Willkommen in Monaco d'Italia

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Die Münchner fahren gerne in den Süden - wer aber nicht weg kann, genießt einfach vor der Haustür: Unzählige Orte in der Stadt erinnern an Italien. Eine Spurensuche.

Von Francesca Polistina (Text) und Robert Haas (Fotos)

Ein Stück Italien ist auch in München versteckt. In den Kunstsammlungen, Fassaden oder Brunnen, die vor allem aus der Zeit des Italienliebhabers König Ludwig I. stammen, oder in den zahlreichen Restaurants und Läden.

Zirka 30 000 Italiener und Italienerinnen leben heute quer über München verteilt. Es gibt nicht das eine italienische Viertel, sondern unzählige Ecken, wo das Land zu spüren ist. Meistens sind das Orte der Gastronomie, schließlich spielt das Essen im Land eine entscheidende Rolle, auch im gesellschaftlichen Miteinander.

So ist das etwa auch im kleinen, gemütlichen Feinkostladen „Der Sizilianer“ in Haidhausen, wo täglich zwei bis drei Mittagsgerichte angeboten werden, wovon eins immer Pasta ist. Oder im Eiscafé Italia am Roecklplatz, wo man das „Gefühl der Piazza“ wiederfindet, wie der Münchner Schriftsteller Daniel Speck findet.

Speck ist Autor des Romans „Bella Germania“, der von einer deutsch-italienischen Familie in drei Generationen handelt. Er hat in Italien gelebt und ist häufig dorthin gereist. Wenn er an Italien in München denkt, dann an die Trattoria Bussone der gleichnamigen Familie in Sendling – aber auch an seine Alfa-Romeo-Werkstatt. Allesamt Orte, die vielleicht nicht das ersehnte Flair verkörpern. Vielleicht, weil die Menschen keine Vespa fahren oder keinen Aperol-Spritz trinken.

Wobei das schon zu der Frage führt: Was genau bedeutet „italienisches Flair“? Viele Italiener könnten diese Frage vermutlich nicht beantworten, die Deutschen verstünden darunter etwa „die Lässigkeit, die Ästhetik, die Lebenskunst“, so der Autor. Kurzum: ein gern idealisierter Lifestyle. „Manche Deutsche wollen italienischer sein als die Italiener selbst“, sagt Speck, der gleich präzisiert: Das war nicht immer so. Nicht immer wurde der Süden zum Sehnsuchtsort hochstilisiert – erst recht nicht zu der Zeit der ersten Gastarbeiter. Dass selbst ein Laden wie Eataly 2015 am Viktualienmarkt eröffnen konnte, war bis vor einigen Jahrzehnten schlicht undenkbar.

Die Lebensmittelkette Eataly gilt für viele Münchner als der Inbegriff des italienischen Lifestyles: Die Lebensmittel sind hochwertig und fein eingepackt, das Sortiment gut ausgesucht, und dass man vom Personal mit einem lauten „Buongiorno!“ begrüßt wird, ist quasi das Sahnehäubchen auf der Torte (und hilft, die hohen Preise zu vergessen).

Der Leiter Michele Montemurro sagt, viele deutsche Kundinnen und Kunden besuchten Eataly, „um ein paar Stunden Italien zu erleben“. Sie suchen den Kontakt zu dem Personal, das fast ausschließlich italienisch ist, und bemühen sich, die Sprache zu sprechen.

40 Eataly-Läden gibt es weltweit, der in der Schrannenhalle war der erste in Europa außerhalb Italiens. „Wir wussten, dass in München eine große italienische Gemeinde lebt und dass die Bayern, insbesondere die Münchner, für Italien schwärmen“, so Montemurro. Die Schrannenhalle schien für das Unternehmer perfekt zu sein: ein wichtiger, historischer Ort, ursprünglich als Getreidehalle errichtet und mit dem Viktualienmarkt und der Altstadt gut verbunden.

Eataly ist das prominenteste Beispiel aus den vergangenen Jahren, die Geschichte der italienischen Gastronomie in München, die heute aus mehr als 500 Lokalen besteht, reicht aber länger zurück. Eine der ersten Gaststätten in der Stadt war die Osteria Italiana in der Maxvorstadt, die noch heute existiert. Gegründet wurde sie 1890 als „Osteria Bavaria“. Italienisch waren zunächst allerdings nur der Wein und die Fresken. „Die italienische Küche galt damals als ungesund, weil sie für die örtlichen Verhältnisse zu fleischarm war“, sagt Cecilia Mussini, erst im Laufe der Zeit habe sich die Wahrnehmung geändert.

Cecilia Mussini ist die Gründerin von „Monaco in Gita“, auf Deutsch „München auf Klassenfahrt“. Ihre Stadtführungen in der bayerischen Hauptstadt richten sich vor allem an italienische Schülerinnen und Schüler und reichen von der Geschichte über Kunst und Kultur bis hin zur Gastronomie. Wenn sie mit den Klassen unterwegs ist, dann führt sie sie auch an jene Orte, wo aber die Italienliebe am offenbarsten ist: in die Altstadt. Und da vor allem: zur Residenz.

Für die Erweiterungsarbeiten der Residenz beauftragte der bayerische König Ludwig I. den Architekten Leo von Klenze damit, den Königsbau am Max-Joseph-Platz zu errichten.

Es entstand eine Fassade, die nicht nur im toskanischen Stil erbaut ist, sondern quasi eine Kopie vom Palazzo Pitti in Florenz darstellt, dem Wohnort der Medici-Großherzöge.

Am Max-Joseph-Platz, gegenüber dem Königsbau, ist auch das Palais der ehemaligen Hauptpost zu sehen, das sich mit seinen Bögen und Säulen an dem florentinischen Ospedale degli Innocenti orientiert.

Am Odeonsplatz ist die Feldherrnhalle nach dem Vorbild der Loggia dei Lanzi auf der Piazza della Signoria erbaut.

Und am Königsplatz ist das Lenbachhaus zu besuchen, eine Villa im toskanischen Stil. Noch einmal Florenz also, noch einmal die Renaissance mit ihrer Wiederentdeckung der Antike.

Auch Spuren von Rom lassen sich in München wiederfinden, man denke an die Theatinerkirche, die an den römischen Barock erinnert, oder an das Siegestor, nach Vorbild des Konstantinsbogens gebaut. Oder von Turin, worauf Francesco Ziosi, Direktor des italienischen Kulturinstituts, hinweist. „Der vielleicht italienischste Ort in München, weil er der Anfang der Faszination für Italien darstellt, ist Nymphenburg“, sagt er.

Der Mittelbau des Schlosses Nymphenburg wurde nach dem Modell des piemontesischen Schlosses Venaria Reale gebaut, erst im Laufe der Zeit wurde Nymphenburg erweitert und an die französische Mode à la Versailles angepasst.

Ziosi lebt seit 2016 in München, das von ihm geleitete Institut an der Hermann-Schmid-Straße, nicht weit weg vom Goethe-Platz, ist für das kulturelle Leben der Italiener in München ein wichtiger Ort. Hier werden Bücher präsentiert und kulturelle Veranstaltungen organisiert. Es ist aber auch ein Ort, der von „der dunkelsten Seite der Geschichte“ erzählt, wie Ziosi sagt. Ursprünglich wurde das Gebäude 1931 als Casa degli italiani errichtet, finanziert von Mussolinis Regime, um die italienische Gemeinde in München, die schon damals erheblich war und vor allem aus Gemüse-Händlern oder Bauarbeiten aus Norditalien bestand, zu faschisieren. Während des Zweiten Weltkriegs wurde es zerstört und 1954 im Rahmen des deutsch-italienischen Kulturabkommens wieder aufgebaut.

Die Mussolini-Bezüge zu München sind ein trauriges Kapitel, aber eines, das nicht zu ignorieren ist. Cecilia Mussini beginnt ihre historischen Stadtführungen deshalb am Königsplatz, dem großen Aufmarschplatz der NS-Zeit, wo auch der „Duce“ empfangen wurde. Für Mussolini war München keine unwichtige Stadt: Es war zum Beispiel im Prinz-Carl-Palais, dass er in einer Rundfunkansprache 1943 die „Soziale Republik Italien“ im norditalienischen Salò ausrief und ein letztes Mal versuchte, an die Macht zurückzukehren. „Wenn man über die intensiven Beziehungen zwischen Italien und München spricht, darf man nicht die Dreißiger- und Vierzigerjahre vergessen“, sagt die promovierte Philologin.

Was Mussini meint: Die Freundschaft zwischen Italien und Deutschland ist nicht nur idyllisch, wie es das allegorische Gemälde von Friedrich Overbeck, das in der Neuen Pinakothek hängt und zwei einander zugeneigte Frauen zeigt, suggeriert. Die Italienromantik, die man auch in München in großen Mengen einatmet, ist ein schönes, aber manchmal aufgeblasenes Konstrukt.

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