Pegasus-Projekt

„Dieser Horror hat mich stärker gemacht“

Fatima Movlamli aus Aserbaidschan hat gegen die Regierung demonstriert und ist deswegen Opfer von Cyberattacken geworden. Es hätte sie fast in den Tod getrieben.

Interview: Miranda Patrucić

18. Juli 2021 - 6 Min. Lesezeit

Fatima Movlamli war noch ein kleines Kind, als im Jahr 2003 in ihrer Heimat Aserbaidschan Ilham Alijew das Präsidentenamt von seinem Vater übernahm. Seitdem herrscht Alijew autoritär. Als 17-Jährige wurde Fatima Movlamli 2018 festgenommen und fünf Tage gefangen gehalten, weil sie an einer Demonstration gegen die Regierung teilgenommen hatte. Danach ist die Oppositionelle immer wieder Opfer von Cyberattacken geworden.

SZ: Vor zwei Jahren wurden intime Videos von Ihnen in sozialen Netzwerken veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Fatima Movlamli: Ein Jahr zuvor hatte ich mit anderen gegen die Inhaftierung eines Oppositionellen protestiert. Dort wurden einige von uns Demonstranten von Einsatzkräften der Regierung gekidnappt - auch ich. Sie brachten mich in ein Gefängnis und sagten mir, ich solle helfen, andere Oppositionelle ins Gefängnis zu bringen, dann würde mir nichts passieren. Als Vorwand für meine Festnahme sollte ich ein Dokument unterschreiben, in dem stand, dass ich mich prostituiert hätte.

Aber Sie haben sich geweigert?

Ja, obwohl ich misshandelt wurde, von einem 13-köpfigen Team. Sie sagten, wenn ich irgendetwas hiervon erzählen würde, würden sie mich öffentlich bloßstellen. Sie wollten mein Handy haben und den Entsperrcode. Unter den Schmerzen der Schläge gab ich ihnen beides. Auf dem Handy waren die Videos. Und sie schlugen mich nicht nur, sie zogen mir auch all meine Kleidung aus und filmten mich. Dieses Material ist immer noch bei den Behörden.

Hatten Sie Angst, dass die Bilder an die Öffentlichkeit geraten?

Na ja, natürlich habe ich anderen davon erzählt, was mir passiert ist. Dann haben die Sicherheitskräfte eben ihre Drohung wahr gemacht, das Material zu posten.

Fatima Movlamli bei einer Kundgebung der Opposition im März 2018.
Fatima Movlamli bei einer Kundgebung der Opposition im März 2018.

Wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Zuerst war ich schockiert. Ich war ja erst 17, kaum eine Frau, ich habe mich für meinen femininen Körper geschämt und dafür, dass andere ihn sehen. In Aserbaidschan bestimmen Männer noch immer sehr stark über Frauen, und wenn sich eine in der Öffentlichkeit nackt zeigt, prügeln die Männer sie im schlimmsten Fall tot. Es war eine unfassbare Situation. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte damals nicht darüber nachgedacht, mich umzubringen.

Wie haben Sie da wieder herausgefunden?

Meine Familie und Freunde haben mich sehr unterstützt. Sie wussten ja, der Grund für all das war, dass ich mich dem Druck der Regierung nicht beugen wollte. Irgendwann habe ich die Situation akzeptiert. Sollen sie meinen Körper doch den Leuten zeigen, ich schäme mich nicht mehr.

Aber mit dieser ersten Aktion hörte es ja nicht auf.

Bis heute teilen sie meine Bilder hin und wieder auf regierungsfreundlichen Seiten und in Telegram-Gruppen. Außerdem wurden eineinhalb Jahre lang all meine Social-Media-Accounts - außer Twitter - gehackt, ich bekomme sie nicht mehr zurück. Aber ich arbeite einfach weiter, auf allen möglichen Plattformen. Bei Facebook habe ich mich unter falschem Namen registriert, aber die Leute wissen, dass ich es bin.

Was sollte die Erpressung Ihrer Meinung nach bezwecken?

Die Regierung will mich erniedrigen und mich, die Oppositionelle, als unmoralisch hinstellen. Als würde das Präsident Alijew irgendwie moralischer machen oder ihn von all seinen Verbrechen freisprechen.

Seit Sie 16 sind, beteiligen Sie sich an Protesten gegen die aserbaidschanische Regierung. Wie kamen Sie als Teenager überhaupt darauf?

Im System Aserbaidschans werden Kinder wie Sklaven erzogen: Sie lernen nichts über die Geschichte des Landes, über Ilham Alijews autoritäre Herrschaft und die seines Vaters, der vorher regierte. Stattdessen idealisieren die Lehrer die Alijews, sie täuschen die Kinder, auch mich. Irgendwann habe ich im Internet zufällig von einem Oppositionstreffen gelesen und bin aus Neugier hingegangen.

Und dann?

Zum ersten Mal habe ich wirklich mutige Menschen kennengelernt, Menschen, die Opfer bringen, um ihr Land besser zu machen. Ich lernte, was eine Diktatur ist und was eine Demokratie. An diesem Tag hatte ich das Gefühl: Hier gehöre ich hin, ich will dafür kämpfen, dass Kinder in Zukunft lernen, was ihre Rechte sind, und wie sie diese Rechte verteidigen.

Seitdem haben Sie gegen die Unterdrückung der Opposition demonstriert, an einem Hungerstreik teilgenommen und an einer Flashmob-Kampagne gegen das Regime. Was hoffen Sie mit solchen Aktionen zu erreichen?

Ich fühle mich verpflichtet, das zu tun. Wie eine Ärztin, die ihre Patienten behandeln muss. Ich wünsche mir, dass mich Menschen sehen und denken: Aha, es ist möglich zu protestieren, das mache ich auch. Unabhängig davon, ob unser Land wirklich freier wird, will ich später sagen können: Ich habe es versucht.

Auch wenn Sie dafür verfolgt werden?

Als ich entführt wurde, war ich fünf Tage verschwunden. Ich wollte nichts als nach Hause zu meiner Mutter. Als ich wieder frei war, sagte sie mir, dass sie schon gedacht hätte, ich sei tot. Aber dieser Horror hat mich stärker gemacht. Ich fürchte nichts mehr.

Was ist Ihre Botschaft an Ihre Mitbürger in Aserbaidschan?

Wenn ich nur eine Sache sagen dürfte, dann das: Fürchtet euch nicht vor den Verbrechern in dieser Regierung. Sie haben unser Leben gestohlen, unsere Gesundheit, unsere Freude, unser Geld, alles. Zu Dieben dürfen wir nicht freundlich sein.

Proteste gegen Wahlbetrug 2005 in Baku, Aserbaidschan.
Proteste gegen Wahlbetrug 2005 in Baku, Aserbaidschan.

Und an die Regierung?

Ich habe nie gegen irgendwelche Mitläufer in der zweiten oder dritten Reihe demonstriert, sondern immer gegen den Präsidenten selbst. Er ist verantwortlich. Das ist auch der Grund, weshalb das Regime so aggressiv gegen mich und meine Aktionen vorgeht. Ich will Alijew sagen: Du wirst immer der Böse in dieser Geschichte bleiben, während deiner Herrschaft und darüber hinaus. Kein Schlagstock wird dich schützen, wenn die Zeit reif ist.

Was erhoffen Sie sich von der Zukunft?

Antworten auf die großen Fragen zu finden: Werden die Menschen anfangen, ihre Rechte zu verteidigen? Werden wir dieses Land zu einer Demokratie machen? Diesen Fragen opfere ich meine Jugend und ich glaube, ich habe das Recht, die Antworten zu erfahren. Ich habe noch viel vor und ich will sehen, wie dieses Land zu einer demokratischen Republik wird, ehe ich eine alte Frau bin.

Wie lange werden Sie noch in ihrem Land leben können?

Es wird jedes Jahr härter. Aber kein autoritäres Regime gibt dir Freiheit einfach als Geschenk. Du musst dafür kämpfen, und ich werde hierbleiben und weitermachen. Es ist schwierig, aber möglich.

Team

Text Miranda Patrucić
Redaktion und Übersetzung Christoph Koopmann
Digitales Storytelling Carina Seeburg
Digitales Design Felix Hunger
Bildredaktion Steffi Preuin, Jörg Buschmann und Friedrich Bungert