Auszählen mit Atemmaske

München muss wegen der Corona-Krise Zwangsmaßnahmen ergreifen, um die Kommunalwahl durchführen zu können: Die Stadt verpflichtet kurzfristig Lehrkräfte, als Wahlhelfer mit anzupacken. Angst macht sich breit. 

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Von Julian Hans und Jakob Wetzel  

Es mischen sich auch ein paar Buhrufe unter die Lacher, als sich Oberbürgermeister Dieter Reiter am Sonntagnachmittag gegen 16 Uhr in der Messehalle A 3 an die Lehrer wendet: „Ich danke Ihnen allen, dass Sie freiwillig hergekommen sind, obwohl wir Sie gestern zwangsverpflichtet haben.“  

Die Zahl der Männer und Frauen, die hier Schlange stehen, um sich zu registrieren und eine Schnelleinweisung in ihre Aufgaben zu bekommen, dürfte nicht weit unter der kritischen Grenze von 1000 Personen liegen, die vergangene Woche als Maximum ausgegeben wurde für Veranstaltungen.

Wählen in Zeiten von Corona. Einige sind gleich mit Atemmaske und Gummihandschuhen hergekommen. Aber es sind vereinzelte, die in der Masse untergehen. Die Organisatoren haben Packen mit Handschuhen bereitgestellt, aber kaum jemand bedient sich.

Das Kreisverwaltungsreferat hatte vorweg in einem Rundschreiben an die Wahlhelfer informiert, man habe mit Virologen Rücksprache gehalten: Handschuhe vermittelten nur ein täuschendes Sicherheitsgefühl und würden zu lange getragen. Besser öfter die Hände waschen.

Damit die Kommunalwahl an diesem Sonntag überhaupt durchgeführt werden konnte, musste die Stadt kurzfristig noch Zwangsmaßnahmen ergreifen: Sie hat städtische Lehrkräfte noch am Samstag dazu verpflichtet, am Sonntag als Wahlhelfer mit anzupacken. „Alle dienstfähigen Beamtinnen und Beamten des Lehrdienstes“ der Stadt sollten als Briefwahlvorstände tätig werden, heißt es in einer Allgemeinverfügung, die Alexander Dietrich erlassen hat, der Personalreferent der Stadt.

Wegen des Coronavirus seien „zahlreiche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer ausgefallen“, die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl sei deshalb „akut gefährdet“.

„Wir hatten zahlreiche Absagen über die Hotline“, berichtet Thomas Böhle. Der Chef des Kreisverwaltungsreferats und Wahlleiter in München ist zusammen mit dem Oberbürgermeister in die Messehallen gekommen, um sich persönlich zu überzeugen, dass alles läuft.

Viele, die sich vorher freiwillig als Wahlhelfer gemeldet hatten, erklärten in der vergangenen Woche, sie seien in einem Risikogebiet gewesen, hätten Kontakt zu Corona-Verdachtsfällen gehabt oder seien anderweitig erkrankt. Überprüft haben die Organisatoren der Wahl das nicht, wozu auch: Wahlhelfer ist ein ehrenamtlicher Dienst an der Demokratie, es wird niemand bestraft, wenn er es sich anders überlegt.

Weil viele Bedenken hatten, in der großen Halle mit vielen anderen Personen über Stunden die Stimmzettel aus der Briefwahl auszuzählen, wurde von drei auf sechs Hallen erweitert.

An einer Tischgruppe sollen jeweils maximal zwölf Personen arbeiten, der Abstand zwischen den Gruppen wurde vergrößert.   

Aber jetzt, nachdem die Stadt kurzfristig 4000 Lehrer zusätzlich mobilisiert hat, drängen die sich erst einmal doch in einer großen Traube vor der Registrierung.

 Es sei schon ein bisschen widersprüchlich, sagt Marc Littig, der an einer Technikerschule Deutsch, Englisch und Betriebspsychologie unterrichtet: „Einerseits haben wir die Anweisung, uns ab kommender Woche höchstens noch zu dritt zu versammeln. Andererseits werden wir hier her beordert, um mit Hunderten anderen in einer Halle Stimmzettel auszuzählen.“ 

Die Leiterinnen und Leiter der städtischen Schulen erhielten diese Nachricht am Samstagnachmittag per Email, zum Teil auch per SMS. Littig erhielt die Mail seines Schulleiters am späten Samstagabend. Hätte er so tun sollen, als hätte er sie nicht gelesen? Eigentlich wollte er den Sonntag mit seiner Tochter verbringen, die ist jetzt am Nachmittag bei den Nachbarn.

Er verstehe, dass die Beamten nicht begeistert seien über die kurzfristige Mobilisierung, sagt Böhle. Aber nach den vielen Absagen wollte der Wahlleiter nicht riskieren, dass Wahlvorstände nicht beschlussfähig sind und sich die Bekanntgabe des Ergebnisses möglicherweise verzögere. Fünf Mitglieder braucht es für die Beschlussfähigkeit. Neun hatten die Organisatoren eigentlich eingeplant, vier als Puffer. Aber sicher ist sicher.

Ausnahmen gab es laut Verfügung dennoch nur für Mitglieder der Schulleitung oder von Krisenstäben sowie für Lehrkräfte, die wegen des Coronavirus bereits zu Hause bleiben mussten. Auch Lehrer an bereits in den vergangenen Tagen geschlossenen Schulen blieben außen vor.

Im Vergleich zur Kommunalwahl vor sechs Jahren entschieden sich in diesem Jahr mehr als 120 000 Menschen zusätzlich für die Briefwahl – möglicherweise wegen Corona. Wegen der Briefwähler ist auch die Wahlbeteiligung von Anfang an hoch – um 14 Uhr haben bereits 41,9 Prozent ihre Stimme abgegeben. 2014 waren es bis zur Schließung der Wahllokale 41,5 Prozent.

In den Wahllokalen lief derweil alles weitgehend ruhig ab. Einige Wahlhelfer trugen Gummihandschuhe, einige Wähler brachten ihre eigenen Stifte mit, wenige kamen mit Masken. In seinem Team hätten kurzfristig zwei Wahlhelfer abgesagt, berichtet Axel Sensche. Der Ingenieur ist Stellvertretender Wahlvorstand im Wahlbezirk 505.

Ausnahmsweise springt er deshalb zwischen zwei Aufgaben hin und her: Teilt die Wahlunterlagen aus und nimmt sie dann an den Urnen wieder entgegen. Aber das geht, der Andrang ist nicht so groß.