Die Linke

Selbst schuld

Die Linke hat die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt, eine Katastrophe für die Partei. Trotzdem hat sie es ganz knapp in den Bundestag geschafft. Am Morgen nach der Wahl sehen die Parteispitzen die Fehler vor allem bei sich.

Von Christoph Koopmann

27. September 2021 - 5 Min. Lesezeit

Die Phrase von der Katerstimmung ist eine viel bemühte an Nachwahlvormittagen. Wobei es für einen Kater ja eigentlich erst mal etwas zu feiern gegeben haben müsste. Aus dem Festsaal in Berlin-Kreuzberg, in den die Linke zur Wahlparty geladen hatte, ist von „Party“ am Sonntagabend allerdings nichts überliefert. Die Linke hat die Fünf-Prozent-Hürde unterschritten, das Ergebnis von 2017 beinahe halbiert. In den Bundestag darf sie überhaupt nur in Fraktionsstärke, weil drei Direktkandidaten ihre Wahlkreise gewannen. Eine Katastrophe, oder wie Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, noch am Abend im ZDF blitzanalysierte: „Das ist in jeder Hinsicht beschissen.“

Am Vormittag dann erschien das Spitzenkandidatenduo Dietmar Bartsch und Janine Wissler gemeinsam mit Wisslers Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow in den Räumen der Bundespresskonferenz zur Nachlese.

Da saßen also Hennig-Wellsow, Bartsch und Wissler, guckten ziemlich bedröppelt und redeten von „schmerzlichen Verlusten“ und von einer „schweren Wahlniederlage“. So weit, so normal. Nicht so normal dagegen war, wie offen die drei zugaben, dass die Linke weitestgehend selbst dran schuld ist.

Am Vormittag dann erschien das Spitzenkandidatenduo Dietmar Bartsch und Janine Wissler gemeinsam mit Wisslers Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow in den Räumen der Bundespresskonferenz zur Nachlese.

Da saßen also Hennig-Wellsow, Bartsch und Wissler, guckten ziemlich bedröppelt und redeten von „schmerzlichen Verlusten“ und von einer „schweren Wahlniederlage“. So weit, so normal. Nicht so normal dagegen war, wie offen die drei zugaben, dass die Linke weitestgehend selbst dran schuld ist.

Selbsterkenntnis ist bekanntermaßen der erste Schritt zur Besserung, aber in der Politik eben keiner, der häufig beschritten würde. Auffällig war deshalb, dass weder Hennig-Wellsow, Bartsch noch Wissler auf die „Rote Socken“-Kampagne der Union hinwiesen. Die hatte in den letzten Wochen vor der Wahl vor einem „Linksrutsch“ als Totaldesaster für Deutschland, seine Wirtschaft und überhaupt gewarnt. Dazu sagte Bartsch, nachdem ein Journalist die Kampagne angesprochen hatte, nur, es habe sicher „externe Faktoren“ gegeben, „die für uns ungünstig waren“. Vielleicht sei diese Gemeinheit der politischen Gegner ein Grund für das miese Ergebnis gewesen, so die Botschaft, aber sicher nicht der wichtigste.

Linke bei Bundestagswahlen

Klar, auch der eigene Wahlkampf sei sicher nicht optimal gewesen, räumen die Parteioberen ein. Aber auch das sei nicht die Hauptursache für die Katastrophe. Bemerkenswerterweise sagte Bartsch schließlich, diese Ursachen seien grundsätzlicher Natur und wären in den letzten Jahren gelegt worden. „Mit Sicherheit war ein Faktor, dass wir in den letzten Jahren nicht als geschlossene Formation aufgetreten sind, sondern ein Bild der Zerrissenheit vielfach abgegeben haben“, erläuterte er.

Der Dauerzoff zwischen wechselnden Partei- und Fraktionsvorsitzenden, insbesondere zwischen den Lagern Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, hat dem öffentlichen Bild der Linken tatsächlich eher nicht genutzt. Von so etwas wie Inhalten las und hörte man deshalb längere Zeit eher wenig. Immerhin muss man sich nun nicht mehr über die Bedingungen einer möglichen Regierungsbeteiligung streiten, das hat sich qua Wahlergebnis von selbst erledigt.

Den zweiten systemischen Grund für den Absturz der Linken sieht Bartsch in der Wahrnehmung der „Ostkompetenz“. Es stimme ihn nachdenklich, sagte er, dass die Linke bloß noch in drei ostdeutschen Ländern überhaupt zweistellige Ergebnisse geholt hat. Es hat ja Zeiten gegeben, da lag die Partei zwar im Westen stabil im Nirwana um ein Prozent – im Osten aber genauso stabil bei um die 20. Die Linke stellt nun zwar nach wie vor den Ministerpräsidenten in Thüringen, aber als die Ostpartei, so kann man sie spätestens jetzt nicht mehr bezeichnen. Um diese Rolle dürfen sich jetzt, wenn man die Wahlkreiskarte betrachtet, AfD und SPD streiten.

Drittens schließlich gab das Linken-Spitzenpersonal am Montag zu, bei den Wählern ausgerechnet mit ihren kernlinken Ideen zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit nicht durchgedrungen zu sein. „Die Tatsache, dass Sozialdemokraten und Grüne bei dieser Wahl elf Prozent zugelegt haben und dass wir verloren haben, muss uns nachdenklich stimmen“, sagte Dietmar Bartsch und klang dabei tatsächlich überaus nachdenklich.

Hat die Partei in den vergangenen Monaten also wirklich zu sehr auf vermeintliche „Lifestyle“-Themen im Sinne von Geschlechtergerechtigkeit und Integration gesetzt, wie die Dauerquerulantin Sahra Wagenknecht monierte? Janine Wissler: „Ich kann nur sagen, ich habe in keiner einzigen Wahlkampfrede über Gendersternchen gesprochen.“ Thema erledigt.

Wagenknecht übrigens war trotz aller Scherereien ja als Spitzenkandidatin ihres Landesverbands in Nordrhein-Westfalen angetreten, wo die Linke am Sonntag bei 3,2 Prozent gelandet ist. Viel schlechter waren nicht mal die Genossen im nicht gerade als Linken-Hochburg bekannten Bayern. Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow, die seit Amtsantritt vor einem halben Jahr bemüht ist, auch im Umgang mit Querulantinnen Wogen zu glätten, sagte auf Nachfrage, man habe noch am Abend mit Wagenknecht „kommuniziert“. In der Partei würde man schließlich „miteinander reden“.

Am Dienstag gibt es weitere Gelegenheit dazu, wenn sich die neue, sehr geschrumpfte Fraktion trifft. Wagenknecht wird dabei sein, genauso Bartsch; auch Hennig-Wellsow und Wissler, die bislang nicht im Bundestag gesessen hatten. Die Fehleranalyse, kündigten die drei an, werde dort weitergehen, genauso bei der Zusammenkunft des Parteivorstands am Wochenende. „Tabulos“ werde man ergründen, wie man die Linke fit machen könnte für die Mission Zurück-über-fünf-Prozent, sagte Bartsch. Das schließe auch seine Zukunft als Co-Fraktionschef ein.

Die Parteichefinnen Wissler und Hennig-Wellsow wollen weitermachen, trotz der Wahlkatastrophe – oder gerade deswegen.

Man müsse die kommenden vier Jahre nutzen, um die Probleme im System Die Linke zu beseitigen, sagte Wissler. Sie schloss einen Satz an, der das Ausmaß der Sinnkrise erahnen lässt: „Da müssen wir die Gründe, warum es diese Partei gibt und die wir nach vorne stellen wollen, auch wirklich deutlicher machen.“

Man müsse die kommenden vier Jahre nutzen, um die Probleme im System Die Linke zu beseitigen, sagte Wissler. Sie schloss einen Satz an, der das Ausmaß der Sinnkrise erahnen lässt: „Da müssen wir die Gründe, warum es diese Partei gibt und die wir nach vorne stellen wollen, auch wirklich deutlicher machen.“

Team

Text Christoph Koopmann
Infografik Sarah Unterhitzenberger
Bildredaktion Julia Hecht
Digitales Design Felix Hunger
Digitales Storytelling Ramona Dinauer