Arbeit

Woher Münchens Pendler kommen

Millionen Menschen pendeln zur Arbeit. Und kaum eine Stadt zieht so viele Beschäftigte von außerhalb an wie München. Was lässt sich aus ihren Wegen lernen? Erkunden Sie es selbst.

Von Bernd Kramer

5. Dezember 2021 - 18 Min. Lesezeit

Die heikelste Zugfahrt ist für Wolfgang Menardi immer die, bei der er den Saal des Residenztheaters im Gepäck hat. Zerbrechliche Ware. Parkett, Ränge, Bühne, in einem großen Holzkasten originalgetreu nachgebaut, eine fein arrangierte Kulisse im Miniaturformat, eine Szenerie aus in Form geschnittenen und beklebten Schaumstoffplättchen, wie ein sorgsam eingerichtetes Puppenhaus. Das bald alles in Groß im Münchner Theatersaal stehen und strahlen soll.

Aber erst einmal muss der Entwurf 623 Schienenkilometer überleben.

Wolfgang Menardi ist Bühnenbildner, er lebt in Berlin, arbeitet im ganzen Land, eben erst war er in Kopenhagen, und seit Jahren ist er auch regelmäßig in München. Er bringt seine Miniaturkulissen zur Modellabnahme, kommt später ein weiteres Mal, bespricht sich mit der Werkstatt, bleibt einige Wochen in der Stadt, um die Proben zu begleiten. Hin und her und hin und her und her und hin. „Der Koffer“, sagt er, „ist im Prinzip mein zweites Zuhause.“

Willkommen in der Pendlerrepublik Deutschland. Es gibt Menschen, die brauchen so lange zur Arbeit, dass sie den Weg als eigene Station in ihrem Lebenslauf aufführen könnten. So wie Ulrike Hönig. In München steigt die gelernte Speditionskauffrau mit dem Laptop und zwei Taschen Morgen für Morgen in die U-Bahn und fährt raus nach Neufahrn. Abends zurück. Zweieinhalb Stunden. Jeden Tag. Seit 19 Jahren.

Und dann findet man in den unzähligen Pendlerströmen seltsame Geschichten wie die von Beáta Horváth und ihrem Mann Kristóf, Beschäftigte einer Geflügelschlachterei. Sie wohnen in einem kleinen Städtchen im Südwesten Mecklenburg-Vorpommerns. Ihr Pendelweg nach München würde acht Stunden mit der Bahn dauern. Sie brauchen nur ein paar Minuten.

19,6 Millionen Menschen in Deutschland, so zeigen es die Statistiken der Arbeitsagenturen, sind nicht an ihrem Wohnort beschäftigt – fast 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Angestellten zählen nach dieser Definition mittlerweile als Pendler, mehr als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Der Weg eines Durchschnittsberufstätigen von der Wohnung zur Arbeit wird wie ein Gummiband immer weiter auseinandergezogen: 8,7 Kilometer lang war er im Jahr 2000, schon mehr als zehn Kilometer waren es 2014, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zuletzt ermittelt hat. Mittlerweise ist er womöglich noch ein bisschen länger geworden.

Mehr Menschen pendeln, und nehmen immer weitere Wege in Kauf. Weil die hohen Mieten viele aus den Zentren treiben und zur Arbeit dann wieder dorthin zurück. Weil der Staat den Traum vom Haus im Grünen mit der Pendlerpauschale zumindest teilweise unterstützt. Weil Beschäftigte heute besser ausgebildet und ihre Berufe oft so spezialisiert sind, dass die passende Stelle nicht immer am Ort zu finden ist, in dem man gerade wohnt. Weil heute oft beide Partner erwerbstätig sind, aber selten auch beide in der Nähe Arbeit bekommen können.

Metropolen wie München mit vielen hochqualifizierten Arbeitsplätzen haben sich dabei zu regelrechten Pendlermagneten entwickelt, die zwischen neun und 17 Uhr Menschenmengen in Armeestärke aus dem Umland zu sich ziehen. Und ihre Kraft reicht noch weiter, bis in entfernte Winkel der Republik. Was pendeln bedeutet, lässt sich am Beispiel Münchens daher besonders eindringlich zeigen.

Laut den Daten der Bundesagentur für Arbeit waren 183 633 Münchnerinnen und Münchner im vergangenen Jahr außerhalb der Stadt beschäftigt, so wie Speditionskauffrau Ulrike Hönig. Der umgekehrte Weg ist aber weitaus häufiger: 411 399 Menschen kamen wie der Bühnenbildner Wolfgang Menardi von außerhalb zur Arbeit nach München. Kaum eine andere deutsche Großstadt zieht so viele Pendlerinnen und Pendler an. Fast 46 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Stellen Münchens (nur die werden in der Statistik erfasst) waren demnach mit Einpendlern oder Einpendlerinnen besetzt.

Es gibt Unterschiede zwischen den Pendlern und den Nicht-Pendlern. Was auffällt: Unter den Menschen, die zur Arbeit nach München kommen, sind mehr Männer.

Und der Männeranteil steigt mit dem Alter. Unter den jungen Pendelnden ist das Geschlechterverhältnis einigermaßen ausgeglichen. Je älter die Pendelnden aber sind, desto deutlicher überwiegen die Männer.

Es gibt Unterschiede zwischen den Pendlern und den Nicht-Pendlern. Was auffällt: Unter den Menschen, die zur Arbeit nach München kommen, sind mehr Männer.

Und der Männeranteil steigt mit dem Alter. Unter den jungen Pendelnden ist das Geschlechterverhältnis einigermaßen ausgeglichen. Je älter die Pendelnden aber sind, desto deutlicher überwiegen die Männer.

Dass Frauen seltener pendeln, hat verschiedene Gründe. Frauen arbeiten zum Beispiel häufiger in Berufen, die es in der breiten Fläche gibt – im Einzelhandel etwa oder im Gesundheitswesen. Ein Job als Sprechstundenhilfe oder Verkäuferin lässt sich oft um die Ecke finden, ohne lange Anfahrt. Auch die Rollenverteilung in der Familie dürfte einen Einfluss haben: Um den Nachwuchs kümmern sich in vielen Fällen weiterhin vor allem die Mütter – nur kann man schlecht, säße man 80 Kilometer entfernt in einem Büro, schnell mal eben zur Kita eilen und das kranke Kind abholen. Und obwohl heute sehr viel mehr Mütter berufstätig sind als früher, arbeiten sie häufiger als die Väter in Teilzeit. Wer setzt sich schon für eine Drei-Stunden-Schicht lange in den Zug?

Aufschlussreich ist aber nicht nur der Geschlechterunterschied. Aufschlussreich sind auch die Wege der Pendler.

Die Karte zeigt, woher die Menschen stammen, die zur Arbeit nach München kommen, die sogenannten Einpendler. Die meisten leben im unmittelbaren Umland, insgesamt 151 237 Menschen, ein gutes Drittel aller Einpendler. Je weiter der Weg wird, desto heller die Farbe, desto weniger Menschen kommen von dort zum Arbeiten nach München – mit einigen Ausnahmen, die wie dunkle Inseln herausstechen. Aus Berlin etwa pendeln mehr Berufstätige nach München als aus dem Kreis Miesbach, aus Hamburg mehr als aus Nürnberg.

In der umgekehrten Richtung sind, wie man schnell sieht, viel weniger Menschen unterwegs - München ist eben eine Einpendlerstadt. Die Auspendler (diejenigen also, die in München leben und außerhalb arbeiten) zieht es zum großen Teil, ebenso wie die Speditionskauffrau Hönig, in die unmittelbare Nähe. Oder in andere Metropolen.

Die Karte zeigt, woher die Menschen stammen, die zur Arbeit nach München kommen, die sogenannten Einpendler. Die meisten leben im unmittelbaren Umland, insgesamt 151 237 Menschen, ein gutes Drittel aller Einpendler. Je weiter der Weg wird, desto heller die Farbe, desto weniger Menschen kommen von dort zum Arbeiten nach München – mit einigen Ausnahmen, die wie dunkle Inseln herausstechen. Aus Berlin etwa pendeln mehr Berufstätige nach München als aus dem Kreis Miesbach, aus Hamburg mehr als aus Nürnberg.

In der umgekehrten Richtung sind, wie man schnell sieht, viel weniger Menschen unterwegs - München ist eben eine Einpendlerstadt. Die Auspendler (diejenigen also, die in München leben und außerhalb arbeiten) zieht es zum großen Teil, ebenso wie die Speditionskauffrau Hönig, in die unmittelbare Nähe. Oder in andere Metropolen.

Möchten Sie es genauer wissen?

Auf der folgenden Karte können Sie mit einem Klick auf die Landkreise und kreisfreien Städte die Pendlerbewegungen selbst erkunden – nach München und aus München heraus. Mit dem Schalter können Sie die Ansicht von den Einpendlern zu den Auspendlern umstellen.

Einpendler / Auspendler