Blaue Bücher, rosa Bücher

Federleichte Feen und starke Piraten: Eine SZ-Datenrecherche zeigt, dass Kinderbücher immer noch voller Geschlechterklischees stecken.

16 Minuten Lesezeit

Von Katharina Brunner, Sabrina Ebitsch, Kathleen Hildebrand und Martina Schories

Fangen wir mit einem Jungen an, den viele kennen. Die Kinder, weil er bei ihnen im Regal steht. Die Eltern, weil er bei ihnen schon früher dort stand. „Da ist, erstens einmal, Emil selber.“ Erich Kästners Kinderbuchklassiker "Emil und die Detektive" erzählt von Emil Tischbein, vom geklauten Geld und von der Berliner Kinderbande, die ganz allein den gemeinen Dieb Grundeis stellt. Der Held dieser Geschichte ist ein Junge und Emils Bande besteht nur aus Jungs. Es kommt auch ein Mädchen vor, das Pony Hütchen heißt, Emils Cousine ist und am Abenteuer Diebesjagd so teilnimmt:

„Pony Hütchen radelte strahlend in den Hof (…), sprang aus dem Sattel, begrüßte Vetter Emil, den Professor und die übrigen und holte dann einen kleinen Korb, den sie an der Lenkstange festgebunden hatte. ‚Ich bring euch nämlich Kaffee mit‛, krähte sie, ‚und ein paar Buttersemmeln!‛“

Kaffee und Buttersemmeln statt Detektivarbeit also. Mädchen, das muss man daraus schließen, haben bei einem richtigen Abenteuer nichts verloren. Es sei denn, sie versorgen die Jungs. Klar: Emil und die Detektive ist 1928 erschienen, vor 90 Jahren. Aber Emil wird immer noch gelesen und vorgelesen.

Und wenn man sich heute in der Kinderabteilung von Buchhandlungen umsieht, scheint sich am Problem der getrennten Welten auch sonst wenig geändert zu haben. Denn in den Bücherregalen stehen sich Jungs und Mädchen auf den ersten Blick oft unversöhnlich gegenüber. Eine Seite rosa, eine blau, jeweils angeführt von Prinzessin Lillifee und Käpt’n Sharky. Die Frage ist: Stimmt das? 

Vermitteln die zarte, mit pinkfarbenen Blüten dekorierte Fee und der abenteuerlustige Pirat mit dem Hai als Markenzeichen den richtigen Eindruck? Oder ist der Buchmarkt für Kinder gar nicht so klischeebeladen, wie es Eltern allzu oft erscheint?

Um das herauszufinden, hat die Süddeutsche Zeitung den Katalog der größten Fachbibliothek für Kinderliteratur untersucht, die es im deutschsprachigen Raum gibt. Die Bibliothek für Jugendbuchforschung an der Universität Frankfurt am Main ist eine international renommierte wissenschaftliche Dokumentationsstelle. Hier wird, so die Vereinbarung mit Verlagen, das Gros der Neuerscheinungen gesammelt. Etwa 50 000 deutschsprachige Bilder-, Kinder- und Jugendbücher aus knapp 70 Jahren sind im Katalog der Bibliothek erfasst - und werden intensiv von den Bibliothekaren verschlagwortet.

Wir haben nicht jedes einzelne Buch inhaltlich analysiert, aber den Schlagwortkatalog systematisch ausgewertet. Schlagwörter - im Schnitt 20 pro Werk - funktionieren als schematische Hinweise, worum es in einem Buch geht. Zwei Beispiele, welche Begriffe dann etwa hinter Lillifee und Sharky stecken, sehen Sie hier: 

Adressat Mädchen Bilderbuch Einhorn Er-Erzählung Fantastische   Erzählung Fee / Protagonist Fühlbilderbuch Hilfe Königreich Magie Monografische Reihe Prinzessin Regenbogen Reiten Rettung Schwelle Verlust Zauberstein

Ab 3 Abenteuer Abenteuererzählung Bilderbuch Er-Erzählung Fabeltiere Gefahr Kapitän Kind Meer Männlicher Protagonist Schatz Schatzsuche Seeräuber Seeschifffahrt Tiefsee Unterwasserwelt

Die Schlagwörter dienen dazu, den inhaltlichen Horizont einzuordnen, das Spektrum der Themen, die in ihm verhandelt werden. Schlagwörter verhalten sich zu den Geschichten, die sie bezeichnen, wie die Zutaten eines Gerichts zum Essen, das wir mit ihnen kochen: Wir wissen nicht, wie es am Ende schmeckt, aber wir können aus den Zutaten ablesen, wie ausgewogen die Kost ist (mehr zur Methodik hier).

Um es vorwegzunehmen: Was Mädchen in der Tendenz vorgesetzt bekommen, ist eher einseitige Ernährung, zu süßlich, zu fad, zu kalorienarm. Denn gleichberechtigt sind Jungen und Mädchen in den Kinderbüchern allzu oft nicht. Und das ist ein Problem, denn Kinderbücher bilden, prägen, sozialisieren, erziehen mit. Und sie können die Welt verändern, zumindest die zwischen Kuscheltieren und Murmelbahn. Oder könnten.

Abenteuer für Jungs, Alltag für Mädchen

Denn das Problem sind nicht nur Feen und Piraten, nicht die pinkfarbenen oder matrosenblauen Einbände. Das eigentliche Problem liegt tiefer. Darauf weisen die Schlagwörter und die damit verbundenen Einblicke in die Inhalte der jeweiligen Bücher hin. In ihrer umfangreichen Datenbank vergibt die Bibliothek formale Schlagwörter wie „Ich-Erzählung“ oder „Männlicher Protagonist“ und inhaltliche wie „Reise“. Oder eben „Weiblicher Protagonist“ und „Verlieben“ oder „Schule“. So lassen sich Gemeinsamkeiten, inhaltliche Nähen zwischen einzelnen Geschichten aufspüren und Verbindungen aufzeigen - auch solche, die auf den ersten Blick gar nicht sichtbar gewesen wären.

Schaut man sich die Verbindungen zwischen den Schlagworten der Bibliothek näher an, treten Unterschiede zwischen den Geschlechtern hervor. Zum Beispiel sind die Schlagwörter „Abenteuer“ und „Abenteuererzählung“ wesentlich häufiger mit dem Schlagwort „Männlicher Protagonist“ verknüpft als mit „Weiblicher Protagonist“. Männliche Helden erleben unserer Analyse zufolge im Schnitt weit mehr als doppelt so viele Abenteuer wie ihre weiblichen Pendants. Und zwar nicht deshalb, weil die Bibliothekare traditionell weibliche Erlebniswelten wie die des Reiterhofs nicht als Ort für Abenteuer anerkennen würden. „Pferd“ und „Pony“ sind durchaus mit „Abenteuer“ verknüpft.

Das bedeutet: Jungen machen in Büchern tendenziell häufiger außergewöhnliche, spannende, auch gefährliche Erfahrungen.

Die Erlebniswelt von Mädchen dagegen - auch das zeigt die Schlagwortanalyse - kreist häufiger um Themen wie Tiere, Schule und Familie und verlässt damit die bekannte Alltagswelt weniger.

Zum Beispiel die omnipräsente Conni mit mittlerweile mehr als 100 Geschichten, in denen ihre Leser sie in den Kindergarten oder später in die Schule begleiten. Mal backt Conni Pfannkuchen, mal geht sie reiten. Meistens (nicht immer - gerade in den jüngeren Ausgaben scheint der Verlag neue Impulse zu setzen) macht sie all das mit Mama, weil Papa auf Arbeit ist. Wenn Mama sich den Fuß verletzt, hilft Conny ihr und macht das, was Mama sonst tun würde: kochen, staubwischen, staubsaugen.

Das ist Kinderalltag, deswegen ist die Conni-Reihe auch so beliebt. Eine Reihe, in der ein Junge staubsaugt und seiner Mutter - oder seinem Vater - im Haushalt hilft und in der es um nicht viel anderes geht, gibt es dagegen kaum. Connis männliche Altersgenossen spielen Fußball oder jagen Verbrecher. Bei den ebenfalls omnipräsenten „Drei ???“, die es auch in der „Kids“-Version für jüngere Leser gibt, geht es um „Fußballgötter“, „Schatzhöhlen“, „Laserfallen“ oder um die „Gruft der Piraten“. Darin müssen drei Jungs dem Geheimnis der Schiffswracks im Teufelsriff auf die Spur kommen und zu einer verborgenen Höhle tauchen. Das sind in der Tendenz grundlegend andere Erfahrungswelten als Reiterhof und Wohnzimmer. Mädchen spielen bei den „Drei ???“ kaum eine Rolle, Frauen nur - womit wir wieder bei Pony Hütchen wären -, wenn sie sich um die Verpflegung kümmern.

„‚Okay, jetzt müssen wir nur noch die Taschenlampe trocken rüberbekommen‘, sagte Justus und durchsuchte seinen Rucksack. ‚Wir könnten die Plastiktüte nehmen, in der Tante Mathilda uns die Brote eingepackt hat.‘ Er steckte die Taschenlampe und die Streichhölzer in die Tüte und machte oben einen Knoten hinein. Dann befestigten sie das Ende des Seils an einem Felsen. So konnten sie sich auf dem Rückweg daran entlanghangeln.“

Nun kann man sich fragen, ob es überhaupt eine Rolle spielt, ob mehr weibliche oder männliche Hauptfiguren Abenteuer erleben. Schließlich können sich auch Jungs in Mädchenfiguren hineinversetzen und umgekehrt. Doch die Kluft zwischen den Geschlechtern ist nicht nur Zahlenspielerei, sondern entscheidend. Weil die Figuren in Kinderbüchern den jungen Lesern Orientierung geben, weil sich Kinder mit den Figuren in ihren Büchern identifizieren (wollen), weil solche Rollenvorbilder nachweislich das Selbstbewusstsein stärken.

Wenn die Erlebniswelt der Figuren stark auf ihr Geschlecht hin zugeschnitten und damit eingeschränkt ist, werden Kindern nicht nur beim Lesen Erfahrungen und Möglichkeiten vorenthalten, sondern auch in ihrer Vorstellung von der Wirklichkeit. „Wenn immer süße Prinzessinnen oder tollkühne Helden abgebildet sind, hat das einen subjektivierenden Effekt auf die Kinder. Das ist dann in Ordnung, wenn sich Kinder ohnehin damit identifizieren können – aber wenn ein Mädchen nicht die süße Prinzessin sein, sondern Abenteuer erleben möchte, wirkt das einschränkend“, sagt Lars Burghardt, der an der Universität Bamberg zu Geschlechterrollen in Kinderbüchern forscht.

Umgekehrt gilt aber auch: Bücher wirken nicht nur in die gesellschaftliche Realität hinein, sondern bilden sie auch ab. Autoren und Verlage nehmen Einflüsse auf und verarbeiten sie in Geschichten. Gesellschaftliche und feministische Emanzipationsprozesse in den Sechziger- und Siebzigerjahren beispielsweise nahmen in den Kinderbüchern Gestalt an und machten die Kinderbuchwelt heterogener. Die Professorin Caroline Roeder, Leiterin des Zentrums für Literaturdidaktik Kinder Jugend Medien an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, sieht in jenen Dekaden einen „Knick“, was Erzählweise, Themen und auch die Figuren anbelangt: „In den Siebzigern hat sich die Mädchenliteratur emanzipiert, es stehen mehr weibliche Figuren im Mittelpunkt.“ Und in den Achtziger Jahren wurden es mehr, mit Figuren wie Matilda Wurmwald und Ronja Räubertochter beispielsweise. Ronja, die sich Druden und Graugnomen stellt und den Sprung über den Höllenschlund wagt, gerade weil Birk - erst Feind, dann Freund und außerdem ein Junge - es auch tut:

„Und sie tat es. Sie wusste selbst nicht recht, wie es zuging, aber plötzlich flog sie über den Höllenschlund und landete auf der andern Seite. ‚Du bist gar nicht so ungelenk‘, sagte Birk und sprang ihr sofort nach. Aber Ronja wartete nicht auf ihn. Mit einem neuen Sprung flog sie zurück über die Kluft. Da konnte er stehen und ihr nachglotzen, so viel er wollte!“

Aber die Galionsfiguren einer frauenbewegten Zeit reichten nicht, um einen Umsturz auf dem gesamten Buchmarkt anzuzetteln. Vielleicht waren Ronja und Co. ihrer Zeit voraus - das Pendel scheint nach ihnen jedenfalls wieder in die andere Richtung ausgeschlagen zu haben. „Die antiautoritäre Kinder- und Jugendbuchliteratur hat damals sehr bewusst versucht, die Rosa-Blau-Stereotype aufzubrechen. Heute gibt es wieder eine eher stärkere Ausrichtung nach Geschlechtern“, sagt Ralf Schweikart, Vorsitzender des Arbeitskreises Jugendliteratur, der auch den Deutschen Jugendbuchliteraturpreis organisiert.

Warum ist das so? Eine Erklärung liefert das sogenannte Gendermarketing, das auch Schweikart verstärkt beobachtet. Verlage haben offenbar erkannt, dass sich Bücher und alle möglichen und unmöglichen Produkte eben gut verkaufen lassen, wenn sie gezielt Jungen oder Mädchen ansprechen. Sie werden dabei mit einer Art Geschlechterstempel ausgewiesen, weil sie so noch leichter zielgruppenspezifisch an den Mann oder die Frau zu bringen sind. Profitinteressen treiben also das Rosa-Blau-Denken weiter voran.

Und pink für Mädchen und blau für Jungs ist mehr als ein Klischee, wie eine Farbanalyse der Cover von Bilder- bis Jugendbuch zeigt. Die Grafik zeigt die Farbunterschiede bei der Buchgestaltung, je nachdem ob die Protagonisten männlich oder weiblich sind. Bei weiblichen Helden gibt es also beispielsweise deutlich mehr pink- und lilafarbene Anteile, während bei Büchern mit männlichen Hauptfiguren im Unterschied klar Studie zu Geschlechterdarstellung in Bilderbüchern mit ähnlichen Befundenmehr Blautöne hervorstechenStudie zu Geschlechterdarstellung in Bilderbüchern mit ähnlichen Befunden

Jungs reisen, Mädchen reiten

Wie einengend solche Zuschreibungen sind, wird noch deutlicher, wenn wir in der Analyse näher heranzoomen - also nicht nur fragen, wie viele Abenteuer Mädchen und Jungs erleben, sondern auch was sie in den Geschichten erleben und wie die Abenteuer ausgestaltet sind.

Die schwarzen Punkte bilden ein Netzwerk aus Schlagwörtern von Abenteuerbüchern mit männlichen Protagonisten. Die Schlagwörter kommen bei mindestens zehn Büchern gemeinsam vor. Oder - um das Bild mit dem Essen aufzugreifen - sie zeigen die häufigsten Zutaten, die unseren Kindern vorgesetzt werden. Je größer der Punkt, desto häufiger die Zutat. Ganz vorne liegt das Motiv “Freundschaft”.

Wer mit diesen Begriffen eine Geschichte konstruiert, sieht zum Beispiel einen Jungen, der vor Hunderten Jahren um die Welt gereist ist und dabei mit seinen Freunden die größten Gefahren gemeistert hat.

Wer mit diesen Begriffen eine Geschichte konstruiert, sieht zum Beispiel einen Jungen, der vor Hunderten Jahren um die Welt gereist ist und dabei mit seinen Freunden die größten Gefahren gemeistert hat.

Sieht man sich nur die Linien dieses Netzwerkes an, fällt auf: Es gibt im Zentrum sehr viele eng verknüpfte Schlagworte. Das zeigt, wie vielfältig die Abenteuerwelt von Jungen ist.

Bei Mädchen dagegen ...

Sieht man sich nur die Linien dieses Netzwerkes an, fällt auf: Es gibt im Zentrum sehr viele eng verknüpfte Schlagworte. Das zeigt, wie vielfältig die Abenteuerwelt von Jungen ist.

Bei Mädchen dagegen ...

… ist das Netz deutlich dünner geknüpft. Mädchenabenteuer bieten also deutlich weniger Abwechslung.

… ist das Netz deutlich dünner geknüpft. Mädchenabenteuer bieten also deutlich weniger Abwechslung.

Auch bei den Mädchen ist Freundschaft das zentrale Motiv, aber sonst unterscheiden sich die Erlebniswelten sehr deutlich: Die Schlagwörter erzählen die Geschichte eines Mädchens, das ihre Abenteuer mit ihrer Familie in den Schulferien auf einem deutschen Reiterhof erlebt.

Auch bei den Mädchen ist Freundschaft das zentrale Motiv, aber sonst unterscheiden sich die Erlebniswelten sehr deutlich: Die Schlagwörter erzählen die Geschichte eines Mädchens, das ihre Abenteuer mit ihrer Familie in den Schulferien auf einem deutschen Reiterhof erlebt.

Die Rollenklischees werden also schon bedient, wenn wir uns die häufigsten Schlagworte anschauen. Richtig deutlich werden die Unterschiede, wenn wir noch einen weiteren Blickwinkel hinzunehmen. Welche Abenteuer erleben fast ausschließlich Mädchen? Das Ergebnis ist ein Netz von Klischees von Pony bis Prinzessin.

Die Rollenklischees werden also schon bedient, wenn wir uns die häufigsten Schlagworte anschauen. Richtig deutlich werden die Unterschiede, wenn wir noch einen weiteren Blickwinkel hinzunehmen. Welche Abenteuer erleben fast ausschließlich Mädchen? Das Ergebnis ist ein Netz von Klischees von Pony bis Prinzessin.

Dagegen finden sich viele für Jungs-Abenteuer typische Begriffe, gerade die, die auf Reisen in ferne Länder (“Asien”, “Afrika”) oder Geschichten in der Vergangenheit (“Indianer”, “Seeräuber”) hinweisen, bei vergleichbarer Mädchenliteratur kaum.

Die Schlagwörter, mit denen die Werke in der Bibliothek für Jugendbuchforschung charakterisiert werden sollen, entsprechen damit vielfach immer noch traditionellen Geschlechtervorstellungen. Wie immer gilt: Wir blicken aus der Vogelperspektive auf eine sehr große Menge Bücher aus verschiedenen Phasen und arbeiten Tendenzen heraus - natürlich und zum Glück gibt es auch noch etliche gute Bücher, die diesen Mustern nicht folgen (siehe Tool unten). Aber auch Zum Beispiel die Studie: "Gender Stereotyping and Under-representation of Female Characters in 200 Popular Children’s Picture Books: A Twenty-first Century Update"zahlreiche wissenschaftliche StudienZum Beispiel die Studie: "Gender Stereotyping and Under-representation of Female Characters in 200 Popular Children’s Picture Books: A Twenty-first Century Update" kommen zum selben Schluss: Die Darstellung der Figuren in Kinderbüchern, von den Fünfzigerjahren bis heute, folgt Geschlechterstereotypen - in Aussehen und Kleidung, aber auch in ihrem Erleben und Handeln. Also: Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder. Männer gehen in die Welt hinaus (oder zumindest ins Büro). Mädchen sind brav und verletzlich, Jungs abenteuerlustig und mutig. Das fängt bei tierischen Hauptfiguren im Kleinkindalter - wie Leo Lausemaus oder Bobo Siebenschläfer, die in Kinderzimmern immer noch sehr präsent sind - an, und hört bei Vorlesebüchern, die explizit “Für Jungs” und “Für Mädchen” etikettiert sind, nicht auf.

Das Problem kristallisiert sich noch deutlicher in der Grafik unten heraus. Sie zeigt Schlagwörter, die mindestens viermal in Abenteuerbüchern vergeben wurden - aber eben nur für weibliche beziehungsweise männliche Hauptfiguren. Um das anschaulich zu machen, haben wir aus den Schlagwörtern, die exklusiv für Bücher mit männlichen beziehungsweise weiblichen Hauptfiguren vergeben wurden, Wortwolken erzeugt.

Die Wolke bei den Jungs ist mit 297 Schlagwörtern, die exklusiv für Bücher mit männlichen Hauptfiguren vergeben wurden, nicht nur schlicht größer, die Bandbreite dessen, was ausschließlich männliche Protagonisten erleben (und weiblichen vorenthalten ist), ist damit auch umfangreicher.

 

Wir wissen damit nicht, was die Figuren im Detail erleben, wie der Autor sie sprachlich charakterisiert und welche Funktion sie dramaturgisch übernehmen. Wir kennen aber die Grenzsteine, innerhalb derer sich eine Geschichte bewegt und wir wissen anhand der exklusiven Schlagwörter, was dort eben nicht stattfindet. Also: Die Polarregionen, Ritterburgen („Tafelrunde“, „Raubritter“), Wikingerschiffe oder Gefahren auf See („Seesturm“, „Schiffsunfall“) beispielsweise sind nahezu ausschließlich Jungssache.

Es gibt einige Kinderbuchserien, die genau dieses Spektrum abdecken: In der Reihe „Die magische Insel“ gibt es dann beispielsweise „Verrat bei den Wikingern“ oder „Angriff der Piraten“. Die Serie „Codewort Risiko“ handelt nicht nur klassische Jungsthemen wie Piraten und Ritter ab, sondern setzt den Helden gleich in zwei Büchern Gefahren „im ewigen Eis“ aus, aber der Junge Nanuk entkommt sogar einem Eisbären:

„Der Eisbär hatte jedoch schon die Hälfte der Strecke zwischen ihnen zurückgelegt. Nanuk schob den Schlitten mit dem Fuß an. Er versuchte den Hunden so gut wie möglich zu helfen, aber der trommelnde Schlag der Bärentatzen kam näher und näher. Nanuk glaubte schon, den Atem des großen Raubtieres im Nacken zu spüren …“

Umgekehrt scheint es zumindest eine Domäne zu geben, die die Mädchen für sich haben: die Welt der Pferde, wie die Häufung von exklusiven Schlagwörtern wie „Reiterhof“ oder „Pferdepflege“ zeigt.

„Jungs tauchen in diesem Genre nur als Stallbursche auf, die dürfen Pferde mögen und angehimmelt werden, aber nicht reiten“, sagt Ralf Schweikart dazu. Und auch wenn Mädchen die Hauptfiguren in diesen vermeintlichen Abenteuergeschichten seien, würden sie in den Büchern nicht als stark charakterisiert, sondern es herrsche eine „Stereotypisierung wie anno dunnemals vor“. Die erfolgreiche Serie „Ponyherz“ beispielsweise kommt nicht ohne die zickigen Pferdemädchen und den fußballspielenden Jungen aus, der bei der Nachtwanderung in der weiblichen Aufregung einen kühlen Kopf behält.

„Anni drückt Lorenz‘ Arm ganz fest. ‚Oje … Was machen wir jetzt?‘ Lorenz zuckt mit den Achseln. ‚Ponyherz muss zurück nach Hause. Gleich heute Nacht. Ich könnte ihn mit Klaus bringen.‘“

Es scheint ja auch erst mal nur folgerichtig, dass die Schlagwörter den traditionellen Geschlechterzuschreibungen folgen: Die Verlage bedienen mit Wikinger und Piraten, Detektiven und Rittern, mit Pferden, Prinzessinnen und Schule ja schlicht die Interessen von Kindern. Gendermarketing wird betrieben, weil es funktioniert. Aber reicht das?

Kinderbücher spiegeln zum einen die Erfahrungswelten von Kindern und vorlesenden Erwachsenen und sollen das auch. Bestätigung ist eine wesentliche Funktion von kindgerechter Literatur - aber eben nur eine. Viele Bücher gehen darüber nicht hinaus und schreiben das Gegebene nachweislich fort, anstatt den kindlichen Horizont zu erweitern. Und das Familienbild von Conni hat mit der Lebenswirklichkeit der alleinerziehenden Mutter, die in Vollzeit als Programmiererin arbeitet, auch nicht viel zu tun.

„Gleichberechtigung ist ja nun wirklich kein neues Thema, aber wenn man in Bilderbücher schaut, geht es dort nicht so gleichberechtigt zu, wie wir es vielleicht gerne hätten“, sagt Kinderbuchforscher Lars Burghardt, der in einer Studie mit Florian Cristobal Klenk von der TU Darmstadt 6000 Kinderbuchfiguren auf Geschlechterdarstellung hin untersucht hat. Das ist insbesondere deswegen gefährlich, weil Bücher nicht nur Unterhaltung sind; sie helfen Kindern, sich die Welt zu erschließen - auch wenn es um Geschlechtervorstellungen geht. Dabei liegt ebenso nachweislich in Spielzeugen und Büchern jenseits der traditionellen Darstellungen die Chance, Klischees aufzubrechen.

Denn: Es geht - zumal heute - auch anders. Weibliche Hauptfiguren beispielsweise holen auf, insgesamt ist das Geschlechterverhältnis rein quantitativ schon annähernd ausgeglichen. Viele Verlage gehen gerade in jüngerer Zeit mit dem Thema Gendergerechtigkeit bewusster um. Es sei zwar kaum machbar, sagt Ralf Schweikart, „ein Mädchen feen- oder prinzessinnenlos zu erziehen. Aber es gibt immer die Möglichkeit, sich auch in der Kinderbuchliteratur außerhalb des Mainstreams zu bewegen und Bücher zu finden, die anders mit Genderthemen umgehen“. 

Wir wollen das mit diesem Tool erleichtern, in das nicht alle 50 000 Titel unserer Analyse eingeflossen sind, sondern die 344, die auf der Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises standen. Sie können so nach bestimmten Schlagwörtern filtern, die Ihnen interessant erscheinen, zum Beispiel wenn Sie für Ihre Patentochter ein Abenteuerbuch mit einer HeldIn suchen. In der Ergebnisliste wird Ihnen dann neben Titel, Autor und Jahr der Nominierung auch das Geschlecht der Hauptfiguren angezeigt (unter "andere" fallen etwa tierische Protagonisten oder solche, bei denen das Geschlecht uneindeutig ist). Und es zeigt sich, dass bei diesen Studie zu Rollenbildern bei nominierten Bilderbüchern preiswürdigen Büchern die GeschlechterstereotypeStudie zu Rollenbildern bei nominierten Bilderbüchern offenbar eine weniger große Rolle spielen: Beim Stichwort „Abenteuer“ beispielsweise sind zwar auch hier die männlichen Helden in der Überzahl, aber immerhin ist beim vermeintlichen Mädchenthema „Alltag“ das Geschlechterverhältnis ausgewogen.

Gender-Check für gute Bücher

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{{ stats.overall }} – mit folgenden Hauptfiguren:

{{ stats.male }} männlich {{ stats.female }} weiblich {{ stats.both }} männlich/weiblich {{ stats.other }} andere

Titel Autor Jahr
{{ book.title }} {{ book.author }} {{ book.jahr }}

In einem Fachartikel mit Kriterien empfehlenswerter Bücherguten Bücherregal oder im Idealfall in ein und demselben BuchFachartikel mit Kriterien empfehlenswerter Bücher stehen daher eben nicht nur Rückversicherungen, dass die Welt schon so in Ordnung ist, wie sie der Mehrheit erscheint. Sozusagen die Annika-Settergren-Seite des Kinderbuchmarkts. Sondern vertreten ist dort auch die Pippi-Langstrumpf-Seite: Irritationen, Visionen - eben das, was darüber hinaus noch denk- und machbar ist.

Rosa für Mädchen, blau für Jungs - weil das immer noch so ist und es in diesem Artikel um genau dieses Beharrungsvermögen von Geschlechterklischees geht, entspricht auch die Gestaltung der Grafiken der vertrauten Farbgebung - und den Ergebnissen unserer Recherchen. Weil es aber immer auch anders geht und gehen sollte, sind die Illustrationen (angelehnt an die bekannten Mix-Max-Bücher) bunt gemischt. 

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