1946: Nürnberger Prozesse

Freiheit von Willkür und Gewalt

Die SZ hat zum Jubiläum historische Texte aus 75 Jahren neu aufbereitet. Hier werden die Nürnberger Prozesse und ihre Bedeutung für ein Deutschland nach der Nazi-Diktatur beleuchtet.

Von unserem Sonderberichterstatter W. E. Süskind

Was vorher geschah:

Was vorher geschah:

Von Joachim Käppner


Welchem Zweck diese Verfahren dienten, das machte US-Hauptankläger Robert H. Jackson gleich zu Beginn unmissverständlich klar: „Die Untaten, die wir zu beurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, dass die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen, sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben."


Kritiker hielten den Nürnberger Prozessen Schwächen vor: Sie unterschieden kaum zwischen Angriffskrieg, Kriegsverbrechen und einem Völkermord wie jenem an den Juden. Viele der Unterlegenen, der Deutschen, moserten zudem über „Siegerjustiz“, wobei sie verschwiegen, dass es in den Ländern, wo eben noch der NS-Staat gesiegt und geherrscht hatte, nicht einmal einen Ansatz von rechtsstaatlicher Justiz gegeben hatte. 


Im Rückblick markieren die zunächst von den vier Siegermächten betriebenen Nürnberger Prozesse, vor allem ihr erster gegen die überlebende Führungsriege des Naziregimes, einen tiefen Einschnitt. Sie bewiesen nicht nur unwiderlegbar die individuelle Schuld der meisten Angeklagten, sondern führten der Welt auch das zutiefst Verbrecherische des Nationalsozialismus vor Augen.


Am 20. November 1945 begann der erste der Nürnberger Prozesse gegen 24 Hauptkriegsverbrecher und sechs verbrecherische Organisationen des Dritten Reiches. Am 30. September und am 1. Oktober 1946 verkünden die Richter die Urteile gegen 22 Angeklagte: Zwölf Angeklagte werden zum Tode verurteilt, sieben erhalten langjährige oder lebenslange Haftstrafen, drei werden freigesprochen. 


In Nürnberg verurteilen US-Militärgerichte bis 1949 in zwölf weiteren Verfahren hochrangige NS-Größen zu Haftstrafen oder zum Tode. Es ist der Beginn eines neuen Völkerstrafrechts, auch wenn der Weg bis heute noch nicht zu Ende ist.

Der folgende Text ist in der SZ vom 4. Oktober 1946 erschienen. 

Die Tür in der Wand (schmale Schiebetür in der Holztäfelung, sonst kaum beachtet) - sie werde ich nun nie vergessen. Wo der Blick sonst ruhte, auf der Angeklagtenbank, leere Plätze. Im überfüllten Saal wirkt diese leere Stätte wie ein Loch, ein herausgebrochenes Stück. Nur zwei Weißbehelmte, statt der sieben oder acht, die sonst in einer Reihe vor der Wand standen. Und in alledem eine saugende Erwartung, ein Stocken, Sieden und Zaudern der Zeit.