1961: Bau der Berliner Mauer

Berliner Tagebuch 

Die SZ hat zum Jubiläum historische Texte aus 75 Jahren neu aufbereitet. Hier pendelt unsere Autorin in den Tagen des Mauerbaus zwischen West- und Ostberlin.

Von Ursula von Kardorff      

Ein Ereignis und seine Zeit:

Ein Ereignis und seine Zeit:

Von Christian Mayer


Als die SZ-Reporterin Ursula von Kardorff (1911 - 1988) am 19. August 1961 in Tempelhof mit dem Flugzeug landet, ist ihre Heimatstadt in Aufruhr. Die Teilung wird in diesen Tagen schreckliche Wirklichkeit, denn die DDR hat auf Anweisung von Walter Ulbricht mit dem Bau einer Mauer begonnen. Künftig dürfen die Ostberliner nicht mehr in den Westen reisen, das Bollwerk aus Beton zerreißt Familien, trennt Paare, stürzt eine ganze Stadt in die Depression. 


Kardorff reist in den kommenden Tagen über den Bahnhof Friedrichstraße mit ihrem Passagierschein in den Osten, wo sie auf schweigende, manchmal auch zornige Menschen trifft; sie kehrt zurück an die Stätten ihrer Kindheit und besichtigt die gigantische Baustelle am Alexanderplatz. Aber anders als die DDR-Bürger kann sie sich frei bewegen und zurück in den Westteil, wo die Erschütterung ebenfalls zu spüren ist. Ihr Fazit: "Berlin ist keine Weltstadt mehr." Es ist eine Stadt, in der den Menschen das Lachen gerade vergangen ist. 


Kardorff schreibt mit einer leisen Melancholie über den Mauerbau und die Traumata der deutschen Geschichte, sie entdeckt auch immer wieder tragikomische Seiten und Berliner, die sich nicht unterkriegen lassen. All das ist hohe journalistische Kunst und ein beeindruckendes Zeitdokument.

Der folgende Text ist in der SZ vom 26. August 1961 auf Seite 25 erschienen.

„Aber als nun die Tore geschlossen waren, merkten sie, daß sie alle, auch der Erzähler, in der gleichen Falle saßen. So geschah es zum Beispiel, daß ein so urpersönliches Gefühl, wie das der Trennung von einem geliebten Menschen, plötzlich, und schon in den ersten Wochen, ein ganzes Volk erfüllte und zusammen mit der Angst das größte Leid dieser langen Zeit der Verbannung bildete.“

(Camus: Die Pest)