Fußball-Sammelbilder

Das Kleben geht weiter

Jede Fußball-Ära hat das Sammelalbum, das sie verdient, das ist auch in der Pandemie nicht anders. Eine Zeitreise vom Ludenbart-Träger zum Model-Kicker.

Von Holger Gertz

11. Juni 2021 - 5 Min. Lesezeit

Der Sammelbilder-Verlag Panini hat seine Presseerklärung zur neuesten Stickerkollektion überschrieben mit dem Slogan „Aufleben beim Aufkleben“. Man muss diesen etwas großsprecherischen Reim im Sinnzusammenhang mit der verdammten Pandemie lesen, er bedeutet also, dass das Kleben in diesem Jahr ein anderes ist als sonst. Denn wer aktuell Fußballsammelbilder in ein Album einpflegt, ist in gewissem Sinn in der so lange herbeigesehnten Normalität wieder angekommen. Das aktuelle Sammelbilderalbum kann also angesehen werden als Beweis dafür, dass das Leben und natürlich auch das Kleben weitergeht, wider Erwarten. Denn dass es tatsächlich 2021 eine EM und damit ein EM-Album geben würde – wer hätte denn vor drei, vier Monaten höhere Summen darauf gewettet?

Vorne auf dem Cover des Albums prangt trotzdem eine große 2020, denn offiziell trägt die verschobene EM nicht die Zahl des Jahres, in dem sie stattfindet, sondern desjenigen, in dem sie hätte stattfinden sollen. Das Heft ist also gleichzeitig von gestern und von heute, schon das ist eine Kunst.

Die Pandemie spiegelt sich in den diesjährigen Sammelbildchen. Erstmals bei einer Europameisterschaft sind die Fußballer im Querformat statt als Hochkant-Porträt abgebildet, sie sehen also designtechnisch so ähnlich aus wie die Kicker in den Computerspielen, mit denen die Kids ihre Zeit verschwendet haben, in den endlosen Wochen der Pandemie. Betrachtet man die orange gehaltenen Bilder, erkennt man also die Fußballer und zugleich ihre digitalen Ebenbilder. Die kleinen Quadrate neben dem Porträt, Verbandswappen und Turnier-Emblem, könnten auch Apps sein. Die Sticker sind definitive Gegenwartsbilder, gerade das macht den Reiz der Beschäftigung mit Klebebildern grundsätzlich aus: zu sehen, wie sich die jeweilige Epoche in ihnen spiegelt.  

Panini, Marktführer im Business, ist berühmt geworden mit den Serien zu Bundesliga und Weltmeisterschaften, früher nur Männer, inzwischen genauso Frauen. Auch zu Europameisterschaften erscheinen Kollektionen, das erste Mal 1980, als das Turnier vor teils dreiviertel leeren Rängen in Italien ausgespielt wurde. Alles war viel kleiner als jetzt, der Event nur ein Eventchen. Aber es gab schon ein Maskottchen damals, Pinocchio mit einer Art Papierhut. Und es gab Sammelbilder, die mit dem Blick von heute tatsächlich vorsintflutlich, steinzeitartig aussehen.

Lockenköpfe und Ludenbärte und Eichhörnchenschwanz­koteletten; Charakterköpfe der Achtziger wie der belgische Torwart Theo Custers.

Heute sehen sämtliche Fußballer wie Models aus, damals hätte man sie sich auch als Hühnerzüchter vorstellen können oder als ewige Studenten, die ungewaschen und zigarettendrehend in der WG-Küche sitzen.

Andererseits gab es in Osteuropa damals noch die Galerie der Staatsamateure, zum Beispiel die Mannschaft aus der Tschechoslowakei. Feingliedrige und samtäugige Spieler, die Zdenek Nehoda hießen, Frantisek Stambachr und natürlich Antonin Panenka, der Elfmeterlupfer. Sie waren für das 80er-Album im Studio aufgenommen worden, vor einem einheitlich sandfarbenen Hintergrund, im einheitlich blauen Trainingsanzug.

Lockenköpfe und Ludenbärte und Eichhörnchenschwanz­koteletten; Charakterköpfe der Achtziger wie der belgische Torwart Theo Custers.

Heute sehen sämtliche Fußballer wie Models aus, damals hätte man sie sich auch als Hühnerzüchter vorstellen können oder als ewige Studenten, die ungewaschen und zigarettendrehend in der WG-Küche sitzen.

Andererseits gab es in Osteuropa damals noch die Galerie der Staatsamateure, zum Beispiel die Mannschaft aus der Tschechoslowakei. Feingliedrige und samtäugige Spieler, die Zdenek Nehoda hießen, Frantisek Stambachr und natürlich Antonin Panenka, der Elfmeterlupfer. Sie waren für das 80er-Album im Studio aufgenommen worden, vor einem einheitlich sandfarbenen Hintergrund, im einheitlich blauen Trainingsanzug.

Und auch wenn man sie nicht kannte, kannte man sie. Denn die Freundlichkeit und Sentimentalität in ihrem Blick schien einem vertraut zu sein von der Belegschaft des „Krankenhauses am Rande der Stadt“. Diese tschechische Arztserie mit Dr. Štrosmajer, Dr. Blažej und Dr. Cvach war damals, 1980, gerade im Ersten gelaufen, und womöglich hätte das Team der Tschechoslowakei bei der EM besser abgeschnitten, wenn eine Koryphäe wie der Fernsehmediziner Dr. Sova ihnen als Mannschaftsarzt zur Verfügung gestanden hätte.

Die Europameisterschafts-Alben waren immer auch Experimentierfelder, man probierte gestalterisch was aus. In der 84er-Variante war das Maskottchen, ein gallischer Hahn in Hose und Trikot, immer mit im Bild – diese Ehre wird dem Maskottchen 2021 gottlob nicht zuteil, es heißt Skillzy und sieht aus wie der einfallslose Bruder des einfallslosen Maskottchens von 2016, das Super Victor hieß. 1988: letztmals Ostblock-Atmosphäre, letztmals soldatisch angehauchte Porträts der Sowjet-Kandidaten wie Sergeij Rodionov. 

1992 dann: Sticker einer Mannschaft, die gar nicht dabei war. Siniša Mihajlović und seine Spielgefährten aus dem zerbrochenen Jugoslawien durften wegen einer UN-Resolution nicht mitspielen bei der EM in Schweden, da waren die Bilder aber längst in den Tüten.

2000 waren die Paninis grün umrahmt, 2004 dunkel unterlegt, das passte gut zum Trauerspiel der Deutschen zu jener Zeit. Immer wieder beeindruckend: die Trainer der Gegenwart in ihrer haarigen Vergangenheit als Spieler zu sehen.

Pep Guardiola (Spanien 2000) zum Beispiel.

Oder Peter Bosz (Niederlande 1992). Man erkennt sie fast nicht wieder.

Dagegen sah Lothar Matthäus immer aus wie Lothar Matthäus.

Pep Guardiola (Spanien 2000) zum Beispiel.

Oder Peter Bosz (Niederlande 1992). Man erkennt sie fast nicht wieder.

Dagegen sah Lothar Matthäus immer aus wie Lothar Matthäus.

Der Galerist Matthias Bullinger hat, in dem von ihm herausgegebenen Standardwerk „Gesammelte Helden“, die Geschichte aller Fußballbilder beschrieben. Sie werden gehortet, gehegt und gepflegt von Kindern, irgendwann während des Heranwachsens nimmt der Grad der Wertschätzung dann doch sehr ab. So werden die Alben weggeworfen, schreibt Bullinger, „oder sie wandern in die Schublade, wo sie mit Glück und, falls sie einmal zufällig in den Blick kommen sollten, mit einem Rest wehmütiger Wertschätzung überdauern können. Hat ein vergessenes Album die kritischen Jahre jedoch überstanden und wird es wieder entdeckt, kann ihm eine neue Bedeutung zuwachsen“.

Neuerdings auch eine materielle. Gerade kam die Meldung, dass der verstorbene Neurologe Thomas Newman aus Florida Baseball-Sammelbilder im Wert von 20 Millionen Dollar hinterlassen habe, allein eine Karte von Babe Ruth aus dem Jahr 1933 wird mit mehr als fünf Millionen Dollar bewertet. Die Preise für Sportmemorabilia gehen gerade durch die Decke, auch weil Sammler aus dem arabischen Raum auf den Geschmack gekommen sind.

So epochal sind die Wertsteigerungen bei den Panini-Fußballern nicht, aber bei raren Exemplaren trotzdem beachtlich. Der Diego-Maradona-Sticker aus dem WM-Album 1982 ist gerade bei Ebay für 343 Euro versteigert worden, das Bild der Kolumbianerin Natalia Ariza von der WM 2011 auch schon für 87 Euro.

Und, was Europameisterschaften angeht: Michel Platini, mitsamt dem Maskottchenhahn von 1984, brachte 161 Euro. Solche Einzelbilder sind manchmal wertvoller als komplett befüllte Alben.  

Und, was Europameisterschaften angeht: Michel Platini, mitsamt dem Maskottchenhahn von 1984, brachte 161 Euro. Solche Einzelbilder sind manchmal wertvoller als komplett befüllte Alben.  

Wer also Geld machen will mit seinen Klebebildern, der verwahre sie ungeklebt und mit unberührter Rückseite in einer Schachtel und setze sie niemals dem Sonnenlicht aus. Für alle anderen gilt mal wieder: Kleben und kleben lassen. 

Team

Text Holger Gertz
Fotos Friedrich Bungert; Panini
Digitales Storytelling Veronika Wulf