München schnippelt

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Fast elf Wochen waren die Friseursalons zu, seit heute wird dort wieder gearbeitet. Ein Blick auf die Köpfe der ersten Kunden - vor und nach dem Schneiden und Färben.

Text: Julia Huber und Christina Kunkel, Fotos: Yoav Kedem

Wer eine Veränderung durchmacht, sucht sich eine neue Frisur aus. So heißt es oft. Vielleicht stehen die Menschen deshalb vor den Barbershops „Prinz“ und „Karisma“ in langen Schlangen die Müllerstraße entlang. Weil sie nicht nur die Löckchen hinter den Ohren loswerden wollen. Sondern weil sie auch diese ganze zähe Corona-Zeit hinter sich lassen wollen. Als könne man mit einer neuen Frisur auch einen neuen Abschnitt beginnen. Neue Haare, neuer Monat, neues Glück. In den Münchner Friseursalons „Dressler“ und „Pony und Kleid“ in Schwabing klingeln seit Wochen die Telefone. Alle wollen Termine – möglichst sofort. Den ganzen Tag über werden Anrufer fragen, ob man „sie nicht spontan dazwischenquetschen“ könne. Aber Quetschen und Corona-Zeit passen nicht zusammen.

Wer heute einen Haarschnitt bekommt, hat sich lang vorher darum gekümmert. Dementsprechend hatten die Kundinnen und Kunden viel Zeit, sich zu überlegen, was sie wollen. Manche wünschen sich Strähnchen, andere einen Pony oder eine Haarverlängerung. Eine Kundin hätte gern Pfirsich auf dem Kopf – eine Farbe irgendwo zwischen Pink und Orange. Die Allermeisten wollen einfach Normalität zurück. Also die Haarschnitte und Farben, die sie schon seit Jahren tragen. Eine Kundin, die immer knallrotes Haar trägt und lockdown-bedingt einen etwa vier Finger breiten braunen Ansatz hat, guckt sich im Spiegel an und sagt: „Oh Gott, seh ich krass aus.“ Ihre Kollegen seien nett zu ihr gewesen, hätten gesagt „Ist doch gar nicht so schlimm“, erzählt sie. Aber für sie war klar, dass sie zum Friseur muss, so schnell es geht. Sie will wieder Knallrot, sie will wieder die Alte sein. Im „Pony und Kleid“ häufen sich im Laufe des Tages nicht nur die Haarbüschel, sondern auch die Geschenke. Eine Kundin bringt Äpfel und Birnen vorbei. Eine andere hat Tulpen geschickt, eine Dritte Pralinen. Die Freude ist groß, dass sie endlich wieder da sind, die Friseure.

„Die Friseurbesuche haben mir brutal gefehlt“

Anja Bauer 

Sechs Monate sind Rekord. Ein unfreiwilliger Rekord. So lang hatte Anja Bauer jetzt dieselbe Haarfarbe. Sonst ging sie alle drei Monate zum Friseur „Pony und Kleid“ in Schwabing, jedes Mal kam sie mit einer neuen Haarfarbe raus. Bis zur großen Zwangspause. Erst brachte sie ihr Kind zur Welt, wollte während des Stillens nicht ihre Haare bleichen. Dann kam der Lockdown. „Die Friseurbesuche haben mir brutal gefehlt“, sagt sie. Jetzt ist endlich wieder Zeit für neue Farbe.

„Mensch, Gritl, wie siehst du denn aus?“  

David Gritl

Es ist ein fragwürdiges Zeichen, wenn man von seinem Friseur verarscht wird. „Mensch, Gritl, wie siehst du denn aus?“, ruft eine Friseurin im „Pony und Kleid“, als David Gritl ankommt. Dabei ist er gar nicht unzufrieden mit seiner Frisur. Jahrelang hat er seine Haare kurz getragen, jetzt will er sie lang lassen. Da kam der Lockdown gerade recht. Er wünscht sich „einmal nur die Spitzen, bitte“. Das Verwegene passt ganz gut zu seinem Job. Er versorgt Bars mit Jack-Daniel’s-Whiskey.

„Ein bisschen Auszeit, ein bisschen Wohlfühlen“

Tetyana Pirker

Zu ihrem ersten Friseurtermin nach dem Lockdown hat sich Tetyana Pirker extra ein schickes, langes Blümchenkleid angezogen. „Man hat ja gerade sonst keine Gelegenheit dazu“, sagt sie. Zwar bekommt sie diesmal gar keine große Verwandlung, lediglich die Spitzen soll Friseur Christian im Salon „Dressler“ schneiden. „Aber es geht ja auch ums Psychologische, ein bisschen Auszeit, ein bisschen Wohlfühlen.“ Und sie hat sogar eine eigene Kamera dabei, um das Ergebnis festzuhalten.

„Ego-Booster, wenn die Haare sitzen“

Dominik Wax

Für Dominik Wax war klar, dass er sofort einen Friseurtermin braucht. Denn er muss diese Woche ein wichtiges Referat an der Fachoberschule halten. Er hat ohnehin immer Lampenfieber – und dann noch mit Lockdown-Matte? Er erwischte den letzten freien Termin im Salon „Dressler“. „Man bekommt einen Ego-Booster, wenn die Haare sitzen“, sagt er. „Das macht schon einen Unterschied.“ Jetzt fehlt nur noch das Referat. Thema: Lassen sich Börsenkurse voraussagen? Antwort: Teilweise.

„So grau waren sie noch nie“

Suna Yalcin

„So grau waren sie noch nie“, lacht Suna Yalcin, bevor sie dreieinhalb Stunden mit Schere, Pinsel und Alufolien im Salon „Dressler“ eine Rundum-Behandlung auf dem Kopf bekommt. Ihr letzter Friseurbesuch war im August, eigentlich hatte sie für Dezember wieder einen Schnitttermin ausgemacht, „doch zwei Tage vorher kam der Lockdown.“ Deshalb stört es sie auch nicht, als die Friseurin beherzt die Schere ansetzt und kurz danach einen dicken, 15-Zentimeter langen Haarbüschel in der Hand hält.