Pegasus-Projekt

„Ein sehr riskanter Ort”

Hinter der Hochglanzfassade schlägt das Herz eines autoritären Systems: Ein Gespräch mit der Wissenschaftlerin Cinzia Bianco über westlichen Lebensstil und grenzenlose Überwachung im Emirat Dubai.

Pegasus-Projekt

„Ein sehr riskanter Ort”

Hinter der Hochglanzfassade schlägt das Herz eines autoritären Systems: Ein Gespräch mit der Wissenschaftlerin Cinzia Bianco über westlichen Lebensstil und grenzenlose Überwachung im Emirat Dubai.

Interview: Moritz Baumstieger

18. Juli 2021 - 6 Min. Lesezeit

SZ: Dubai ist bekannt für Palmeninseln und spektakuläre Bauten. Das Emirat wirkt weltoffen, zieht Influencer und Stars an. In Wahrheit ist es ein straff geführter Staat, die Gefängnisse sind voll, es gibt Berichte von Folter. Wie passt das zusammen?

Cinzia Bianco: Das Modell der Emirate ist sehr eigen. Was die Wirtschaft und den konsumorientierten Lifestyle angeht, sind sie nahe beim Westen. Aber was die politische Sphäre anbelangt, sind die Emirate weit näher bei einem autoritären System wie dem Chinas. Nur wer genauer hinschaut, merkt: Selbst grundlegendste politische und bürgerliche Freiheiten gibt es nicht.

Was bedeutet das konkret?

Wir müssen von einer absoluten Monarchie sprechen, einem voll autoritären System. Der Föderative Nationalrat, eine Art Parlament, wird zwar gewählt – doch die Kammer hat rein beratende Funktion, und längst nicht alle Bürger besitzen das Wahlrecht. Ein zweiter Punkt ist das Rechtssystem: Die Justiz ist stark von der Politik abhängig, und obwohl es Fortschritte hin zu mehr Liberalität gibt, findet man in den Gefängnissen jede Menge politische Gefangene. Ein dritter Punkt ist ein vollkommen neues Niveau der Überwachung.

Dass die Gesellschaft mit Spitzeln durchsetzt ist, ist in der arabischen Welt nichts Neues.

Aber jetzt verlagert sich das in den Cyberspace, wo die Überwachung ein ungekanntes Level erreicht. Überwachungssoftware macht die Spitzelarbeit für die Dienste sehr, sehr einfach.

Die moderne Software, die die Emirate dafür eingekauft haben, darf eigentlich nur zur Terrorabwehr benutzt werden.

Das Problem fängt bei dem Verständnis von Terrorismus an, das man zugrunde legt. In den Emiraten wird, wie auch in anderen Ländern am Golf, bereits Agitation gegen die Regierung in die Nähe von Terror gerückt. Wer Zwietracht in der Gesellschaft sät, wie die Machthaber das gerne formulieren, ist also Terrorist.

Ein Beispiel ist der Menschenrechtler Ahmed Mansur, der mehrmals verhaftet wurde und seit 2017 wieder in Haft ist, wegen „Bedrohung der öffentlichen Ordnung“. Ist er aus Sicht des Systems ein Terrorist?

Absolut! Er war der prominenteste einer sehr kleinen Gruppe, die 2011 mehr Bürgerrechte forderte. Dass sich die Ideen des sogenannten Arabischen Frühlings auch unter emiratischen Bürgern ausbreiteten, war für die Führung eine Horrorvorstellung. Sie wollte das so schnell wie möglich unterbinden.

Manche sagen: Durch ihre Überwachungstechnik gleichen die Emirate mittlerweile einer Art „Big Brother auf Steroiden“.

Ich bin weder IT-Spezialistin noch Doping-Ärztin. Aber ich würde sagen: Nicht weit von der Wahrheit entfernt.

Können Sie als Wissenschaftlerin in so einer Atmosphäre noch sicher arbeiten?

Ausländer, die als Troublemaker galten oder zu unbequeme Fragen gestellt haben, wurden früher des Landes verwiesen. 2018 aber war ein Wendepunkt. Mit Matthew Hedges wurde ein Doktorand aus Großbritannien festgenommen und über Monate festgehalten, sehr lange Zeit davon in totaler Isolation.

Hedges wurde laut den Projekt-Pegasus-Recherchen kurz vor seiner Verhaftung offenbar mit NSO-Überwachungstechnologie ins Visier genommen.

Es ist klar: Die Emirate mit ihrem zunehmend repressiven System sind ein sehr riskanter Ort, um Forschung zu betreiben.

Dass Dubai als Tech-Hub gehandelt wird, ist Verdienst des Emirs Mohammed bin Raschid al-Maktum. Er inszeniert sich als moderner Macher, die US-Zeitschrift „Newsweek“ adelt ihn als „CEO Scheich“. Gleichzeitig häufen sich Berichte, dass er seine Töchter behandelt wie ein Familientyrann des vergangenen Jahrhunderts. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Ich glaube nicht, dass sich diese beiden Seiten unbedingt widersprechen. Visionäre, die eine ganze Gesellschaft auf Wachstum und Erfolg polen können, sind manchmal Charaktere, die keinen Ungehorsam dulden und Widerspruch als Spaltung wahrnehmen, vor allem in der Familie. Solche Führer stellen oft Loyalität über alles – so wie es, glaube ich, auch beim Herrscher von Dubai der Fall ist.

Maktums Ex-Frau Haya sagte, sie fürchte um ihr Leben; seine Tochter Latifa wurde mit dem Satz zitiert, der Vater würde Leute töten, um seinen eigenen Ruf zu wahren.

Was hinter den Palastmauern abgeht, dazu habe ich keine unabhängigen Informationen, also kann ich nichts wirklich Seriöses beitragen.

Aber Sie können vielleicht einschätzen, warum dem Emir die Reputation so wichtig zu sein scheint. Er inszeniert sich als Pferdezüchter, veröffentlicht Gedichtbände, tritt bei Adelstreffen wie dem im britischen Ascot auf.

Das ist ein sehr interessanter Punkt. Wie die Emirater gehen auch die Menschen in Demokratien davon aus, dass politische Legitimation mit Reputation verbunden ist. Dennoch sehen wir unsere Führer als Menschen, die Fehler machen dürfen. Auf der Arabischen Halbinsel ist die Idee hingegen, dass der Herrscher eine Art Supermensch ist, unfehlbar. Die Reputation muss blütenrein bleiben, kritisches Denken würde eine Annahme herausfordern, die noch stark in der Gesellschaft verankert ist: der Glaube, dass Führer letztlich von Gott erwählt sind.

Die Emirate glitzern nicht nur, sie sind auch militärisch stark. Manche nennen sie deshalb „modernes Sparta“.

Das Label passt nur zum Teil. Die Emirate sind zwar heute in der Lage, wirkungsvoll an Militäroperationen teilzunehmen, etwa bei Nato-Operationen in Libyen oder im Kampf gegen den IS haben letztlich sie den Unterschied gemacht. Im Unterschied zum alten Sparta fehlen den Emiraten jedoch die Truppenstärken. Als Land mit einer sehr kleinen Anzahl Staatsbürger haben sie Probleme, ihre militärische Macht zu erhalten. Um ihren Erfolg in zehn Jahren sicherzustellen, um auch in der nächsten Generation das kleine Sparta sein zu können – aus diesem Grund sind sie heute so an Cyberwaffen und künstlicher Intelligenz interessiert.

Die Emirate geben nicht nur viel Geld für Waffen, sondern auch für Museen wie den Louvre Abu Dhabi aus, für Messen wie die Art Dubai oder die Abu Dhabi International Book Fair.

Das ist ein wichtiges Puzzleteil ihrer Strategie. Klassische „hard power“, also militärische Macht, soll sich mit „soft power“ ergänzen, die Kombination nennen sie „smart power“. Weil die Emirate als kleines Land nicht allein auf klassische Machtpolitik bauen können, sehe ich deutliche Anzeichen, dass sie in den kommenden Jahren noch mehr investieren werden. In Sportmannschaften und -events, aber auch in Kultur und Literatur. Hier muss man natürlich einschränken: Während bei uns ernst zu nehmende Kunst die bestehenden Verhältnisse und Normen hinterfragt und herausfordert, lassen sie diesen subversiven Teil der Kunst in den Emiraten lieber außen vor.

Dass Dubai als Tech-Hub gehandelt wird, ist Verdienst des Emirs Mohammed bin Raschid al-Maktum. Er inszeniert sich als moderner Macher, die US-Zeitschrift „Newsweek“ adelt ihn als „CEO Scheich“. Gleichzeitig häufen sich Berichte, dass er seine Töchter behandelt wie ein Familientyrann des vergangenen Jahrhunderts. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Ich glaube nicht, dass sich diese beiden Seiten unbedingt widersprechen. Visionäre, die eine ganze Gesellschaft auf Wachstum und Erfolg polen können, sind manchmal Charaktere, die keinen Ungehorsam dulden und Widerspruch als Spaltung wahrnehmen, vor allem in der Familie. Solche Führer stellen oft Loyalität über alles – so wie es, glaube ich, auch beim Herrscher von Dubai der Fall ist.

Maktums Ex-Frau Haya sagte, sie fürchte um ihr Leben; seine Tochter Latifa wurde mit dem Satz zitiert, der Vater würde Leute töten, um seinen eigenen Ruf zu wahren.

Was hinter den Palastmauern abgeht, dazu habe ich keine unabhängigen Informationen, also kann ich nichts wirklich Seriöses beitragen.

Aber Sie können vielleicht einschätzen, warum dem Emir die Reputation so wichtig zu sein scheint. Er inszeniert sich als Pferdezüchter, veröffentlicht Gedichtbände, tritt bei Adelstreffen wie dem im britischen Ascot auf.

Das ist ein sehr interessanter Punkt. Wie die Emirater gehen auch die Menschen in Demokratien davon aus, dass politische Legitimation mit Reputation verbunden ist. Dennoch sehen wir unsere Führer als Menschen, die Fehler machen dürfen. Auf der Arabischen Halbinsel ist die Idee hingegen, dass der Herrscher eine Art Supermensch ist, unfehlbar. Die Reputation muss blütenrein bleiben, kritisches Denken würde eine Annahme herausfordern, die noch stark in der Gesellschaft verankert ist: der Glaube, dass Führer letztlich von Gott erwählt sind.

Die Emirate glitzern nicht nur, sie sind auch militärisch stark. Manche nennen sie deshalb „modernes Sparta“.

Das Label passt nur zum Teil. Die Emirate sind zwar heute in der Lage, wirkungsvoll an Militäroperationen teilzunehmen, etwa bei Nato-Operationen in Libyen oder im Kampf gegen den IS haben letztlich sie den Unterschied gemacht. Im Unterschied zum alten Sparta fehlen den Emiraten jedoch die Truppenstärken. Als Land mit einer sehr kleinen Anzahl Staatsbürger haben sie Probleme, ihre militärische Macht zu erhalten. Um ihren Erfolg in zehn Jahren sicherzustellen, um auch in der nächsten Generation das kleine Sparta sein zu können – aus diesem Grund sind sie heute so an Cyberwaffen und künstlicher Intelligenz interessiert.

Die Emirate geben nicht nur viel Geld für Waffen, sondern auch für Museen wie den Louvre Abu Dhabi aus, für Messen wie die Art Dubai oder die Abu Dhabi International Book Fair.

Das ist ein wichtiges Puzzleteil ihrer Strategie. Klassische „hard power“, also militärische Macht, soll sich mit „soft power“ ergänzen, die Kombination nennen sie „smart power“. Weil die Emirate als kleines Land nicht allein auf klassische Machtpolitik bauen können, sehe ich deutliche Anzeichen, dass sie in den kommenden Jahren noch mehr investieren werden. In Sportmannschaften und -events, aber auch in Kultur und Literatur. Hier muss man natürlich einschränken: Während bei uns ernst zu nehmende Kunst die bestehenden Verhältnisse und Normen hinterfragt und herausfordert, lassen sie diesen subversiven Teil der Kunst in den Emiraten lieber außen vor.

Aber Investments in belanglose Kunst gewinnen doch keine Kriege.

Aber sie sichern die Bündnisse mit der westlichen Welt ab, das ist wichtig, etwa im Hinblick auf den Konflikt mit Iran - und sie hübschen das Image des Landes auf, das ja aus den genannten Gründen nicht das beste sein dürfte. Statt an Menschenrechtsverletzungen denken viele an spektakuläre Bauten, wenn von den Emiraten die Rede ist.

Team

Interview Moritz Baumstieger
Digitales Storytelling Wolfgang Jaschensky
Digitales Design Felix Hunger