Edward Snowden im Interview

„Ich hatte nie vor, hier zu sein“

Interview von Georg Mascolo, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Seit fünf Jahren sitzt Edward Snowden in Russland fest. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung verrät er, wo er viel lieber leben möchte, was er von Russlands Präsident Putin hält und warum er von Kanzlerin Merkel enttäuscht ist.

Ein leises Klopfen an der Hotelzimmertür, dann steht er da und lächelt: Edward Snowden. Es ist ein Dienstag im Juni, durch die Straßen von Moskau ziehen grölende Fußballfans. Edward Snowden,35, dunkles Hemd, schwarzes Sakko, schwarze Hose, ist in ein Hotel im Stadtzentrum gekommen, um mit der Süddeutschen Zeitung zu sprechen: Über sein schwieriges Verhältnis zu Russland, das ihm seit Sommer 2013 Asyl gewährt, seine Hoffnungen und darüber, was er mit seinen Enthüllungen über das Treiben der US-Geheimdienste erreicht hat, die vor genau fünf Jahren begannen.

Snowden hatte damals für die Spionage-Dienste Central Intelligence Agency (CIA) und National Security Agency (NSA) gearbeitet, zuletzt auf Hawaii. Dort erzählt er im Frühjahr 2013 seinem Chef, er müsse wegen seiner Epilepsie zu einem Spezialisten nach Hongkong. Seiner Freundin hinterlässt er eine Notiz, aber keine echte Erklärung. Er steigt in das Flugzeug nach Hongkong, im Wissen, die USA wahrscheinlich nie wieder betreten zu können. Oder, wenn doch, nur in Handschellen.

Auf Hawaii arbeitet Snowden als Analyst für einen NSA-Dienstleister. Er steht schon seit einigen Monaten in Kontakt mit der Filmemacherin Laura Poitras und dem Guardian-Kolumnisten Glenn Greenwald. 

Beide haben oft und kritisch über die US-Regierung berichtet, beiden hat er deshalb bereits einzelne brisante Dokumente aus dem Innenleben des US-Geheimdienstapparates zukommen lassen, gewissermaßen als Kostprobe. In Hongkong trifft er Poitras und Greenwald und übergibt ihnen einen Datenträger mit Geheimdokumenten. Die Dokumente belegen, wie die US-Geheimdienste und ihre Verbündeten weltweit Telefon- und E-Mail-Daten abgreifen, speichern und auswerten – und dass praktisch jedermann ins Visier geraten kann. Selbst Angela Merkel.

Für seine Millionen Bewunderer überall auf der Welt ist Snowden ein Held, der den Friedensnobelpreis verdient hätte. Anders Geheimdienstler und Politiker. Viele, vor allem jene in den USA, sehen in ihm einen Verräter, und diese gehörten hingerichtet, drohte der heutige US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf. Trumps neuer Sicherheitsberater John Bolton äußerte öffentlich gar, er wolle Snowden „an einer großen Eiche baumeln“ sehen. Kalt lässt der berühmteste Whistleblower dieser Zeit kaum jemanden.

Sich mit Edward Snowden zu verabreden, ist schwer. Er benutzt – so erzählen es seine Vertrauten – kein Handy, alle seine Kommunikation ist in der Regel verschlüsselt und läuft über sein Anwaltsteam. Nach mehrmonatigem Hin und Her kommt schließlich die Zusage. Die SZ-Reporter buchen ein Hotelzimmer mit Blick auf die Moskwa, schicken Adresse und Zimmernummer an Snowdens Anwälte. Snowden komme allein, heißt es, am späten Nachmittag. Er freue sich auf das Gespräch, richten die Anwälte noch aus, und er werde sich viel Zeit nehmen. Und noch ein Tipp: „Der Schlüssel zu seinem Herz“ sei „der Zimmerservice“, schreibt einer der Rechtsanwälte.

Am Ende wird Snowden vier Stunden mit der SZ reden. Pausen erlaubt sich der schmächtige Amerikaner nur, um auf die Toilette zu gehen. Er trinkt Wasser, fürs Essen aber findet er keine Zeit.

„Ich fahre mit der U-Bahn, ich wohne in einer Wohnung mit meiner Freundin und zahle Miete wie jeder andere auch.“

SZ: Herr Snowden, viele Leute in Deutschland bewegt die Frage, welche Freiheiten Sie hier in Russland haben. Können Sie sich hier bewegen, die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, etwa, um zu unserem Interview zu kommen?
Edward Snowden: Ja, kann ich. Ich fahre mit der U-Bahn. Die Leute haben diese Vorstellung, dass ich auf einer Militärbasis oder in einem Palast lebe, mit bewaffneten Wachen namens Hans und Brutus – oder in meinem Fall Sergej und Vlad – vor der Tür. Aber nein, ich wohne in einer gewöhnlichen Wohnung zusammen mit meiner Freundin Lindsay und ich zahle Miete wie jeder andere auch. Ich benutze keine Kreditkarten und ich versuche, mein Privatleben so weit wie möglich von der Öffentlichkeit fernzuhalten.

Werden Sie auf der Straße erkannt?
Viel weniger als früher. Es war viel schwieriger so um 2013, weil ich auf jedem Nachrichtensender war. Seit mein Gesicht immer seltener in Zeitungen gezeigt wird, erkennen mich auch immer weniger Leute.

Aber es kommt vor?
In wenigen Ausnahmefällen, ja. Vor einigen Monaten erkannte mich ein deutsches Mädchen, als ich mit meinen Eltern die Tretjakow-Galerie besucht habe. Sie schaute mich eine Zeit lang komisch an, dann fragte sie: „Sind Sie Snowden?“ Ich habe Ja gesagt, einem Selfie zugestimmt – und ich bin froh, dass es bis heute nicht in sozialen Netzwerken aufgetaucht ist.

Womit verdienen Sie in Moskau Geld?
Ich halte weltweit Vorträge, die über das Internet übertragen werden. Und ich habe das Glück, dass die Leute dafür bezahlen.

Nachdem Edward Snowden sich 2013 in einem Hotel in Hongkong mit Laura Poitras, Glenn Greenwald und dem Guardian-Reporter Ewen MacAskill getroffen und die Daten übergeben hatte, verschwindet er wieder. In einem Video, das er zuvor aufgenommen hat, verdammt er die US-Massenüberwachung: „Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich sage, alles was ich mache, der Name jedes Gesprächspartners, jeder Ausdruck von Kreativität, Liebe oder Freundschaft aufgezeichnet wird.“ Das Video wird von TV-Stationen im Dauerloop gespielt. Snowden wird zum wohl meistgesuchten Mann des Planeten. Dennoch schafft er es, unterzutauchen. Eine Gruppe von Flüchtlingen aus Sri Lanka und den Philippinen versteckt ihn in einer Hütte in einem Armenviertel, weit weg von der Sieben-Millionen-Metropole Hongkong.

In der Zwischenzeit reist die Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison in die Stadt, um Snowden bei seiner Flucht zu helfen. Gemeinsam besteigen sie Ende Juni 2013 eine Maschine der russischen Fluglinie Aeroflot. Ihr ursprünglicher Plan, so werden sie es später jedenfalls schildern, war es, über Moskau nach Havanna zu fliegen, und von dort über Caracas nach Ecuador – wo damals eine linkspopulistische Regierung herrschte. Für den Flug nach Havanna hat Snowden schon die Bordkarte, Platz 17 A. Doch das spricht sich herum, Dutzende Journalisten sitzen in der Maschine, nur Snowdens Platz bleibt leer. Denn während er noch im Flugzeug nach Moskau sitzt, erklären die US-Behörden seinen Pass für ungültig. Snowden steckt nun am Moskauer Flughafen Scheremetjewo fest, in einem fensterlosen Raum des Transitbereiches F: Die Dusche auf dem Gang, das Internet funktioniert nur sporadisch, warmes Essen gibt es nur bei Burger King.

Einiges spricht dafür, dass die russische Regierung zunächst hoffte, Snowden würde bald wieder verschwinden. Aber ohne gültigen Pass? Und wohin? Fast überall droht dem Whistleblower nun die Verhaftung – und dann die Auslieferung in die USA. Nach drei Wochen erteilen ihm die Moskauer Behörden eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung. Sie wurde zuletzt im Januar 2017 verlängert, bis Anfang 2020.

„Was könnte ich den Russen wirklich geben, was könnte ich ihnen wirklich sagen?“

Prominente westliche Politiker und selbst der Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, haben angedeutet oder sogar offen behauptet, Sie seien ein russischer Spion.
Glauben Sie mir, die CIA hat Ihre Quellen innerhalb des russischen Geheimdienstes. Wenn ich ein russischer Spion wäre, würden die USA es wissen. Und es würde auf der Titelseite jeder Zeitung stehen.

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