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Das gehetzte Parlament

Seit Jahrzehnten debattiert der Bundestag über Flüchtlinge. Eine SZ-Datenrecherche belegt, wie sehr die AfD den Diskurs nach rechts verschoben hat. Erkundung einer Zäsur.

Einen Tag nach den mutmaßlichen rechtsterroristischen Morden von Hanau tut Bundespräsident Steinmeier das, was von Politikern erwartet wird. Er fährt hin, drückt Anteilnahme aus, ruft zum Kampf gegen Hass und Gewalt auf. Er tut aber noch etwas: Er stellt die “Sprache der Ausgrenzung” in seinem Appell auf eine Stufe mit Gewalt. Und er fordert dazu auf, “auf unsere Sprache” zu achten, “in der Politik, in den Medien und überall in der Gesellschaft”. 

Spätestens seit Hanau ist viel davon die Rede, wie Sprache den Boden für Taten bereitet - wie sich erst die Grenzen des Sagbaren verschieben und dann die des Machbaren.

Hat sich die Sprache auch in der Politik verändert? Ist die politische Debatte nach rechts gerückt? Die Süddeutsche Zeitung hat versucht, sich diesen Fragen anzunähern - dort, wo Meinungen zusammenkommen, wo links und rechts aufeinandertreffen, wo sich all das verdichtet und gerinnt: im Bundestag. Die mehr als 4200 Protokolle aller Plenarsitzungen, in denen Stenografen minutiös alle Wortmeldungen festhalten, sind ein Seismograf für tektonische Verschiebungen und politische Beben. Die SZ hat alle Parlamentsprotokolle der Bonner Republik und des wiedervereinigten Deutschlands seit 1949 mit neuartigen computerlinguistischen Methoden (mehr dazu hier) ausgewertet, um herauszufinden, wie sich die Sprache und der politische Diskurs verändert haben.

Der Fokus lag auf zwei aktuellen Themen: Neben der Diskussion um die Klimakrise (mehr dazu hier) haben wir den Migrationsdiskurs in den Protokollen untersucht. Nicht nur, weil über das Thema seit Aufnahme der vielen Geflüchteten gestritten wird. Nicht nur, weil es in 70 Jahren immer wieder heftig diskutiert wurde. Sondern auch, weil sich mit der sogenannten Flüchtlingskrise und dem Einzug einer zumindest in Teilen rechtsradikalen Partei in den Bundestag eine Zäsur ereignet hat. Das lässt sich schon auf den ersten Blick aus den Sitzungsprotokollen ersehen. Debatten über Ausländer, Einwanderer, Flüchtlinge - das gab es in Deutschland immer wieder. Aber noch nie mit dieser Intensität.

Die Grafik zeigt die Häufigkeit bestimmter Begriffe und macht deutlich: In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als das kriegszerstörte Deutschland zwölf Millionen Flüchtlinge aufnahm, wird das Thema im Bundestag zurückhaltend verhandelt. Selbst der damals gängige Begriff Vertriebene fällt maximal 15-mal (die vertikale Achse gibt die Anzahl der Nennungen pro 100 000 Wörter an).

Ähnlich oft fällt das Wort Flüchtling in den Nachkriegsjahren. Zwischen 2013 und 2017 benutzen es die Parlamentarier dann fast dreimal so oft (wieder bezogen auf 100 000 Wörter). Und auch in der aktuellen Legislaturperiode taucht es häufiger auf als in der Nachkriegszeit.

Auch die Frequenz vergleichbarer Begriffe fällt dagegen deutlich ab - Ausländer etwa wurde in den Achtziger- und Neunzigerjahren häufig verwendet, aber in der Spitze nur etwa so oft wie Vertriebener. Die Intensität der jüngsten Flüchtlingsdebatte sticht also schon dann heraus, wenn man nur die Worthäufigkeiten betrachtet.

Seit der Flüchtlingskrise und dem Einzug der AfD in den Bundestag wird aber nicht nur mehr über Migration geredet - sondern auch anders.

Rechtsruck in der Debatte

Der politische Diskurs, das zeigt sich in der Datenanalyse, hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Der Einfluss der AfD dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, denn die Partei hat den Korridor des politisch Sagbaren nach rechts verschoben. 

Die SZ hat einen Algorithmus eingesetzt, um das untersuchen zu können - um untersuchen zu können, in welchem Kontext Wörter verwendet werden. Jeder Begriff wird dazu in Datenpunkte verwandelt, die seinen Bedeutungsraum beschreiben. Alle Wörter aus den Protokollen sind in diesem Raum verortet, so ist es möglich zu errechnen, welche Wörter sich inhaltlich besonders nahe oder ähnlich sind. Das erlaubt die Analyse des Diskurses, weil ersichtlich wird, wie sich der Kontext und die Bedeutung von Wörtern verschiebt. Und die Auswertung der Protokolle belegt einen Bruch in der Debatte von der vorigen auf die aktuelle Legislaturperiode. Ab 2017 ändert sich etwas. 

Die Szenen haben sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt: 2015 begrüßen viele Menschen ankommende Flüchtlinge am Bahnhof, herzlich, klatschend. Sie helfen, spenden Kleidung und Schlafsäcke, bringen Essen mit.

Aber die vielbeschworene Willkommenskultur, die Selfies von Neuankömmlingen mit der Kanzlerin - all das ist mittlerweile nur mehr Stoff für das politische Fotoalbum. 

Nun verändert sich das Klima. Und das schlägt sich in den Bundestagsprotokollen nieder, zum Beispiel bei der Asyl-Debatte. Mit vom Algorithmus berechneten Wörterlisten lässt sich dieser Umschwung genau nachvollziehen, sie geben einen direkten Einblick in die politische Diskussionen dieser Zeit. Die Listen enthalten die Begriffe, die die Parlamentarier besonders oft in diesem Zusammenhang benutzen und die so in der jeweiligen Legislaturperiode einem bestimmtem Wort am ähnlichsten sind. 

Hier zum Beispiel das Wort Asyl. Je größer die inhaltliche Nähe dazu ist, desto weiter oben steht ein Begriff in der Liste. Die Schrift-Dicke signalisiert, wie stabil die Begriffe sind - vereinfacht gesagt, wie zuverlässig der Algorithmus sie in diesem Zusammenhang findet. In der Legislaturperiode von 2013 bis 2017 sind Begriffe wie Zuflucht oder Schutzstatus wichtig - also bestimmen eher humanitäre Aspekte den Kontext von Asyl.

In der Legislaturperiode danach, in der nun die AfD im Bundestag sitzt, verändert sich das Bild: Im Kontext von Asyl gewinnen eher verwaltungstechnische Begriffe wie Bleiberecht, Familiennachzug oder auch subsidiär an Bedeutung. Die Bürokratie, die Verwaltung von Menschen, auch mögliche Belastungen rücken in den Vordergrund. 

Zunächst einmal ist es nur folgerichtig, dass sich nach der Akutsituation in den Jahren 2015 und 2016, also nach der in die 18. Legislaturperiode fallenden Aufnahme von fast einer Million Menschen, der politische Fokus nun auf die Konsequenzen, auf die aufenthaltsrechtliche Sacharbeit richtet.

Es bleibt aber nicht bei einer rein inhaltlichen Verlagerung. Die Parlamentarier reden nun nicht nur über anderes - sie reden auch anders darüber. Das passiert durch rechtes Framing, also das bewusste oder unbewusste Nutzen und Einspeisen von Wörtern, die einen ganz anderen Deutungsrahmen aufrufen, die also andere Assoziationen auslösen und so Denken und Handeln beeinflussen können.

Ein Beispiel dafür ist der Vergleich der Begriffe Flüchtling und Migrant: Während der Begriff Flüchtling eher an Empathie, Hilfsbereitschaft und Solidarität appelliert, ist der Migrant erst einmal ein Mensch in Bewegung - dessen Schutzbedürftigkeit und die etwaige Legitimität dieser Bedürftigkeit werden begrifflich nicht transportiert. Wenn also im Parlament mehr und mehr von Migranten statt von Flüchtlingen die Rede ist, weist das auf eine Verschiebung des Framings und damit in der Folge auch des Diskurses hin.

In der aktuellen Legislaturperiode, in der die AfD vom außerparlamentarischen Stichwortgeber zum Akteur in der parlamentarischen Debatte geworden ist, entwickelt auffälligerweise Migrant eine immer größere inhaltliche Nähe zu Flüchtling, während eben der Begriff des Flüchtlings selbst an Bedeutung verliert. Natürlich lässt sich Migrant grundsätzlich auch in einem anderen Sinn denken und verwenden - hier kommt das Wort aber in ein und derselben Debatte und in der Bedeutung von Flüchtling neu hinzu, obwohl es zuvor, ohne AfD-Einfluss, kaum eine Rolle spielte.

Flüchtling kommt, wie oben schon gesehen, nie wieder so häufig vor wie in der 18. Legislaturperiode von 2013 bis 2017.

In der darauffolgenden, aktuellen Legislaturperiode aber geht die Häufigkeit der Nennungen von Flüchtling stark nach unten, die von Migrant steigt dagegen deutlich an.

Diese Entwicklung schlägt sich auch in den Wörterlisten nieder, die den Assoziationsraum des Wortes erkennen lassen: Während in der vorigen Legislaturperiode bei dem Wort Flüchtling die wertneutralen Begriffe Asylbewerber oder auch Schutzsuchender oben stehen, also dem Flüchtling am ähnlichsten sind, ... 

… sind in der aktuellen Migrant und Einwanderer nach oben und damit dem Begriff Flüchtling näher gerückt. Veränderungen, wie sie hier deutlich werden, veranschaulichen die Bedeutungsverschiebung des Wortes.

Verlässt man die Vogelperspektive der Daten und liest die Redetexte selbst, wird deutlich, wie das konkret passiert: Der Begriff Migrant - wenn eigentlich Flüchtling gemeint ist - wird im Plenarsaal überwiegend von Rednern der AfD benutzt. Selbst in asylrechtlichen Debatten, bei denen es um anerkannte Flüchtlinge geht, scheuen die Vertreter der AfD das Wort - sie reden dann sogar von syrischen Migranten, wenn Bürgerkriegsflüchtlinge gemeint sind. 

Wie aus den Reden selbst hervorgeht, wird dieses Framing im Bundestag von der AfD sehr bewusst und gezielt eingesetzt, wie beispielsweise von Jan Nolte (hier das Bundestagsprotokoll):

Ich möchte nur sichergehen, dass ich Sie auch richtig verstanden habe. Sie sagen also, die Menschen, die Sie Flüchtlinge nennen und ich Migranten …

Zu einer ähnlichen Diagnose führt ein Blick auf andere Protagonisten der Debatte: Wie beim Flüchtling verändert sich der Kontext des Wortes Asylbewerber deutlich. Beim Vergleich der Wörter mit besonderer Nähe zu eben diesem Begriff über mehrere Legislaturperioden sehen wir, dass die eher wertneutralen, fast synonymischen Begriffe wie Asylsuchender oder Geduldeter an Bedeutung verlieren.

Dominanter werden dafür eher verwaltungstechnische und negativ besetzte Begriffe wie ausreisepflichtig und abgelehnt, in denen Abwehr und Abschottung mitschwingt. Sie sind in der aktuellen Legislaturperiode ganz nach oben gewandert, was für die größtmögliche Nähe zu Asylbewerber spricht.

Der Eindruck bestätigt sich auch bei der Gegenprobe, sogar bei etwas positiver konnotierten Wörtern wie Asylsuchende: Auch hier lässt sich ein solcher Wandel bei den inhaltlich ähnlichen Begriffen beobachten.

Diese Beispiele belegen, wie sich die Debatte über Migration in den vergangenen Jahren verschoben hat und dass dafür die neue rechte Fraktion mitentscheidend ist. Ich sehe die AfD auf jeden Fall als treibende Kraft, sagt die Politikwissenschaftlerin Laura Stielike, die am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück unter anderem zu institutionellem Rassismus und Diskursanalyse forscht. Sie hat dabei beispielsweise den Asylstreit im Sommer 2018 und die Konfrontation zwischen Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Innenminister Horst Seehofer Blick. 

Das war eine unglaubliche Macht, die sich da entfaltet hat. Pegida und auch die AfD hatten so, vermittelt durch die etablierten Parteien und die Regierenden, einen sehr starken Einfluss", sagt Stielike. Das zeigt sich das auch in den zahlreichen rechtlichen Veränderungen, insbesondere durch die Asylpakete 2015 und 2016, die zahlreiche Restriktionen für Geflüchtete mit sich bringen. Und das obwohl die erst 2013 gegründete AfD, die sich nach und nach von der eurokritischen zur zumindest in Teilen rechtsradikalen Partei gewandelt hat, da noch nicht mal im Parlament sitzt.

Migrationsforscher unterscheiden drei Diskursstränge: den humanitären, den ökonomischen und den rassistischen. Alle drei spielen eine Rolle, wenn über Migration gesprochen wird - aber es gibt immer wieder Unwuchten in die eine oder andere Richtung. Derzeit dominiert Stielike zufolge eher ein rassistischer Diskurs, der auf Ausgrenzung und Ausschluss abziele. Die humanitäre Dimension ist wie die Aufgeschlossenheit gegenüber Zugewanderten spätestens 2016 ins Abseits geraten. Das zeigt sich auch in Umfragen: Der Leipziger Autoritarismus-Studie zufolge ist ein Viertel der Bevölkerung geschlossen ausländerfeindlich eingestellt, Ausländer bleiben ein gewohntes Feindbild” - mit steigender Tendenz. 

Der humanitäre Diskurs hat der Forscherin zufolge zuletzt an Bedeutung verloren, auch weil die etablierten Parteien unglaubwürdig werden, wenn sie Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Übrig bleibt dann nur noch der Nützlichkeitsdiskurs, in dem es um die Nutzbarmachung migrantischer Arbeitskräfte geht - er ist zwar positiv besetzt, stellt aber an Zuwanderung die Bedingung der Verwertbarkeit. Es fehlt also an positiven Gegenentwürfen zu dem Bild, das die AfD zeichnet, sagt Stielike.

Tatbestand Einwanderung


Es geht aber um mehr als um eine Tendenz in der politischen Debatte, um mehr als eine Drift im Migrationsdiskurs. All das bereitet den Boden für eine weitaus problematischere Entwicklung. Denn der aktuelle diskursive Rechtsdrall, der sich auch im Bundestag nachweisen lässt, führt in seinen extremen Ausprägungen zu einer Diffamierung und Verunglimpfung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte.

Den Anfang machen entmenschlichende Framing-Begriffe aus der Flüchtlingsdebatte, die bereits kritisiert wurden: Flüchtlingsstrom, -welle oder -krise. Sie tragen nicht nur zu einer der realen Situation unangemessenen Dramatisierung bei, sondern führen durch ihren bewussten oder auch unbewussten Einsatz dazu, dass der humanitäre Diskurs um Flüchtlinge gegen den rassistischen verliert. 

Der Begriff Flüchtlingsstrom taucht zwar schon vor der 18. Legislaturperiode im Parlament auf, allerdings seltener. In der Legislaturperiode von 2013 bis 2017 wird er im Bundestag so häufig wie nie verwendet - obwohl gesamtgesellschaftlich und medial heftig über die Legitimität des Begriffs gestritten wird, der Assoziationen mit Bedrohung, Gefahr oder gar Naturkatastrophen mit sich bringt.

Auch der Begriff Flüchtlingswelle gewinnt erst mit der 18. Legislaturperiode immens an Bedeutung. Er ist vorher so gut wie nie zum Einsatz gekommen.

Und das Wort Flüchtlingskrise ist vor 2013 im Bundestag gar nicht existent, es ist eine Wortschöpfung der jüngeren Vergangenheit. Daher ist die graue Linie, die das Wort repräsentiert, auch nur ein Strich zwischen zwei Punkten.

Nichtsdestotrotz schaffen es diese Begriffe bis in den Bundestag - überwiegend, wie sich beim Blick in die Reden zeigt, in Aussagen der Unionsfraktion. Sprache prägt unser Denken, unsere Wahrnehmung - das heißt, mutmaßlich wird der Blick auf Flüchtlinge auch durch die intensivere Verwendung solcher Begriffe geprägt.

In der Folge tauchen dann immer stärker negativ besetzte Begriffe auch in den Assoziationsräumen der untersuchten Wörter aus dem Migrationsdiskurs auf. Es häufen sich also nicht nur die Framing-Wörter, sondern die Bedeutung von Begriffen selbst wandelt sich allmählich. Hier wird dann augenscheinlich, was sich bei den genannten Framing-Wörtern wie Flüchtlingswelle schon andeutete oder durch diese begünstigt wurde: Menschen mit Migrationsgeschichte, gleich welcher, werden mehr und mehr als fremd, wenn nicht sogar bedrohlich dargestellt. All das verstärkt sich, mutmaßlich unter dem Einfluss der AfD, in der aktuellen Legislaturperiode. Die Grenzen des Sagbaren und des politisch Hinnehmbaren werden von den Rechtsradikalen verschoben. In einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung ist von einem AfD-Effekt die Rede. Demnach sind mit ihr viele völkisch-nationale oder geschichtsrevisionistische Positionen, die vorher nur rechtsaußen zu finden waren, nun im Bundestag zu hören - und damit im Korridor des politisch Akzeptablen. Solche Effekte sind an zahlreichen Beispielen nachweisbar, wenn man sich Unterschiede zwischen der aktuellen Legislaturperiode und der vor Einzug der AfD vor Augen führt.

Im Kontext des Wortes Asylbewerber zum Beispiel verlieren im 19. Bundestag eher neutrale Begriffe an Bedeutung, abgelehnt dagegen findet sich nun an erster Stelle. Und hinzu kommen ausreisepflichtig und vor allem Gefährder.

Der Eindruck verstärkt sich beim Wort Migration: Es wird in der 19. Legislaturperiode nicht nur mit irregulär, sondern nun auch noch mit illegal assoziiert. Die aktuelle ist die einzige Legislaturperiode, in der das überhaupt der Fall ist.

Das Wort Abschiebung ist ein weiteres aussagekräftiges Beispiel. Zwar zeigt sich in allen Hochphasen der Migrationsdebatte, wie etwa hier in den Neunzigerjahren, dass natürlich gerade dann oft über Abschiebung und in diesem Zusammenhang auch über Ausweisung und abgelehnt diskutiert wird. Auch abwertende Begriffe wie schwerkriminell tauchen auf.

In der aktuellen Migrationsdebatte ist diese Tendenz aber noch ausgeprägter: Begriffe, in denen Ablehnung mitschwingt, gewinnen zumal im 19. Bundestag an Bedeutung. Und vor allem tauchen nun zusätzlich und weiter oben in den Listen angstbesetzte Begriffe wie Straftäter und Gefährder auf, die Migration mit Bedrohung in Zusammenhang bringen. Diese Legislaturperiode ist - auch aufgrund der Debatte um terroristische Anschläge - die einzige, in der Abschiebung etwas mit Gefährdern zu tun hat.

Die Tendenz ist klar: Migration und Menschen mit Migrationshintergrund werden kriminalisiert, auch stärker als in vorangegangenen Diskursen. Das liegt natürlich auch an realen Ereignissen, an realen Verbrechen und realen islamistischen Anschlägen. Aber die werden allzu oft politisch instrumentalisiert, was in eine angstgetriebene gesellschaftliche Debatte und auch in teils feindselige Tendenzen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund mündet.

Zum einen ist bei Gewalttaten, bei denen Nichtdeutsche in Verdacht stehen, wie etwa der Vergewaltigung einer jungen Frau in Freiburg oder dem Angriff auf einen Feuerwehrmann in Augsburg Ende vorigen Jahres, die Aufmerksamkeitsökonomie häufig anders gelagert - über sie wird intensiver und anders berichtet. In der Folge flammt dann verlässlich die Abschiebungsdebatte wieder auf. Zum anderen wird oft, wie der Blick in die Bundestagsdebatten selbst zeigt, ein Generalverdacht gegen Menschen mit Migrationsgeschichte erhoben (ein Beispiel in diesem Bundestagsprotokoll).

Rechte nutzen diese Gemengelage gezielt aus, sie instrumentalisieren Verbrechen und ihre Opfer und schaffen, auch über Framing-Prozesse, einen Assoziationsraum, in dem die Aufnahme von Menschen aus anderen Ländern mit sozialer Belastung ebenso wie mit Bedrohung gleichgesetzt wird (deutlich wird das zum Beispiel in diesem Bundestagsprotokoll). Durch Framing wie dieses wird Migration mehr und mehr mit etwas Negativem, Bedrohlichem, Widerrechtlichem kontextualisiert. 

Bei dem Augsburger Fall war dann in AfD-Kreisen auch reflexhaft von Migrantengewalt die Rede, obwohl der mutmaßliche Haupttäter ein in der Stadt geborener Deutscher mit mehreren Staatsbürgerschaften ist. Während beispielsweise der in Chemnitz getötete Daniel H. geradezu zu einem Märtyrer der rechten Szene wurde, seine kubanischen Wurzeln jedoch verschwiegen wurden. Skandalisierung, wie sie gerade bei Verbrechen oft passiert, ist eine weitverbreitete Strategie rechter Parteien und Organisationen, wie Migrationsforscherin Stielike erklärt: Sie suchten sich einen Fall, verbreiteten Fehlinformationen und riefen damit falsche Assoziationen auf - bis der Diskurs kaum mehr einzufangen sei.

Das ist umso problematischer, weil Debatten auch auf Basis von Fehlinformationen oftmals reale Konsequenzen auch für die etablierten Parteien und Politikerinnen und Politiker haben. Sie müssen sich dazu verhalten, ohne die Diskursmacht zu haben, sagt Stielike. Damit haben entfesselte Diskurse, denen der Bezug zur Realität weitgehend abhanden gekommen ist, oft realpolitische Konsequenzen und treiben die politischen Entscheider vor sich her.  

Am sogenannten Asylkompromiss 1993 wie an den Asylpaketen I und II in den Jahren 2015 und 2016 haben die sich zuspitzende Debatte und wachsende Ressentiments einen entscheidenden Anteil: Trotz heftiger Kritik wird das Grundrecht auf Asyl weiter eingeschränkt, beispielsweise werden Geldzahlungen in den Aufnahmeeinrichtungen wieder durch Sachleistungen ersetzt, mehr Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Besonders augenfällig wird die Problematik der Kriminalisierung bei Seehofers sogenanntem Geordnete-Rückkehr-Gesetz, auf dessen Basis abgelehnte Asylbewerber nun direkt in Gefängnissen untergebracht werden können. 

Der Bundestag bewegt sich in seinen Debatten und damit in seiner politischen Ausrichtung weg vom im Grundgesetz (Artikel 16a) festgeschriebenen Recht auf Asyl, vom Assoziationsraum von Recht, Schutz und Hilfe hin zu einem Bedrohungsszenario durch Migration, zu einem Tatbestand Einwanderung. Die Wahrnehmung von Migration im Sinne einer Anerkennungs- und Willkommenskultur, also zum einen als Chance von Vielfalt für die Gesellschaft wie auch für den Arbeitsmarkt, zum anderen aber auch aus einer Pflicht heraus, anderen Menschen zu helfen - das sei zwar nicht verschwunden, dominant sei derzeit aber ein Denken über Migration, das vor allem auf Kontrolle, Einschränkung und Abschreckung setze, sagt Migrationsforscherin Laura Stielike.

Besonders deutlich wird diese Diskursverschiebung beim Begriff illegal. 

Während in den Sechziger- und Siebzigerjahren mit dem Anwerben von sogenannten Gastarbeitern zum Beispiel die Ausländerbeschäftigung oder die Ausländer und die Einreise selbst mit illegal assoziiert werden, wie hier die Liste ähnlicher Wörter zeigt, tritt das Thema Migration in der Folge eher in den Hintergrund. In den Siebzigern diskutiert der Bundestag beispielsweise über Aborte, wenn es um Illegalität geht, in den Achtzigerjahren ist der Bezug eher wirtschaftlich.

Der Begriff rückt dann in den Neunzigern wieder stärker in den Kontext Migration, wenn in der harsch geführten Asyldebatte Grenzübertritt und Einreise näher an illegal heranrücken, wie auch einige Jahre später wieder in der Zuwanderungsdebatte Anfang des Jahrtausends.

In jüngerer Zeit allerdings findet inhaltlich eine starke thematische Verengung auf Migration statt - und eine sichtbare Verschärfung, wieder vor allem in der aktuellen Legislaturperiode. Während die Abgeordneten des 17. Bundestags noch über den illegalen Holzeinschlag diskutieren (illegale Abholzung und illegaler Handel mit Holz waren im Bundestag immer wieder, damals auch aufgrund neuer EU-Verordnungen, ein Thema) …

… wird in der 18. Legislaturperiode Menschenschmuggel erneut und diesmal an erster Stelle der Grenzübertritt mit illegal assoziiert.

In der 19. Legislaturperiode haben dann schließlich Menschen selbst, Migrant und Einwanderer, die größte inhaltliche Nähe zum Begriff illegal.

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Diese Grafik zeigt im Überblick neun Begriffe, die über alle 70 Jahre Bundestag hinweg die größte inhaltliche Nähe zu illegal aufweisen, - und damit auch die Spannweite des Assoziationsraums. Ein grünes Feld belegt einen Zusammenhang in der jeweiligen Legislaturperiode - je dunkler, desto häufiger konnte der Algorithmus den Begriff als einen identifizieren, der illegal inhaltlich nahe ist. 

Über die Jahre ist das bei den unterschiedlichsten Phänomene der Fall - von eindeutigen Straftatbeständen wie Schmuggel oder Drogenhandel bis zur Schwarzarbeit.

Aber gerade in den vergangenen Jahren hat illegal nun wieder vermehrt mit Schleuserkriminalität und dem Grenzübertritt zu tun, bekommt also einen Migrationsbezug.

Vom Vertriebenen zum Migranten

Der aktuelle Streit um Migration und Integration ist nichts Neues in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit politischen Themen ist es ein bisschen wie mit Modetrends: Sie tauchen auf, verdrängen andere, verlieren an Aufmerksamkeit, werden von wieder anderen verdrängt - um dann Jahre später in anderer Gestalt wieder aufzuscheinen. Für die politische Debatte in der Bundesrepublik und schließlich im wiedervereinigten Deutschland gilt: Etwa einmal pro Dekade kreist die politische Debatte um die Migration.

Auch die Schärfe der aktuellen Diskussion ist per se keine unbekannte Erscheinung, von rassistischen Untertönen wird der Migrationsdiskurs immer wieder geprägt. Auffällig ist aber die Intensität und auch die Unversöhnlichkeit in der Debatte, zumal wenn sie mit der realen Situation ins Verhältnis gesetzt und mit anderen Phasen in der jüngeren Geschichte verglichen wird.

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In den Bundestagsprotokollen lässt sich das wie unter einem Brennglas nachvollziehen. Die Übersichtsgrafik über alle 70 Jahre zeichnet fast schon seismografisch - begreift man die dunklen Cluster wie hier beim Wort Flüchtling als Ausschläge - die Höhepunkte der Debatten nach.

Außerdem zeigt sich eine Bedeutungsverschiebung: In der Nachkriegszeit und den Fünfziger- und Sechzigerjahren geht es - das zeigen die inhaltlich nächsten Wörter - vor allem um Kriegsgeschädigte und Vertriebene.

In den späten Achtziger- und Neunzigerjahren diskutieren die Abgeordneten wieder über das Thema, aber mit dem Fokus auf Asylbewerber.

Die Migrationsdebatte setzt sich bis in die aktuelle Legislaturperiode fort, in der sich dann rechtes Framing mit dem Begriff Migrant bemerkbar macht.

Trotz der unterschiedlichen Begriffe: Flucht fordert Menschen auf sehr ähnliche Weise heraus, egal wann und warum sie aufbrechen.

Das zeigen die Fotos aus Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und in der jüngsten Vergangenheit.

Aber so ähnlich die Bilder scheinen, die Unterschiede sind groß: Damals muss ein kriegszerstörtes Land zwölf Millionen Menschen aufnehmen. 

In den vergangenen Jahren sieht sich ein reiches Land bei guter wirtschaftlicher Lage und funktionierendem Sozialsystem mit nicht einmal zwei Millionen Asylsuchenden konfrontiert. 

In den Sechziger- und Siebzigerjahren driftet die Migrationsdebatte mit der Anwerbung von Arbeitern aus dem Ausland ins Wirtschaftliche. Bis mit dem Anwerbestopp allmählich wieder eine längere Phase der restriktiveren Migrationspolitik einsetzt.

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In der Folge gewinnt das Wort Ausländer, bei dem Ab- und Ausgrenzung mitschwingt, wieder an Bedeutung. Auch bei diesem Begriff lassen sich die deutschen Migrationsdebatten in der Übersichtsgrafik nachvollziehen. Gastarbeiter spielt in diesem Zusammenhang nur in den Sechzigern und Siebzigern eine Rolle und verliert dann an Bedeutung.

In der Asyldebatte der Neunzigerjahre, die der Historiker Ulrich Herbert eine der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten innenpolitischen Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte nennt, werden dann die Themen Arbeitsmigration und Asyl vermengt, wie auch die Grafik zeigt: Asylbewerber und Asylsuchender hat eine große Nähe zu Ausländer. In dieser Zeit kommen zahlreiche Asylsuchende - allein 1992 sind es fast 440 000 - nach Deutschland.

Das Wort Migrant taucht in dieser schwierigen Phase erstmals auf - ebenso der asylrechtliche Begriff ausreisepflichtig.

Ähnlich wie Kanzler Willy Brandt zwanzig Jahre zuvor warnt nun Helmut Kohl vor der Grenze der Belastbarkeit. Auch in Teilen der Bevölkerung werden Flüchtlinge mehr und mehr als diffuse Belastung empfunden, populistische, mitunter rassistische Debatten werden geführt. Die feindselige Grundstimmung mündet in Anschläge wie hier in Rostock-Lichtenhagen - Gewalt, wie wir sie auch heute wieder erleben.

Zäsur nach 70 Jahren

Das Thema Migration beschäftigt den Bundestag über 70 Jahre hinweg immer wieder - mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten und Ausprägungen. Und auch immer wieder mit einer migrationskritischen, ja -feindlichen Haltung und mit rassistischen Untertönen. Das zeigt die Analyse der Bundestagsprotokolle, gerade beim Vergleich mit früheren Legislaturperioden. Die Veränderungen in den Kontexten einzelner Wörter und die Verschiebungen der Diskurse können Sie in diesem Tool, mit Klick auf die Begriffe, selbst nachvollziehen:

Die Analyse zeigt aber auch: Trotz dieser Vorgeschichte bedeutet die Flüchtlingskrise 2015 und die sich in der Folge entspinnende und mehr und mehr mit Ressentiments aufgeladene Debatte einen Bruch im politischen Gefüge, der schließlich in den Einzug der AfD in den Bundestag mündet. Erstmals sitzt in diesem Parlament, das sich vier Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur konstituiert hat, wieder eine Fraktion, die rechtsradikale, mitunter auch völkisch-nationale Positionen vertritt. 

Die Daten aus den Bundestagsprotokollen zeigen:

Das deutsche Parlament hat in seiner gesamten Geschichte noch nie so intensiv über Themen wie Flüchtlinge oder Asyl debattiert.

Mit diesem Phänomen geht auch eine inhaltliche Verschiebung einher: Der politische Diskurs über diese Themen ist nach rechts gerückt.

Der Ton im Migrationsdiskurs ist in jüngster Zeit schärfer, aggressiver geworden, die Abwehrhaltung ausgeprägter.

An all diesen Entwicklungen hatte die AfD einen entscheidenden Anteil.

Wie sich das und der Einfluss der AfD im Rest dieser Legislaturperiode und in künftigen weiterentwickelt, bleibt offen. Nicht nur, weil eine Normalisierung im Umgang mit den neuen Rechten im Parlament - man denke an die wieder und wieder scheiternde Wahl des Bundestagsvizepräsidenten oder an regelmäßig wiederkehrende Eklats nach rechten Provokationen - zumindest bisher nicht stattgefunden hat. Sondern auch weil die Aufmerksamkeit für das bisherige AfD-Kernthema Migration sinkt. Nicht zuletzt deswegen gewinnt auch für die Rechten das Thema Klimawandel an Bedeutung. Die Analyseergebnisse zum Klimadiskurs lesen Sie hier:

Und wie die Methode funktioniert und wie wir sie angewendet haben, erklären wir hier: