Pegasus-Projekt

„Die gesamte Branche basiert auf einer Lüge“

US-Whistleblower Edward Snowden kritisiert nach Enthüllung des Pegasus-Projekts den Einsatz kommerzieller Spionagesoftware

Von Carina Seeburg

19. Juli 2021 - 3 Min. Lesezeit

Nach den Enthüllungen über den Einsatz der Spionagesoftware Pegasus gegen Journalisten, Politiker und Menschenrechtsaktivisten hat sich Edward Snowden, der 2013 Abhörtechniken des US-Geheimdienstes NSA aufgedeckt hatte, schockiert über das Ausmaß der weltweiten Überwachung geäußert: „Wir dulden keinen kommerziellen Markt für Atomwaffen, wir dulden keinen kommerziellen Markt für chemische oder biologische Waffen, aber wenn es um diese digitalen boshaften Angriffsvektoren geht, unternehmen wir rein gar nichts“, sagte Snowden in einem Interview mit dem britischen Guardian.

Ein internationales Team von Journalistinnen und Journalisten, dem in Deutschland Süddeutsche Zeitung, NDR, WDR und die Zeit angehörten, hatte zuvor monatelang Listen von Telefonnummern ausgewertet, die offenbar für die Überwachung mit der Spähsoftwäre Pegasus ausgewählt wurden. Pegasus ist ein Produkt des israelischen Unternehmens NSO Group.

Früher sei die Überwachung von Menschen – Kriminellen oder unliebsamen Oppositionellen – für Regierungen aufwendig und kostspielig gewesen. Durchsuchungsbefehle mussten genehmigt werden, für das Installieren von Kameras und Mikrofonen habe man in Häuser eindringen müssen. „Aber wenn sie dasselbe aus der Entfernung tun können, die Kosten gering sind und keinerlei Risiko besteht, dann fangen sie an, das die ganze Zeit zu tun, gegen jeden, der auch nur ansatzweise von Interesse ist“, sagte Snowden. Das zeige auch die Liste von 50 000 Zielpersonen. „Man verwanzt keine 50 000 Häuser.“ Gegen den Spion in der eigenen Tasche aber sei der Einzelne schutzlos.

"Sie behaupten, Leben zu schützen und Verbrechen zu verhindern, aber in vielen Ländern wird diese Software Tag für Tag dazu genutzt, Menschen auszuspionieren, die keine legitimen Ziele sind."

Denn wenn man einen Weg gefunden habe, ein einzelnes iPhone zu hacken, könne man sie alle knacken. Und das sei ein Angriff auf eine kritische Infrastruktur, auf die sich heute alle verlassen müssten. „Es ist egal, unter welcher Flagge man lebt und welche Sprache man spricht, wir alle sind davon betroffen“, sagte Snowden. Weltweit und vom Minister bis zum Menschenrechtsaktivisten, Journalisten oder zum einfachen Bürger – niemand sei vor staatlicher Überwachung sicher, solange sie keinen strengen Gesetzen unterliege. „Die gesamte Branche der kommerziellen Hersteller von Intrusion-Software basiert auf einer Lüge“, sagte Snowden. „Sie behaupten, Leben zu schützen und Verbrechen zu verhindern“, aber in vielen Ländern werde diese Software Tag für Tag dazu genutzt, Menschen auszuspionieren, die keine legitimen Ziele seien.

„Die NSO tut das nicht, um die Welt zu retten, sondern aus einem einzigen Grund heraus: um Geld zu verdienen“, sagte Snowden. Zu welchem Preis aber? Diese Frage müsse man sich gerade in Europa und den USA stellen. „Wie können diese Unternehmen kommerziell dermaßen erfolgreich sein und sich rund um den Globus ausbreiten? Ganz offensichtlich haben unsere Regulierungsmaßnahmen versagt“, sagte Snowden. Der einzelne Mensch könne gegen die Spionagesoftware nichts ausrichten und der Verzicht auf Mobiltelefone sei keine Lösung. Daher müsse der Verkauf der Technologie durch Firmen wie NSO verboten werden. „Das ist der einzige Weg, wie wir uns schützen können.“

Team

Text Carina Seeburg
Digitales Storytelling Carina Seeburg
Digitales Design Felix Hunger