Auf dem rechten Auge blind?

Nach einem brutalen Überfall in Ballstädt kommen neun Neonazis mit Bewährung davon – solche milden Urteile gibt es zuhauf an deutschen Gerichten. Zwölf Fälle.

Text: Peter Burghardt, Annette Ramelsberger, Antonie Rietzschel und Ronen Steinke, Illustrationen: Stefan Dimitrov

16. Juli 2021 - 27 Min. Lesezeit

Oft ist die Justiz die letzte Hoffnung. Von ihr erwarten sich Opfer Beistand, Schutz vor Tätern und vor allem Gerechtigkeit. Doch wenn es um rechtsgerichtete Straftaten geht, hoffen sie in Deutschland oft vergeblich.

Staatsanwälte stellen Verfahren gegen Neonazis reihenweise ein, Richter dehnen das Recht auf Meinungsfreiheit ins Unerträgliche und lassen selbst antisemitischen Hass zu. Jugendsozialarbeiter loben rechtsradikale Angeklagte und bescheinigen ihnen eine gute Sozialprognose. Sie hätten doch einen „gefestigten Freundeskreis“ – den haben sie auch: ihre rechten Kameraden.

Wer sich seit Jahren mit der Rechtsprechung gegen rechtsmotivierte Täter beschäftigt, weiß, dass milde Urteile wie in dieser Woche im Ballstädt-Prozess nicht selten sind.

Neun Neonazis gingen mit Bewährungsstrafen aus dem Landgericht Erfurt, obwohl sie eine harmlose Kirmesgesellschaft überfallen und mehrere Menschen schwer verletzt hatten. Kritik verbat sich die Vorsitzende Richterin – so wie Gerichte und Staatsanwaltschaften sehr oft empfindlich reagieren, wenn ihnen Sehschwäche auf dem rechten Auge und fehlende Durchsetzungskraft vorgeworfen werden.

Doch immer wieder kommt es zu Entscheidungen, die nur schwer verständlich sind. Neben engagierten Richtern und Staatsanwälten, die sich redlich mühen, gibt es in der Justiz eine gefährliche Melange aus fehlendem Mut, Dienst nach Vorschrift und dem Unwillen, rechten Angriffen konsequent entgegenzutreten. Die SZ hat einige der prägnantesten Fälle der vergangenen Jahre gesammelt.