Kunst und Corona

Wir setzen ein Zeichen

Egal ob Aids oder Mittelstreckenwaffen: Kunst kann mit Slogans und Symbolen sichtbar machen, was nicht alle wahrhaben wollen. Warum eigentlich nicht im Fall der Corona-Impfung?

Catrin Lorch
6. Dezember 2021 - 6 Min. Lesezeit

Es ist der zweite Winter, in dem Tausende Menschen an Covid-19 sterben. Immer noch drohen Lockdowns, Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen, Home-Office, Krankheit. Und Tod. Dabei hat sich die Mehrheit impfen lassen – und nur eine kleine Minderheit gehört zu den echten Impfgegnern. Viele Leute sind noch immer irgendwo dazwischen. Menschen, die sich nicht aufraffen, die abwarten, die wegschauen.

„Ignorance = Death“, dass es diese Ignoranz ist, die tötet, das war schon einmal die Erkenntnis. Es war einer der ersten Slogans, mit denen amerikanische Aktivisten das Schweigen um das HI-Virus aufbrachen, Anfang der Neunzigerjahre in New York. Wäre es jetzt nicht mal wieder dringend an der Zeit, öffentlich Stellung zu beziehen, im Alltag zu werben für Vernunft, für Wissenschaft und Aufklärung? Für Solidarität und Zusammengehörigkeit?

An Problembewusstsein und Engagement mangelte es nicht. Und gleichzeitig waren viele Künstlerinnen und Künstler selbst hart von der Pandemie betroffen, als Ausstellungen abgesagt und Galerien und Museen geschlossen wurden – und die Kinder dafür zum Homeschooling daheimblieben. Wolfgang Tillmans aber schaffte es beispielsweise, mit „2020 Solidarity“ eine Poster-Edition zugunsten von Plattenlabels, Clubs und Buchläden zu starten, und Stars wie Jeff Koons, Nicole Eisenman, Isa Genzken, Christopher Wool und Andreas Gursky steuerten Motive bei. Allerdings erreichte das nie den symbolischen Charakter der berühmten HIV-Schleife. Nun, wenn Prominenz nicht reicht, was dann?

Die Münchner Künstlerin und Designerin Ayzit Bostan hat für die Leserinnen und Leser des SZ-Feuilletons ein Logo entwickelt, ein Motiv für Plakate, Shirts und Basecaps: „PIEKS“. Der erste Entwurf zeigte die schlichten, modernen Versalien auf einem rosa Untergrund. Ein Appell, so knapp formuliert, so neutral und freundlich wie möglich. Bitte lasst euch impfen, sagt das Logo in einer Zeit, in der in Deutschland viel gestritten wird.

Die Münchner Künstlerin und Designerin Ayzit Bostan hat für die Leserinnen und Leser des SZ-Feuilletons ein Logo entwickelt, ein Motiv für Plakate, Shirts und Basecaps: „PIEKS“. Der erste Entwurf zeigte die schlichten, modernen Versalien auf einem rosa Untergrund. Ein Appell, so knapp formuliert, so neutral und freundlich wie möglich. Bitte lasst euch impfen, sagt das Logo in einer Zeit, in der in Deutschland viel gestritten wird.

Ayzit Bostan hat schon einmal einen Schriftzug verschenkt. Damals war es das von John Lennon und Yoko Ono geprägte „Imagine Peace“, das sie in arabischer Schrift auf T-Shirts druckte. Die geschwungene Zeile war im Winter des Jahres 2015 gratis im Internet zu laden – und landete so auch auf Sweatshirts, Einkaufstaschen und Kinderpullovern.

Ayzit Bostan, die in Kassel als Professorin Design textiler Produkte lehrt, hat das Wort „Internet“ auf Fußball-Fanschals gedruckt, mit den Umrissen von Wolken gespielt und dem Stern und dem Mond, aus denen die türkische Flagge zusammen gesetzt ist. Zuletzt verzierte sie T-Shirts mit dem Wort „Toll“, die so kuschelweich verzogen aussehen, als habe man das Shirt zu lange im Trockner gelassen.

Mit solchen Formeln und Motiven bezieht sich die in der Türkei geborene, in München lebende Gestalterin auf die aktivistischen Achtziger- und Neunzigerjahre, auf die Formeln und Motive der Schwulenbewegung und ihren Kampf gegen das Schweigen um das HI-Virus und die Krankheit Aids.

Mit solchen Formeln und Motiven bezieht sich die in der Türkei geborene, in München lebende Gestalterin auf die aktivistischen Achtziger- und Neunzigerjahre, auf die Formeln und Motive der Schwulenbewegung und ihren Kampf gegen das Schweigen um das HI-Virus und die Krankheit Aids.

„Bevor es Smartphones gab“, so erinnerte sich Avram Finkelstein, einer der Aktivisten aus dieser Zeit, „benutzten junge Leute die Straße, wenn sie kommunizieren wollten.“ Der New Yorker war in der Gegend zwischen dem East und dem West Village aufgewachsen, eine Kindheit zu Zeiten des Vietnamkrieges, in denen der Schulweg zugekleistert war mit Plakaten, Flugblättern, Deklarationen. Graffiti sowieso. „Aids war in dieser Hinsicht nichts anderes als Vietnam“, sagt Finkelstein, „Manifeste funktionieren nicht, Sätze gerade nur so. Was es brauchte, waren Slogans, kurze Phrasen in einfacher Sprache.“

Das von ihm 1987 mitbegründete Kollektiv „Silence = Death Project“ bestand dann aus sechs Grafikern, Designern, Aktivisten, die sich unter anderem auch von den Slogans und Motiven der Art Workers’ Coalition inspirieren ließen und den Guerilla Girls, einem Kollektiv anonymer, feministischer Künstlerinnen.

„Silence = Death“ entwarfen in einer Zeit, in der Aids auch unter Politikern noch als „Schwulenseuche“ galt und über Homosexualität öffentlich geschwiegen wurde, Begriffe wie „Aidsgate“ oder eben das so berühmte „Silence = Death“.

Ein Poster zeigte neben der Aussage, dass Blut an den Händen der gleichgültigen Reagan-Regierung klebe, eine schmierige rote Pranke.

Das von ihm 1987 mitbegründete Kollektiv „Silence = Death Project“ bestand dann aus sechs Grafikern, Designern, Aktivisten, die sich unter anderem auch von den Slogans und Motiven der Art Workers’ Coalition inspirieren ließen und den Guerilla Girls, einem Kollektiv anonymer, feministischer Künstlerinnen.

„Silence = Death“ entwarfen in einer Zeit, in der Aids auch unter Politikern noch als „Schwulenseuche“ galt und über Homosexualität öffentlich geschwiegen wurde, Begriffe wie „Aidsgate“ oder eben das so berühmte „Silence = Death“.

Ein Poster zeigte neben der Aussage, dass Blut an den Händen der gleichgültigen Reagan-Regierung klebe, eine schmierige rote Pranke.

Leben wir nun in einer Zeit, in der man der Politik pauschal ein „Covidgate“ vorwerfen muss? Oder dem Nachbarn? Ayzit Bostans Entwurf richtet sich mit einem pastellhellen Imperativ an alle, die ihn – hoffentlich – bemerken. Denn es waren solche Aktionen, die ständige Sichtbarkeit der Krankheit, die dazu beigetragen haben, dass die Bekämpfung von Aids kein Nischenthema mehr war, sondern zur Bewegung wurde.

Auch weil Künstler sich dem Kampf um Sichtbarkeit anschlossen, am prominentesten wohl Keith Haring, dessen künstlerisches Vokabular sich ohnehin aus dem Stil von Graffiti speiste. „Silence = Death“ hatten das rosa Dreieck gewählt, das auf die menschenverachtende Symbolik der deutschen Konzentrationslager des NS-Regimes anspielte – Haring nun erweiterte die bewusst schlichte, hoch aufgeladene Motivik um drastische, bunte, unübersehbare Bildwelten.

Unter den Schriftzug „Stop Aids“ malte Keith Haring zwei nackte Körper, die gemeinsam als zwei Klingen einer Schere eine fiese Schlange zerschneiden.

Die verzweifelte Feststellung „Running Out of Time“ illustrierte er mit einem orangeroten Zifferblatt, an dem einer hing wie der Gekreuzigte. Und die Buchstaben von „Ignorance = Fear“, „Safe Sex“ oder „Stop Aids“ wurden von Haring genauso leuchtend bunt ausgemalt wie glotzäugige Gesichter, Herzen und die markanten Schwänze der mit kräftigem Strich umrissenen Männchen.

Dass solche Motive nicht nur auf Plakaten zu sehen waren, auf Buttons oder Flugblättern, das war dann auch Katharine Hamnett zu verdanken. Ein Foto zeigt die britische Modemacherin bei einem Empfang mit der damaligen konservativen Premierministerin Margaret Thatcher. Der Politikerin in ihrem bodenlangen Samtkleid steht Katharine Hamnett in Chucks, weißen Leggings und einem ihrer übergroßen weißen Shirts gegenüber.

„58% don’t want Pershing“ steht in schwarzen Riesenlettern darauf, ein unübersehbarer Protest gegen die damals umstrittene Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa. „You clearly have a strong message“, soll die Premierministerin indigniert festgestellt haben, bevor sie für einen Moment in Schweigen verfiel.

Es war eine von Lynne Franks organisierte Ausstellung über Buddhismus, die Katharine Hamnett auf die Idee gebracht hatte: Wenn es der Kommunikationsstrategin und Aktivistin wirklich darum gehe, Formeln wie das buddhistische „Choose Life“ sichtbar zu machen, müsse man die in Riesenlettern auf T-Shirts drucken. Unübersehbar groß.

Hamnetts Typografie, Versalien in Schwarz auf Weiß, forderte zuletzt auch „Cancel Brexit“ und „Vote Trump Out“, ein Entwurf, der trotz der außergewöhnlichen Farbgestaltung im Rot-Weiß-Blau der Stars and Stripes in den USA keinen rechen Absatz fand. „Überhaupt sind derzeit kaum politische Shirts im Umlauf“, stellte die Designerin vor einiger Zeit in einem Gespräch fest.

Hamnetts Typografie, Versalien in Schwarz auf Weiß, forderte zuletzt auch „Cancel Brexit“ und „Vote Trump Out“, ein Entwurf, der trotz der außergewöhnlichen Farbgestaltung im Rot-Weiß-Blau der Stars and Stripes in den USA keinen rechen Absatz fand. „Überhaupt sind derzeit kaum politische Shirts im Umlauf“, stellte die Designerin vor einiger Zeit in einem Gespräch fest.

Viele der Shirts von Keith Haring oder „Silence = Death Project“ werden inzwischen von Sammlern im Internet gehandelt, wo aber vor allem das eleganteste Hemd des historischen Aids-Protests ordentliche Preise erzielt: Seit der Herbst/Winter-Saison 1994/95 werden im Studio des belgischen Modemachers Martin Margiela zu jeder Saison T-Shirts bemalt, angeblich durften lange die neu eingestellten Assistenten jeweils eine Farbkombination bestimmen. Ein Teil der Einnahmen ging anfangs direkt an die Elton John Aids Foundation, inzwischen unterstützt man die französische Aids-Stiftung.

Das aktuelle Modell ist hellrot, die Schrift dunkelrot aufgedruckt, ein Teil des emblematischen Satzes ist auf den Saum gerutscht. „Es gibt mehr zu tun, um Aids zu bekämpfen, als ein T-Shirt zu tragen“, steht da auf Englisch, „aber es ist ein guter Anfang.“

Für alle, die ein Zeichen fürs Impfen in der Pandemie setzen wollen, stellt Ayzit Bostan ihren Entwurf hier zum Download zur Verfügung, in Schwarz-Weiß und Pink. Er lässt sich auf Shirts, Caps und anderes drucken oder in den Netzwerken posten, #pieks.

Team

Text Catrin Lorch
Digitales Storytelling Elisabeth Gamperl, Kathrin Müller-Lancé