Wie wird auf Facebook Politik gemacht?

Beim Facebook-#wahlfilter versuchen wir, Einblick in die Algorithmen der größten Social-Media-Plattform zu bekommen: Welche Inhalte spielen die Computerprogramme bestimmten soziodemografischen Gruppen aus? Welche Posts werden ihnen angezeigt, welche Gruppen zum Beitritt vorgeschlagen? Und welche Werbeanzeigen landen in den Feeds welcher Nutzer? Der Facebook-#wahlfilter, bei dem die SZ mit dem US-amerikanischen Recherchekollektiv The Markup kooperiert, startet im Juli und läuft bis kurz vor der Bundestagswahl am 26. September.

Ein ähnlich gelagertes Projekt, der Instagram-#wahlfilter, ist im April in Kooperation mit der gemeinnützigen Organisation Algorithm Watch gestartet. Bei dieser Recherche, die wir gemeinsam mit Datenspenderinnen und -spendern in einer Crowdsourcing-Aktion unternehmen, wollen wir herausfinden, inwieweit der Instagram-Feed der jeweiligen Nutzer durch Algorithmen beeinflusst ist. Hier ist die Datensammlung inzwischen beendet und wir beginnen mit der Analyse - ein großes Dankeschön an alle Datenspenderinnen und -spender. Auch in diesem Projekt wollen wir in den Wochen und Monaten vor der Wahl mehr darüber in Erfahrung bringen, was je nach persönlichen Präferenzen in den Newsfeeds auftaucht und was nicht.

Facebook gibt unter Berufung auf das Betriebsgeheimnis keine Details zu seinen Algorithmen bekannt – zum Teil ist das nachvollziehbar, denn dann ließen sich diese Programme leichter manipulieren. Doch aus zivilgesellschaftlicher Sicht ist es problematisch: Denn diese Programme sind extrem intransparent, haben aber einen großen Einfluss auf die Inhalte, die uns angezeigt werden.

Wir wissen nicht, warum beispielsweise verschwörungsideologische Posts viral gehen; wieso der eine Nutzer die Grafik von Gesundheitsminister Jens Spahn zum Impffortschritt angezeigt bekommt und der andere nicht; ob – zugespitzt formuliert - männlichen Wählern aus ländlichen Regionen im Osten eher Inhalte der AfD oder von Querdenkern begegnen und Wählerinnen in München, Stuttgart und Hamburg eher die der Grünen; welche Posts Facebook pusht und welche anderen womöglich ausgebremst werden.

Facebook selbst gestaltet mittels Regeln und Algorithmen die Welt, die uns auf Facebook präsentiert wird, massiv mit – und das hat möglicherweise auch Einfluss auf unser Wahlverhalten. Wir wollen daher genauer hinschauen und mit einem experimentellen Aufbau versuchen, besser zu verstehen, warum bestimmte Inhalte bestimmten Nutzergruppen angezeigt werden.

Unser Kooperationspartner The Markup, ein gemeinnütziges journalistisches Recherchekollektiv, hat in den USA Ende 2020 den Citizen Browser gestartet. The Markup hat eigens dafür eine gleichnamige App entwickelt, die mit Einverständnis von etwa 1000 Nutzerinnen mit ganz verschiedenen demografischen Hintergründen Daten aus ihren Feeds einsammelt.

Dieses Konzept wollen The Markup und die SZ im Vorfeld der Wahl auf Deutschland übertragen, die SZ-Redaktion ist dabei exklusiver Partner für Recherche, Datenanalyse und Veröffentlichung. Analog zum US-amerikanischen Projekt konnten etwa 1000 deutsche Facebook-Mitglieder gewonnen werden, die repräsentativ entsprechend der Bevölkerung in Deutschland beispielsweise nach Geschlecht, Alter und politischen Präferenzen zusammengestellt wurden. Auch sie haben sich die App installiert, die mehrmals am Tag im Hintergrund die Facebookseite der Nutzerinnen öffnet, Informationen daraus speichert und verschlüsselt an Server von The Markup sendet.

Dabei werden keinesfalls die personenbezogenen Daten der Nutzer, ihrer Kontakte, ihre eigenen Nachrichten oder Informationen zu ihrem Nutzungsverhalten gesammelt, sondern lediglich die zu sichtbaren öffentlichen Posts, Gruppen oder Werbeanzeigen. Wir erhoffen uns auf diese Weise Erkenntnisse darüber, welche der Posts, Anzeigen oder Bilder bei wem ankommen – also welche Zusammenhänge es zwischen Inhalten und demografischen Merkmalen gibt.

Die Datenerhebung beginnt mit Projektstart im Juli. Sobald eine ausreichende Datenbasis vorhanden ist, geht es an die Analyse, mit der sukzessive die beschriebenen Fragestellungen beantwortet werden sollen. Im Anschluss werden die Erkenntnisse für unsere Leserinnen und Leser aufbereitet. Wir planen derzeit, dass wir nach Möglichkeit im August erste Zwischenstände, im September dann in einem Themenschwerpunkt vor der Wahl über die Ergebnisse berichten können.

Der Schutz der Daten und die Privatsphäre der Nutzer stehen im Zentrum des Projekts. Alle persönlichen Daten werden verschlüsselt und automatisch gelöscht, ohne dass ein Mensch darauf zugreifen kann und sie je zu sehen bekommt. In die Auswertung fließen nur anonymisierte und aggregierte Daten ein. Dass der Prozess so funktioniert, wurde The Markup durch ein unabhängiges Sicherheits-Audit bestätigt und hat sich in der bisherigen, mehrmonatigen Laufzeit des Projekts in den USA erwiesen. Da das Projekt nun auch in Deutschland stattfindet, unterliegen die technischen Prozesse wie auch die datenanalytische und journalistische Auswertungsarbeit der Datenschutz-Grundverordnung (DSVGO); dass deren Regeln eingehalten werden, wurde juristisch überprüft und vertraglich abgesichert. Die SZ erhebt und verarbeitet dabei im Rahmen der Analyse keine persönlichen Daten der Teilnehmer, sondern erhält lediglich vollständig anonymisierte Daten zur Auswertung. An Dritte werden die Daten nicht weitergegeben.