 4 und die Louise Michel retten gemeinsam 97 Menschen aus Seenot.

24. August Die Sea-Watch 4 rettet 99 Menschen aus Seenot.

27. August Die Moonbird sichtet zwei Boote mit 40 und 24 Menschen in Seenot, die von der libyschen Küstenwache zurück nach Libyen gebracht werden. Ein Boot wird anschließend von der libyschen Küstenwache verbrannt. (L SAR)

Die Moonbird sichtet 89 Menschen in Seenot. Sie werden von der Louise Michel gerettet. Die italienische Küstenwache übernimmt am 29. August die hilfsbedürftigsten Menschen. Die Verbleibenden werden von der Sea-Watch 4 übernommen. (L SAR)

Die Moonbird sichtet 40 Menschen in Seenot. Die Crew gibt an, sie habe italienische und maltesische Behörden informiert, diese hätten aber keine Rettungsmission gestartet. Das Boot erreicht aus eigener Kraft Lampedusa. (M SAR)

28. August Die Moonbird sichtet 25 Menschen in Seenot. Die Crew gibt an, sie habe die maltesischen Behörden informiert, jene hätten angegeben, zu beschäftigt zu sein, um sich um dieses Boot zu kümmern. Ausgang ungewiss. (M SAR)

Die Moonbird beobachtet ein Einschreiten der libyschen Küstenwache in der maltesischen SAR-Zone. 30 Menschen sind in Seenot und werden zurück nach Libyen gebracht. (M SAR)

Die Moonbird sichtet einen Seenotfall und gibt an, weder die italienischen, maltesischen noch die deutschen Behörden hätten auf den Mayday relay geantwortet. Die Louise Michel kommt zur Hilfe und birgt so viele Menschen, wie es die Schiffskapazität zulässt, und eine Leiche. Für die restlichen Menschen werden Schlauchboote bereitgestellt. Insgesamt werden so 163 Menschen gerettet. Laut Augenzeugenberichten ertranken mindestens vier Menschen, bevor die Louise Michel eintraf. (M SAR)

29. August Die Moonbird sichtet 64 Menschen in Seenot. Die Menschen tragen keine Rettungswesten. Die Crew berichtet, ein Boot des maltesischen Militärs habe sich in der Nähe befunden, die Menschen jedoch nicht gerettet. Als die Crew das Boot in Seenot ein zweites Mal sichtet, tragen die Menschen Rettungswesten. „Sea-Watch“ geht davon aus, dass das maltesische Militär die Rettungswesten bereitgestellt hat, ohne die Menschen an Bord zu nehmen. Das Boot kommt am 30. August aus eigener Kraft in Pachino, Italien, an. (M SAR)

Die Mare Jonio macht sich von Augusta, Italien, aus auf den Weg, um der Louise Michel zu helfen, die nach wie vor Menschen an Bord und in Schlauchbooten betreut. 

Bevor das Schiff die Unfallstelle erreicht, nimmt die italienische Küstenwache die hilfsbedürftigsten der Menschen auf und bringt sie nach Lampedusa. Die Sea-Watch 4 übernimmt die weiteren 152 geretteten Menschen.

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September

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 117
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 409
Von den „Sea-Watch“-Flugzeugen gesichtete leere Boote: 4

1. September Die Moonbird sichtet 18 Menschen in Seenot, die von dem Handelsschiff Asso Ventinove gerettet werden. Drei Menschen werden nach der Rettungsaktion vermisst. Die Überlebenden werden am 2. September nach Pozzallo, Italien, gebracht. (L SAR)

2. September Zwölf Tage nach der ersten Rettungsaktion der Sea-Watch 4 können 353 gerettete Menschen das Schiff in Palermo, Italien, verlassen. Die Geretteten und die Crew werden für 14 Tage in Quarantäne genommen.

Die Louise Michel erreicht den Hafen von Palma de Mallorca und wird dort festgesetzt. Die Berufsgenossenschaft Verkehr teilt der Crew mit, dass die Registrierung als Sportyacht nicht mehr anerkannt werde. Das Schiff bekommt schließlich eine „single voyage permission“, um nach Burriana, Spanien, zu fahren und dort an den Auflagen zu arbeiten, die für eine neue Registrierung erfüllt werden müssen.

4. September Die Moonbird wird von den italienischen Behörden festgesetzt, mit der Begründung, dass die Crew „search and rescue“-Operationen durchführe, diese aber nur von Staaten beauftragt werden können. Die NGO gibt an, keine SAR-Operationen, sondern Menschenrechtsbeobachtung durchzuführen und Seenotfälle pflichtgemäß zu melden. Mitte November erhält das Flugzeug die Startgenehmigung zurück.

5. September Die Open Arms kann nach über sieben Monaten und einigen Reparaturen wieder Einsätze fahren.

10. September Die Open Arms rettet 83 Menschen aus Seenot.

Die Mare Jonio startet von Pozzallo, Italien, zu einer neuen Mission.

11. September Die Open Arms rettet in der Nacht 77 Menschen aus Seenot. Am selben Tag rettet die Crew 116 Menschen in Seenot, die seit drei Tagen ohne Essen und Trinken auf dem Meer treiben. Open Arms und die NGO „Emergency“ berichten, dass Malta zuvor einem nahegelegenen Handelsschiff Anweisung gegeben habe, den Menschen keine Hilfe zu leisten. Im Anschluss lehnt Malta die Aufnahme der Menschen an Bord der Open Arms ab.

Beim bisher längsten Stand-Off im Mittelmeer zeichnet sich ein Ende ab: Nach über einem Monat kann die Maersk Etienne die 27 Geflüchteten an Bord an die Mare Jonio übergeben, nachdem deren medizinisches Team die psychische und physische Verfassung der Menschen als sehr kritisch eingestuft hatte. Malta lehnt die Aufnahme der Menschen ab. Das Schiff nimmt Kurs auf Italien und bittet um Zuweisung eines sicheren Hafens. Am 12. September können die Menschen in Pozzallo, Italien, von Bord gehen. Zuvor wurden bereits eine schwangere Frau und ihr Ehemann durch die italienische Küstenwache evakuiert.

„Als wir 2015 mit unserer Arbeit anfingen, haben die NGOs mit den zuständigen Behörden zusammengearbeitet und Gerettete an die Küstenwachen übergeben. Heute gibt es fast keine Kooperation mit staatlichen Stellen mehr. Die Schiffe der zivilen Seenotrettung müssen mit Geretteten an Bord auf Einfahrt in einen Hafen hoffen – und können in dieser Zeit keine weiteren Rettungen durchführen.“

Sophie Tadeus, Vorstandsmitglied bei „Jugend rettet“

12. September Die Seabird sichtet 57 Menschen in Seenot. „Sea-Watch“ gibt an, weder die libyschen noch die italienischen Behörden hätten auf die Informationen der Crew reagiert. Das Boot erreicht wahrscheinlich am 13. September ohne Hilfe Lampedusa. (L ASR)

14. September Das Handelsschiff Asso Ventinove rettet 95 Menschen aus Seenot und bringt sie am folgenden Tag nach Trapani, Italien. (L ASR)

17. September Die Open Arms darf noch immer nicht in einem europäischen Hafen anlegen. Mittlerweile hat das Schiff die Erlaubnis, in italienischen Gewässern nahe Palermo Anker zu legen. Einige Menschen an Bord benötigen dringend medizinische Hilfe. Die Situation spitzt sich zu, das Schiff ist überfüllt, Nahrungsmittel und Getränke werden knapp. 76 Menschen springen aus Verzweiflung ins Wasser und versuchen, nach Palermo zu schwimmen. Die italienische Küstenwache holt die Menschen aus dem Wasser und bringt sie ans Festland.

18. September 48 weitere Menschen springen von Bord der Open Arms und versuchen, nach Palermo zu schwimmen. Wenig später erlauben die italienischen Behörden, die geretteten Menschen auf ein Quarantäneschiff im Hafen von Palermo zu bringen. Die Crew der Open Arms muss ebenfalls in Quarantäne. Anschließend wird das Schiff nach Barcelona zurückkehren, um Reparaturen vorzunehmen.

19. September Die Alan Kurdi rettet 90 Menschen von einem Schlauchboot in Seenot, kurz darauf 24 weitere Menschen, in der Nacht weitere 19. 133 Menschen, darunter 62 Minderjährige, befinden sich nun an Bord der Alan Kurdi. Weder Malta noch Italien wollen die Menschen aufnehmen.

20. September Die Seabird sichtet 28 Menschen in Seenot. Sie werden von der italienischen Küstenwache gerettet und nach Lampedusa gebracht. (M SAR)

Die Sea-Watch 4 wird nach einer Hafenstaatkontrolle in Palermo wegen „technischer Mängel“ festgesetzt. Nach Angaben der NGO läuft aktuell ein Gerichtsverfahren gegen die Festsetzung (Stand 15.12.).

22. September Die Seabird sichtet in der Nähe der libyschen Küste 84 Menschen in Seenot. Einer Kammer des überfüllten Schlauchboots ist die Luft bereits ausgegangen, einige Menschen sind über Bord gegangen. Nach Mayday relay der Seabird werden die Menschen durch die libysche Küstenwache gerettet und zurück nach Libyen gebracht. Laut IOM Libyen gibt es keine Vermissten. (L SAR)

23. September Die Seabird sichtet ein Boot mit kaputtem Motor und 29 Menschen in Seenot. Der Mayday relay der Seabird bleibt nach Angaben der NGO unbeantwortet, obwohl das Handelsschiff Asso Trenta (IT) etwa 70 Kilometer entfernt gewesen sei. Der Versuch der Crew, die libyschen Behörden zu kontaktieren, sei erfolglos gewesen, italienische und maltesische Behörden wurden informiert. Der Ausgang ist ungewiss. „Sea-Watch“ vermutet, dass die Menschen von der libyscher Küstenwache zurück nach Libyen gebracht wurden. (L SAR)

Die EU-Kommission schlägt einen neuen Migrationspakt vor. Kernpunkte sind unter anderem eine Vorüberprüfung von Migrant*innen an der Grenze und ein Schnellverfahren für Asylsuchende aus Ländern mit geringer Anerkennungsrate. Eine verpflichtende Verteilung auf alle EU-Länder – einer der größten Streitpunkte der vergangenen Jahre – soll es nicht geben. Bei der Seenotrettung setzt die Kommission auf freiwillige Zusagen der Mitgliedstaaten und will Empfehlungen für eine bessere Zusammenarbeit mit NGOs geben. Die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte an der EU-Außengrenze soll unter anderem von Frontex überwacht werden. Migrationsforscher*innen sehen die Vorschläge sehr kritisch und sprechen von einer „Abkehr von europäischen Grundwerten und Prinzipien des international verankerten Flüchtlingsschutzes“. Der Migrationspakt werde die bestehenden Probleme verschärfen.

„Alles, was im Zusammenhang mit der Seenotrettung steht, wird von politischen Entscheidungen beeinflusst. Und die haben meiner Meinung nach nur einen Hintergrund: Rassismus. Man lässt die Menschen lieber ertrinken als sie nach Europa zu bringen, weil sie schlicht die ,falsche’ Hautfarbe haben. Unsere Einsätze sind weiterhin ein trauriges Symbol für das Versagen der EU.“

Leona Blankenstein, Crewmitglied der „Louise Michel“

24. September Mitgliedern der medizinischen Crew der Mare Jonio wird im Hafen von Pozzallo, Italien, verboten, das Schiff zu betreten. Das Schiff ist damit faktisch festgesetzt.

25. September Die Seabird sichtet 135 Menschen in Seenot. Die Crew gibt an, sie habe einen Funkspruch des Schiffs Cape Guinea (Marshall Islands) an die libysche Küstenwache abgefangen. Die Crew berichtet von einer Leiche und zwei Menschen im Wasser. Die Cape Guinea habe eingreifen wollen, sei aber vom Italian Maritime Rescue Coordination Center über Funk zurückgehalten worden. Die libysche Küstenwache habe Anweisung gegeben, dass sich das Schiff entfernen soll. Sie rettet die Menschen schließlich und bringt sie zurück nach Libyen. Laut „Sea-Watch“ habe sie sich geweigert, die Leichen zu bergen. Laut Küstenwache wurden zwei weitere Leichen im Boot entdeckt. Die Passagiere berichten der IOM von insgesamt 15 Toten. (L ASR)

Die Alan Kurdi darf in Olbia, Italien, anlegen. 

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Oktober

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 141
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 0
Von den „Sea-Watch“-Flugzeugen gesichtete leere Boote: 4

2. Oktober „Mare Liberum“ gewinnt den Prozess gegen das deutsche Verkehrsministerium. Das von Minister Andreas Scheuer veranlasste Gesetz widerspricht dem EU-Gesetz, urteilt das Verwaltungsgericht Hamburg.

„Die NGOs haben gemeinsam geplant, wie sie gegen diese Verordnung am besten vorgehen können. Das hat den Zusammenhalt gestärkt. Generell war das Jahr 2020 ein Jahr der Behinderung und Verhinderung von Seenotrettung. Es war extrem frustrierend, durchgehend dagegen anzukämpfen. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen.“

Axel Steier, Vorsitzender von Mission Lifeline“ 

9. Oktober Die Alan Kurdi wird erneut von italienischen Behörden in Olbia, Sardinien, festgesetzt.

10. Oktober Die Seabird sichtet ein stark überfülltes Gummiboot mit etwa 130 Menschen an Bord. Die Crew informiert die Behörden in Malta, Italien und Libyen sowie das Schiff Almisan (Italien), das sich laut „Sea-Watch“ weigert, dem Boot Hilfe zu leisten. Ein Flugzeug der European Union Naval Force wurde von der Crew gesichtet. Die NGO gibt an, erst nach 13 Anrufen sei ein Schiff der libyschen Küstenwache gekommen, um die Menschen zu retten. Sie wurden zurück nach Libyen gebracht. (L SAR)

26. Oktober Die Seabird sichtet 87 Menschen in Seenot. Die NGO berichtet, die maltesischen Behörden hätten zunächst angegeben, beschäftigt zu sein, und erst nach dem zweiten Anruf den Fall bearbeitet. Die Menschen werden schließlich von der italienischen Küstenwache gerettet und nach Lampedusa gebracht. (M SAR)

Erneut verbieten italienische Behörden auf Anweisung der Regierung Crew-Mitgliedern der Mare Jonio, die in der Zwischenzeit im Hafen von Augusta, Italien, angekommen ist, das Schiff zu betreten. 

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November

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 184
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 250

„Die Dunkelziffer der Todesfälle im Mittelmeer dürfte weitaus höher sein. Von vielen wissen wir nichts, weil niemand da ist, um sie zu bezeugen. Wir wissen nicht, wie viele Menschen auf völlig überbesetzten Booten einfach im Meer verschwinden.“

Petra Krischok, Pressesprecherin von SOS Méditerranée“ 

2. November Die Mare Jonio erreicht Venedig, wo Reparaturen vorgenommen werden sollen, um neue Auflagen der italienischen Regierung zu erfüllen.

4. November Die Open Arms startet von Barcelona aus zu ihrer nächsten Mission.

6. November Die IOM kritisiert die vermehrten Pushbacks im Ägäischen Meer an der griechisch-türkischen Grenze.

9. November Die Open Arms findet im Meer einen umhertreibenden Rucksack. Im Inneren befinden sich unter anderem Kleidung und ein Ehering mit den Namen „Ahmed“ und „Doudou“ eingraviert. Während die Crew davon ausgeht, dass es sich um den Rucksack eines Ertrunkenen handelt, können wenige Tage später die Besitzer des Rings ausgemacht werden: Sie sind Überlebende eines Schiffsunglücks vom 21. Oktober nahe Lampedusa, bei dem mindestens fünf Menschen gestorben sind.

10. November Die Open Arms rettet 88 Menschen aus Seenot. Am gleichen Tag sinkt ein Schiff mit Geflüchteten in der Nähe der libyschen Küste. Elf Menschen können gerettet werden. Mindestens 13 sterben.

11. November Die Open Arms erreicht ein umgekipptes Schlauchboot. 118 Menschen befinden sich im Wasser. Für sechs Menschen, darunter ein sechs Monate altes Baby, kommt die Hilfe zu spät.

Die Open Arms rettet 64 weitere Menschen aus Seenot.

Eine wissenschaftliche Studie des italienischen Instituts für Internationale Politische Studien (ISPI) belegt, dass das Risiko, auf der Flucht über das zentrale Mittelmeer zu sterben, während der Pandemie gestiegen ist: Zwischen September 2019 und Februar 2020 lag es bei 1,0 Prozent, zwischen Juni und November 2020 bei 1,8 Prozent. Gleichzeitig hat sich die Präsenz der zivilen Rettungsschiffe auf dem Mittelmeer in dieser Zeit halbiert.

12. November Nach einem weiteren Bootsunglück mit 74 Toten vor der libyschen Küste meldet die IOM, dass in den vergangenen Monaten immer mehr Menschen versuchten, Libyen zu verlassen. 

„Die steigende Anzahl von Todesfällen im Mittelmeer zeigt die Unfähigkeit der Staaten, entschieden vorzugehen und die nötigen Such- und Rettungskapazitäten auf der tödlichsten Seeroute der Welt bereitzustellen.“  

Frederico Soda, Leiter des IOM-Büros in Libyen

14. November Die 250 Menschen an Bord der Open Arms werden im Hafen von Trapani auf ein Quarantäneschiff gebracht.

23. November Die Ocean Viking erhält nach erneuter Inspektion durch die italienische Küstenwache die Erlaubnis für eine Fahrt in die Werft von Augusta, Italien. Dort sollen geforderten Anpassungen, unter anderem zusätzliche Rettungsinseln, vorgenommen werden.

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Dezember

Von der IOM registrierte Todesfälle im Mittelmeer: 30 (Stand: 22. Dezember)
Von NGOs im zentralen Mittelmeer gerettete Menschen: 0 (Stand: 22. Dezember)

4. Dezember Eines von zwei Verfahren gegen Luca Casarini und Pietro Marrone, Kapitän und Einsatzleiter der Marie Jonio, wird vom Gericht im italienischen Agrigent eingestellt. Sie waren wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung und Nichtbefolgen von Anweisung eines Mitliärschiffes angezeigt worden, nachdem sie am 19. März 2019 mit 49 aus Seenot geretteten Menschen an Bord den Hafen von Lampedusa angesteuert hatten. Ein weiteres Verfahren, das nach einer Festsetzung der Mare Jonio im Mai 2019 mit den gleichen Vorwürfen aufgenommen wurde, läuft aktuell noch (Stand: 22. Dezember).

8. Dezember Wenige Tage, nachdem die Aita Mari die nötigen Freigaben der Behörden bekommen hat, bricht sie nach sieben Monaten unfreiwilliger Pause zur letzten Mission des Jahres auf.

16. Dezember Vier Kinderleichen werden westlich von Tripolis, Libyen, an Land geschwemmt. Die Kinder waren zwischen fünf und zehn Jahre alt, berichtet das libysche Rote Kreuz. Die Organisation geht davon aus, dass in den kommenden Tagen weitere Leichen an Land geschwemmt werden. So wurden in der Nähe der verstorbenen Kinder weitere Kleidung sowie eine Babydecke gefunden. Wie viele Menschen bei diesem Schiffsunglück insgesamt gestorben sind, ist noch unklar. Das Rote Kreuz wurde am selben Tag über den Notruf eines Bootes mit 30 Menschen an Bord informiert. Es gilt als wahrscheinlich, dass es sich um dasselbe Boot handelt.

17. Dezember Das Europäische Parlament fordert, dass das Grundrecht auf Asyl in der EU respektiert und die Verantwortung gleichmäßig auf die Mitgliedsstaaten verteilt wird. Die Dublin-Verordnung aus dem Jahr 2013 lege „einer Minderheit der Mitgliedstaaten eine unverhältnismäßig hohe Verantwortung auf“, insbesondere Malta, Italien, Spanien, Griechenland und Zypern. Die Abgeordneten fordern mehr Ressourcen für die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen, solange die Dublin-Regeln nicht reformiert werden.

18. Dezember Die IOM berichtet, dass die registrierten Fälle von verstorbenen Geflüchteten im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr zwar gesunken sind, betont aber, dass die Erhebung von Daten durch die Pandemie deutlich erschwert wurde. Die Organisation verweist dabei unter anderem auf 15 sogenannte „unsichtbare Schiffbrüche“ im Mittelmeer. Die IOM geht davon aus, das mindestens 600 Menschen im zentralen Mittelmeer ums Leben gekommen sind, ohne, dass sie in offiziellen Statistiken auftauchen.

21. Dezember: Die Festsetzung der Ocean Viking wird nach einer erneuten Inspektion durch die italienische Küstenwache beendet. Das Schiff soll bald nach Marseille, Frankreich, fahren, Vorräte auffüllen sowie die Rettungscrew und das medizinische Team an Bord nehmen. Nach einer zehntägigen Quarantäne und Testungen auf das Coronavirus will die Crew im Januar zu einer neuen Rettungsmission ins zentrale Mittelmeer aufbrechen. 

Für das gesamte Jahr 2020 hat die IOM 1111 Todesfälle im gesamten Mittelmeer und 739 Todesfälle im zentralen Mittelmeer registriert82 704 Menschen haben das europäische Festland erreicht. (Stand: 22. Dezember) Mehr als 11 000 Menschen auf der Flucht wurden 2020 von der libyschen Küstenwache abgefangen und zurück an Land gebracht (Stand 12.11.).

„Aufgrund der Corona-Pandemie haben die Politiker*innen zu Recht sehr viel darüber gesprochen, dass man alles dafür tun muss, um Menschenleben zu retten. Leider gilt das offenbar nicht für die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Heute sind wir an dem Punkt, an dem die EU-Regierungen untätig dabei zusehen, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken und Schutzsuchende auf den griechischen Inseln Hunger, Angst und Schmerzen leiden.“

Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye