Schwerer Verlauf

Drei Monate nur liegen zwischen einer kleinen Meldung aus China und einer tödlichen Pandemie. Drei Monate, in denen die deutsche Politik mit dem Virus ringt und Millionen Menschen ein neues Leben verordnet. Rekonstruktion eines Abwehrkampfes  

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Text von H. Charisius, R. Deininger,  L. Deuber, J. Flottau, N. Fried, T. Fromm, C. Giesen, M. Grill, A. Kempmann,C. Kohrs, K. Ludwig, G. Mascolo, J. Osel, K. Ott, N. Richter, L. Schnell, J. Stegemann und C. Wernicke; Fotos von Jan A. Staiger

Sehr, sehr fern“

31. Dezember 2019. In den Weihnachtsferien, als man noch in Flugzeuge steigt, fliegt der Arzt Clemens Wendtner mit seiner Familie nach Israel. Er lässt den deutschen Winter hinter sich, mischt sich ins Gewusel der Altstadt von Jerusalem. Am Silvesterabend heißt es im Fernsehen, in China sei ein neues Virus aufgetaucht. Wendtner, ruhig und seriös, der Mund von einem feinen Lächeln umspielt, könnte auch der Doktor in einer Fernsehserie sein. Er ist Chefarzt am Klinikum Schwabing in München, das spezialisiert ist auf Infektionen. Wenn einer nun alarmiert sein müsste, dann er. Aber Wendtner ist noch tief berührt vom Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem, und er freut sich auf das Silvesteressen im Hotel. „Ich habe das als sehr, sehr fern zur Kenntnis genommen“, sagt er heute.

Erst vier Wochen später wird er verstehen, dass dieses Virus ein neuer, geradezu heimtückischer Feind ist. Wendtner wird einer der Ersten in Deutschland sein, die sich diesem Feind stellen müssen.