1968: Prager Frühling

„Fünf Freunde verloren,­ die Welt gewonnen“

Die SZ hat zum Jubiläum historische Texte aus 75 Jahren neu aufbereitet. Hier beschreibt der Autor, wie der Widerstand der Prager Bevölkerung Teile der Besatzungstruppen demoralisiert und wie die Situation sich zusehends verschärft.

 Von unserem Korrespondenten Manfred von Conta  

Was vorher geschah:

Was vorher geschah:

Von Viktoria Großmann 

2000 Worte eines Dichters führen zum Einmarsch der Sowjetarmee. Als der Schriftsteller Ludvík Vaculík am 27. Juni 1968 sein Manifest der 2000 Worte veröffentlicht, ist die Reformbewegung Prager Frühling auf ihrem Höhepunkt angelangt. Er ruft dazu auf, „die gemeinsame Sache selbst in die Hände zu nehmen“ – und die Menschen folgen ihm. 


Die Jahre zuvor hatten einen langsamen Kurswechsel gebracht. Er begann mit der Rehabilitierung stalinistischer Opfer. Die Stimmung ändert sich. 1963 reisen auch westliche Wissenschaftler zur sogenannten Kafka-Konferenz an. In der Kommunistischen Partei tritt eine neue Generation an. Im Januar 1968 wird Alexander Dubček ihr Vorsitzender. Er möchte einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ – von einer demokratischen Verfassung ist die Partei weit entfernt. Doch ihr diskussionsfreudiger Kurs löst in der Bevölkerung den Drang nach echter Freiheit aus. In diesem Sommer ist alles in der Schwebe. Wer wird die Oberhand gewinnen? 


Vaculíks Manifest wird zunächst von nur einem Parlamentsabgeordneten als „konterrevolutionärer Akt“ bezeichnet. Das Manifest endet mit den Worten: „Im Winter werden wir alles wissen.“

Der folgende Text ist am 26. August 1968 auf der Seite 3 der SZ erschienen. Fünf Tage zuvor waren die Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei einmarschiert. 

Prager Wenzelsplatz, Samstagnachmittag: Zur gleichen Zeit, da der legale Sender Prag aus einem versteckten Studio die Meldung verbreitet, Staatspräsident Svoboda und sein Verhandlungsteam hätten ihre Gespräche in Moskau beendet und seien auf dem Rückflug, zur gleichen Zeit, da sich die Kunde verbreitet, Außenminister Hajek habe in New York durchgesetzt, vor dem Sicherheitsrat der UNO sprechen zu können, ist der Hauptplatz Prags schwarz von Menschen. Rund 70 000 mögen es sein.