Bundestagswahl

Die Bilder, die den Wahlkampf prägten

Laschets Lachen, Baerbocks Kür, Scholz mit Merkel-Raute: Selten waren Bilder in einem Wahlkampf so machtvoll. Warum? Eine Analyse der ikonischen Momente.

Sebastian Gierke, David Wünschel und Sead Mujić (Infografiken)

23. September 2021 - 11 Min. Lesezeit

Wenn die Bürgerinnen und Bürger am Wahltag ihre Kreuze setzen, treffen sie auch eine Entscheidung darüber, welcher Politiker oder welche Politikerin in den vergangenen Monaten ganz buchstäblich das beste Bild hinterlassen hat. Denn wer wen wählt, hängt nicht nur von politischen Inhalten ab, sondern auch davon, welchen Eindruck die Bilder der Kandidaten im Wahlkampf hinterlassen haben.

Wie wichtig Bilder in der politischen Auseinandersetzung sein können, zeigt ein Rückblick auf das Jahr 2002. Als damals im sächsischen Grimma die Mulde über die Ufer trat, marschierte Gerhard Schröder in Gummistiefeln und grüner Regenjacke durch verwüstete Straßen und inszenierte sich als Krisenkanzler. In Umfragen lag er damals zurück. Doch wenige Wochen später landete er bei der Bundestagswahl hauchdünn vor seinem Herausforderer von der Union, Edmund Stoiber. Die These, Schröder sei wegen der Gummistiefel-Fotos im Amt geblieben, ist keineswegs abwegig.

Seitdem ist die Macht von Bildern noch gewachsen. Politiker und Medien haben viel von ihrer traditionellen Deutungs- und Verbreitungshoheit verloren. Heute kann jeder jederzeit Fotos machen, bearbeiten und ins Internet stellen. Auch dieser Wahlkampf hat einige ikonische Bilder hervorgebracht - den lachenden Armin Laschet im Flutgebiet, oder Olaf Scholz, der die Merkel-Raute zeigt.

Solche Fotos seien in diesem Jahr stärker ins Bewusstsein der Menschen vorgedrungen als in vergangenen Wahlkämpfen, sagt Stephanie Geise, Professorin an der Universität Bremen. Dort erforscht sie unter anderem, wie politische Informationen auf Bildern wahrgenommen werden. Die Bilder aus dem Wahlkampf seien zu einem „Gradmesser für die Leadership-Qualitäten und die Integrität“ von Scholz, Baerbock und Laschet geworden, so Geise.

Chance und Gefahr liegen dabei nah beieinander. Alle drei traten zum ersten Mal als Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat an. Ihr Image war durch Fotos noch sehr viel einfacher zu beeinflussen als beispielsweise das von Angela Merkel. Auf unbeschriebenen Blättern lässt sich gut zeichnen.

Wie haben sich die drei Kanzlerkandidaten also visuell inszeniert? Wer hat die Chance genutzt? Wo haben sie Fehler gemacht? Und welche Bilder aus den vergangenen Monaten waren besonders prägend? Eine Analyse des visuellen Wahlkampfs.

Die Grünen haben eine gute Chance, die Wahl zu gewinnen – so scheint es zumindest im April. Während die Union am Streit zwischen Laschet und Söder verzweifelt, erlauben sich Annalena Baerbock und Robert Habeck keine Fehler. Nun soll mit der Verkündung der Kanzlerkandidatur ein perfekt inszenierter Auftritt folgen, über den man später sagen soll: An diesem Tag begann eine Ära.

Am 19. April ist es so weit. Baerbock und Habeck stehen auf einer Bühne vor schwarz-grünem Hintergrund, Habeck hält eine Rede, dann fällt der entscheidende Satz: „So ist es heute der Moment zu sagen, dass die erste grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sein wird.“

Wenige Augenblicke später entsteht ein Foto mit großer Symbolkraft: Baerbock marschiert energisch an Habeck vorbei und tätschelt ihn am Arm. Ein Mann lässt einer jüngeren Frau im Kampf um das mächtigste Amt im Land den Vortritt. „Das Bild fängt sehr viel von den komplexen politischen Entscheidungen ein, die hinter diesem Moment stehen“, sagt Stephanie Geise. „Das Ringen um die Frage: Wer wird der Kanzlerkandidat, die Kanzlerkandidatin, wird hier in einem entscheidenden Moment dokumentiert.“

Was damals noch niemand weiß: Diese Szene markiert den vorläufigen Höhepunkt der Grünen-Show. Wenig später wird publik, dass Baerbock Nebeneinkünfte zu spät an den Bundestag gemeldet hat. Die Grünen rauschen in den Umfragen wieder unter die 20-Prozent-Marke. Zu Baerbocks Kür sagt Geise im Nachhinein: „Damals zog sie auf der großen Bühne an Habeck vorbei. Im Rückblick könnte das Bild aber auch die Assoziation wecken, dass die Bühne vielleicht etwas sehr groß war.“

Mitte Juli läuft es für Armin Laschet ziemlich gut. In den Umfragen steht er zehn Prozentpunkte vor den Grünen, Annalena Baerbock reiht einen Fehler an den nächsten, und Olaf Scholz spielt im Kampf um das Kanzleramt noch kaum eine Rolle. Doch dann kommt es zu einer Katastrophe, die alles durcheinanderwirbelt: Unter anderem in Nordrhein-Westfalen, dem von Laschet regierten Bundesland, überschwemmen Flüsse Dutzende Ortschaften; viele Menschen kommen in den Fluten um.

Laschet unterbricht seinen Urlaub und fährt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Flutgebiete. Er trifft sich mit Betroffenen, hört zu, verspricht Hilfe. Für ihn ist die Katastrophe auch eine Chance: Wie einst Gerhard Schröder kann er sich als Krisenmanager profilieren; er will in den Köpfen der Menschen den Eindruck hinterlassen: Ich bin empathisch, ich kann das Land führen, ich bin zum Kanzler geeignet.

Doch dann unterläuft Laschet ein Fehler. Während eines Fernsehinterviews von Steinmeier steht Laschet im Hintergrund - und lacht. Es ist ein Moment, der diesen Wahlkampf nachhaltig prägt. Das Bild des feixenden Laschet verbreitet sich rasend schnell im Internet. Statt als Krisenmanager gilt Laschet vielen Wählern plötzlich als einer, der den Ernst der Lage nicht versteht.

Stephanie Geise zufolge liegt das vor allem an den Begleitumständen, unter denen das Bild entstanden ist. Schon vorher sei kritisch diskutiert worden, ob man mit dem Leid der Leute Wahlkampf machen solle. In diesem Kontext habe das Bild „eine Geschichte geformt, die total Sinn ergeben hat“, so Geise. Über einen Witz zu lachen, sei zwar menschlich und könne jedem passieren. Als wenig später auch Steinmeier lacht, nimmt es kaum jemand zur Kenntnis. „Aber einem Politiker mit Kanzlerqualitäten würde man in so einer besonderen Situation mehr Feingefühl zutrauen“, sagt Geise. Das Lachen habe Laschets Integrität nachhaltig infrage gestellt. „Das war wie ein visueller Beweis, dass er nicht geeignet ist für das Kanzleramt.“

In diesen Wochen macht es Laschet zusätzlich zu schaffen, dass er auch auf anderen Bildern aus den Flutgebieten keine gute Figur macht.

Manchmal wirkt er unfreiwillig komisch, beispielsweise während einer Rede vor einem Berg aus Schrott;...

...manchmal macht er den Eindruck, als würde er sich am liebsten weit weg wünschen.

Während eines Gesprächs mit einem Bürger hinterlässt er den unglücklichen Eindruck, sein Gegenüber sprichwörtlich im Regen stehen zu lassen.

Und als er mit Olaf Scholz im Flutgebiet unterwegs ist, sieht er aus wie ein begossener Pudel, während sein Kontrahent so entschlossen dreinschaut, als würde er gleich seine berühmte Bazooka auspacken, mit der er schon gegen Corona vorgehen wollte.

Manchmal wirkt er unfreiwillig komisch, beispielsweise während einer Rede vor einem Berg aus Schrott;...

...manchmal macht er den Eindruck, als würde er sich am liebsten weit weg wünschen.

Während eines Gesprächs mit einem Bürger hinterlässt er den unglücklichen Eindruck, sein Gegenüber sprichwörtlich im Regen stehen zu lassen.

Und als er mit Olaf Scholz im Flutgebiet unterwegs ist, sieht er aus wie ein begossener Pudel, während sein Kontrahent so entschlossen dreinschaut, als würde er gleich seine berühmte Bazooka auspacken, mit der er schon gegen Corona vorgehen wollte.

Natürlich lässt sich kein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen diesen Bildern und dem weiteren Verlauf des Wahlkampfs herstellen. Aber danach geht es für Laschet in den Umfragen stetig bergab. Zum Foto, auf dem Laschet lacht, sagt der Politik- und Kulturwissenschaftler Claus Leggewie im SZ-Interview: „Dieses Bild werden wir vielleicht rückblickend als eines auffassen, an dem sein Wahlkampf zerbrochen ist.“

Für Olaf Scholz beginnt Ende Juli eine rasante Aufholjagd. In den Umfragen legt er Prozentpunkt um Prozentpunkt zu. Es geht nun in die heiße Phase des Wahlkampfs.

Anfang August stellt Generalsekretär Lars Klingbeil in einem Berliner Kinosaal die Wahlplakate der SPD vor. Darauf ist ein schwarz-weißer Scholz vor knallrotem Hintergrund zu sehen.

Die Plakate sind aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Zum einen sind die Portraits weitwinklig fotografiert. Das ist ungewöhnlich, weil es die Proportionen verzerrt. Manche Körperteile wirken kleiner, andere wie die Nase oder die Hände größer als in der Realität. Der Journalist Hendrik Wieduwilt schreibt dazu auf Twitter: „Das kann ‘zupacken’ signalisieren. Insgesamt wirkt das Bild dynamischer, weil Weitwinkel Diagonalen (Arme zB) betonen.“ Und weiter: „Unterbewusst nimmt man wahr, dass der Fotograf sehr nahe gestanden haben muss.“ Dadurch fühle man sich als Betrachter dem Politiker näher.

Zum anderen sind die Plakate eindeutig auf den Kandidaten fokussiert. Die Grünen machen nicht nur mit Baerbock, sondern auch mit Habeck Wahlkampf; bei der Union ist - zumindest in Bayern - oftmals das Konterfei von Markus Söder zu sehen. Und in vielen Wahlkreisen wird Laschet gar nicht plakatiert. Die Kampagne der SPD hingegen ist auf Scholz zugeschnitten.

Aus Stephanie Geises Sicht ist das eine kluge Entscheidung. Denn bei vielen Wählern, so Geise, gebe es den paradoxen Wunsch nach Kontinuität bei gleichzeitiger Veränderung. Scholz sei die perfekte Antwort darauf. „Er ist von einer anderen Partei, hat andere Positionen als Merkel vertreten, aber ist nicht komplett neu.“

An dem Tag, an dem die SPD die Scholz-Plakate präsentiert, macht auf Twitter ein anderes Bild Furore. Der Grünen-Kreisverband Berlin-Mitte postet ein Foto, auf dem Annalena Baerbock, Bettina Jarasch, Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, und vier weiteren Frauen zu sehen sind. Über dem Tweet steht: „Während sich auf den Gruppenfotos der Union wieder alte Männer drängeln…“. Es ist ein Seitenhieb gegen die – aus Sicht der Grünen – rückwärtsgewandten Altherrenclubs in CDU und CSU. Und gleichzeitig steckt darin die Botschaft: Wir Grünen, wir sind viel moderner als die Konkurrenz.

Doch der Angriff geht nach hinten los. Wenig später postet eine der dargestellten Frauen die ursprüngliche Version des Fotos. Darauf tauchen plötzlich drei Männer auf, allesamt mit Migrationsgeschichte, die bei der Erstveröffentlichung abgeschnitten worden waren.

Ein Fehler, für den Annalena Baerbock natürlich nichts kann. Trotzdem entlädt sich auf Twitter Häme über die Spitzenkandidatin und ihre Partei.

Denn das Bild fügt sich nahtlos in ein Narrativ ein, das die Grünen schon seit Monaten begleitet: zunächst Baerbocks geschönter Lebenslauf, dann die Plagiate in ihrem Buch, nun dieses Foto. Kritiker sehen darin Beweise, dass die Grünen es mit der Wahrheit selbst nicht immer so genau nehmen, wie sie es von anderen verlangen – und damit ihre eigenen hohen moralischen Ansprüche verletzen. „Das kratzt natürlich an der Integrität und der Glaubwürdigkeit eines Kandidaten“, sagt Geise. In den darauffolgenden Wochen fallen die Grünen in den Umfragen hinter die SPD zurück.

Mitte August werden die Umfragewerte für Laschet immer bedrohlicher. Selbst auf Parteikollegen wirkt er antriebslos. Was könnte es in dieser Situation Besseres geben, als Anschubhilfe von Tesla-Chef Elon Musk, dem menschgewordenen Gegenteil von Antriebslosigkeit? Die zentrale Botschaft des Laschet-Wahlkampfs lautet ja, ein „Modernisierungsjahrzehnt“ einläuten zu wollen.

Der Plan hinter dem gemeinsamen Auftritt auf der Baustelle der Tesla-„Gigafactory“ im brandenburgischen Grünheide: Ein Bild von Zukunftszugewandheit, Modernität, Pioniergeist schaffen. „Wir müssen uns für die Zukunft begeistern“, sagt Musk. Und Laschet steht neben ihm und nickt. Das Bild, das von diesem Termin hängenbleibt, ist jedoch ein gänzlich anderes. Es zeigt Musk, wie er Laschet, den uninformierten Möchtegern-Visionär aus Aachen-Burtscheid, auslacht. So lautet zumindest das vielstimmige Urteil, das dem desperaten Kanzlerkandidaten aus den sozialen Netzwerken entgegenschallt. Die Häme ist groß.

Der Anlass ist eine kleine Szene, in der Laschet – in gelöster Stimmung – Musk nach der automobilen Zukunft fragt und Wasserstoff als alternative Antriebsform ins Spiel bringt. Er tut das, um einer für ihn unangenehmen Journalistenfrage auszuweichen (und verheddert sich später in einem Interview noch in Widersprüche. Details sind hier nachzulesen). Musk erklärt auflachend: Elektrizität sei die Zukunft, fügt gut gelaunt an: „Was sonst?“ Was soll er, der Elektropionier, auch anderes sagen?

Hier hätte das Thema beendet sein können. Doch das Bild des lachenden Musk wird schnell mit dem für Laschet problematischen Spin versehen: Er habe keine Ahnung von Zukunftstechnologie. Damit wird die Szene aus dem Kontext völlig herausgelöst. Und Laschets Plan, sich als innovationsbegeistert zu inszenieren, löst sich auf. Am Ende überlagert ein kurzer Ausschnitt den gesamten Termin.

Immer mehr verfestigt sich damit der Eindruck, dass Laschet in dem Bild, das sich die Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen von ihm gemacht hat, gefangen ist. Egal welches Motiv er liefert, es wird gegen ihn verwendet. Die Bildwirkung scheint immer mehr seiner Kontrolle entzogen.

Die Deutschen wollen von der Politik vor allem Sicherheit, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit. Das zumindest ist die Meinung von Olaf Scholz und seinen SPD-Strategen. Auf dieser Annahme haben sie ihren Wahlkampf aufgebaut. Scholz wählen, Stabilität bekommen, diese Botschaft wollen sie vermitteln. Und weil für Stabilität in den Augen der Deutschen immer noch vor allem Angela Merkel steht, hat Scholz, aktuell Vize-Kanzler, sich als ihr natürlicher Nachfolger inszeniert. Und dafür auch ein ikonisches Bild geliefert: Als er im „Interview ohne Worte“ des SZ-Magazins mit einer Geste auf die Frage antworten soll, wie sehr er die Kanzlerin vermissen wird, zeigt er die Merkel-Raute.

„Das Motiv ist ein schönes Beispiel dafür, dass Bilder mit Bedeutungen aufgeladen werden können, die über den situativen Kontext hinausgehen“, sagt Geise. “Es zeigt, wie man mit Bildern bewusst politische Positionen besetzen kann.” Scholz habe sich mit der Rautengeste visuell in die Tradition von Merkel gestellt und seinen Anspruch als legitimer Nachfolger ausdrücken wollen, gleichzeitig aber durch das augenzwinkernde Lächeln auch eine Distanz zur Kanzlerin geschaffen. “Mich würde nicht wundern, wenn dieses Foto lange im kollektiven visuellen Gedächtnis bleibt, weil es den Wahlkampf von Scholz auf ein Foto reduziert”, so die Professorin.

Das Bemühen, einer paradoxen Situation gerecht werden zu wollen, in der die Menschen gleichzeitig Stabilität und Verlässlichkeit, aber auch Veränderung wollen - und das auch noch mit einem Augenzwinkern: Das zeige dieses Foto.

Team

Text David Wünschel, Sebastian Gierke
Digitales Storytelling David Wünschel, Sebastian Gierke
Bildredaktion Christine Kokot, Jessy Asmus
Digitales Design Sandra Hartung
Infografik Sead Mujić