1955: Moskau-Reise von Adenauer

Moskau sagt: „Auf Wiedersehen“

Die SZ hat zum Jubiläum historische Texte aus 75 Jahren neu aufbereitet. Hier: Das letzte Händeschütteln zwischen Adenauer und Bulganin.

Von unserem nach Moskau entsandten Redaktionsmitglied Hans Ulrich Kempski  

Ein Ereignis und seine Zeit:

Ein Ereignis und seine Zeit:

Von Christian Mayer


Selten erlebt man als Journalist Weltpolitik so unmittelbar wie Hans Ulrich Kempski bei seiner Moskau-Reise im September 1955. Der legendäre SZ-Reporter ist hautnah und stets bestens informiert dabei, wie Bundeskanzler Konrad Adenauer persönlich einen Deal mit der sowjetischen Staatsführung aushandelt. Es ist eine schicksalhafte Reise, denn es geht um die Heimkehr der letzten deutschen Kriegsgefangenen. 


Kempski ist ein vorzüglicher Beobachter, er weiß um die Wichtigkeit von Ritualen in der Politik: Ihm reichen kurze Zitate und Andeutungen, um Adenauers schwierige Rolle zu beschreiben. Der Kanzler, alles andere als ein Freund der Kommunisten, darf in Moskau weder zu selbstbewusst noch zu unterwürfig auftreten; er muss im Gespräch mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten Nikolai Bulganin den richtigen Ton treffen. 


Kempskis Reportage ist heute ein Zeitdokument: Wir erleben Adenauer in seiner vielleicht besten Phase, als er mitten im Kalten Krieg die Sowjets charmiert und die Verhandlungen zum Erfolg führt. Wunderbar sind die Beobachtungen, wie die Auslandskorrespondenten stundenlang die Telefonanlagen blockieren, damit sie die Nachricht von der Heimkehr der Kriegsgefangenen sofort ihren Redaktionen melden können, oder wie Reporter aus Ost und West gemeinsam feiern, als die Übereinkunft bekannt wird. Weltpolitik wird 1955 noch von Männern gemacht, die gerne erst mal einen guten Schluck trinken.

Der folgende Text ist am 15. September 1955 auf der Seite 3 der SZ erschienen.

Zweihundert Augenpaare hefteten sich mit lauernden und abschätzenden Blicken auf das Gesicht von Konrad Adenauer, als dieser am Mittwochmorgen um 8 Uhr und 10 Minuten den Sitzungssaal des Moskauer Luxushotels Sowjetskaja betrat. Es war Adenauers erster Auftritt vor der gemeinsam versammelten Presse des Westens und des Ostens.