Transparenz-Blog

Hinter den Schlagzeilen

SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach erklärt, warum es jetzt einen Film gibt, der die eigentlich sehr verschwiegene investigative journalistische Arbeit der SZ begleitet.

Wolfgang Krach, SZ-Chefredakteur

7. Juni 2021 - 5 Min. Lesezeit

Redaktionen sind gemeinhin verschlossene Wesen. Sie arbeiten gerne im Stillen, im Verborgenen und lassen andere nicht hineinblicken in ihren Alltag. Das hat, auch, mit Selbstschutz zu tun. Wer weiß, wie eine Redaktion arbeitet, wie die Abläufe im Einzelnen sind, wer wann worüber entscheidet (meist nicht die Chefredakteurin oder der Chefredakteur), kann leichter Einfluss nehmen von außen. Und solche Einflussnahme können Journalistinnen und Journalisten nicht leiden – und auch nicht brauchen. Denn die wichtigste Voraussetzung, um guten Journalismus machen zu können, ist Unabhängigkeit.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum Redaktionen verschlossen sein müssen; es ist der Schutz ihrer Quellen. Die Süddeutsche Zeitung hätte viele Geschichten niemals recherchieren, schreiben und veröffentlichen können, wenn wir nicht diejenigen, die uns Informationen gegeben haben, geschützt und ihre Identität für uns behalten hätten. Niemand, kein Leser, kein Staatsanwalt, kein Behördenchef, kein Politiker erfährt von uns, wer uns etwas anvertraut hat, wenn die betreffende Person das nicht will. Oft wäre sonst deren Sicherheit, manchmal sogar das Leben, gefährdet.

Die Panama Papers beispielsweise, welche die SZ im April 2016 zusammen mit Partnern weltweit veröffentlicht hat und die dazu führten, Steuerhinterziehung, Geldwäsche und andere schwere Straftaten offenzulegen, hätten nie publiziert werden können, wenn wir unsere Quelle nicht geheim gehalten hätten.  

Trotzdem ist nun ein Film erschienen („Hinter den Schlagzeilen“), der einen Einblick zulässt in die Arbeit der SZ-Redaktion, konkret in die Recherche der „Ibiza-Affäre“. Etliche Leserinnen und Leser finden das gut, wollen aber wissen, warum wir uns, entgegen unserer sonstigen Zurückhaltung, darauf eingelassen haben.

Ein paar Monate nach der Veröffentlichung der Panama Papers meldeten sich im Herbst 2016 der Produzent Marc Bauder und Regisseur Daniel Sager. Sie würden gerne einen Film drehen darüber, wie solche Recherchen laufen: Wie und warum Informanten sich melden, wie die Redaktion versucht, Angaben zu überprüfen und zu verifizieren, wie viele Leute hieran beteiligt sind, welche Abwägungen stattfinden, und wie Entscheidungen getroffen werden?

Wir waren skeptisch, erbaten Bedenkzeit und tendierten erst mal zu „Nein“. Doch die Filmemacher waren nicht nur hartnäckig, sondern erweckten den Eindruck, sich ernsthaft für unsere Arbeit zu interessieren und verstehen zu wollen, wie investigativer Journalismus funktioniert. So sagten wir, nach teils kontroversen internen Diskussionen, am Ende zu.

Warum?

Als Redaktion der Süddeutschen Zeitung beobachten wir jeden Tag, dass viele Menschen Meinungen, Urteile und Vorurteile über Journalistinnen und Journalisten äußern, ohne jedoch wirklich zu wissen, wie wir arbeiten. Wir spüren bei vielen unserer Leserinnen und Leser großes Vertrauen, bei manchen aber auch Skepsis und Misstrauen. Dieses halten wir selbst zwar für ungerechtfertigt, das Misstrauen ist aber nun mal da. Wir wissen, wie viel Mühe wir uns jeden Tag machen beim Überprüfen von Informationen. Und wir wissen, wie schwierig und langwierig es sein kann, große investigative Geschichten zu recherchieren – seien es die Panama Papers, die China Cables oder eben das Ibiza-Video.

Natürlich können wir all dies unseren Leserinnen und Lesern selbst erklären. Wir können uns von ihnen fragen lassen und versuchen, Antworten zu geben. Anders als früher, sind wir nicht mehr ganz so verschlossen, sondern öffnen uns, den oben geschilderten Bedenken zum Trotz. Dass wir diesen „Transparenz-Blog“ eingeführt haben, ist ein Teil dieses Prozesses.

Als Marc Bauder und Daniel Sager mit der Film-Idee auf uns zukamen, fanden wir es – beim zweiten oder dritten Nachdenken – am Ende interessant, nicht selbst unsere Arbeit erklären zu müssen, sondern uns dabei beobachten zu lassen. Wir wussten zu Beginn nicht, was sie sehen und wie sie das Gesehene verarbeiten würden. Aber wir fanden es gut, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer des Films und damit auch die Leserinnen und Leser der SZ die Chance bekommen sollten, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Etwa ein Jahr nach dem ersten Kontakt kamen Bauder und Sager erstmals in die Redaktion. Wir verständigten uns auf Regeln. Klar war, dass die Redaktion jederzeit die Möglichkeit haben müsse, das Filmteam bei Gesprächen (etwa mit Informanten) oder Recherchen nicht dabei zu haben. Wir mussten jede Offenlegung von Quellen ausschließen. Am Ende dürfe der Film nichts zeigen, was laufende oder künftige Recherchen gefährde.

Die Vereinbarung erforderte von beiden Seiten, von der Redaktion wie vom Filmteam, Fingerspitzengefühl, Vertrauen, Offenheit und Rücksicht. Es war eine Gratwanderung. Wir mussten dem Regisseur die Freiheit lassen, Szenen zu zeigen, die uns vielleicht nicht gefallen. Und er musste uns die Freiheit zugestehen, entscheiden zu können, wann die Kamera ausgeschaltet bleiben muss. Am Ende haben wir uns zusammengerauft, was mal für uns, mal für das Filmteam schwieriger war.

Als für Regisseur Sager, Kameramann Börres Weiffenbach und Tonmeister Frank Schubert der erste Drehtag im SZ-Hochhaus begann, war völlig unklar, ob aus dem Film überhaupt je etwas werden könnte. Wir wussten ja selbst nicht, ob es Recherchen geben würde, bei denen es sich lohnt, diese mit der Kamera zu begleiten. Dass wir während der Dreharbeiten, im Frühjahr 2019, das Ibiza-Video bekommen würden, das zum Sturz der österreichischen Bundesregierung führte, war damals nicht abzusehen.

Ein Urteil über den Film können und wollen wir nicht fällen; wir sind befangen. Doch wichtig ist vielleicht noch eines: Er zeigt nur einen Ausschnitt aus unserem journalistischen Alltag. Die investigative Recherche ist ein Teil, ein sehr wichtiger sogar, unserer Arbeit. Doch neben den Kolleginnen und Kollegen dort im Ressort recherchieren, schreiben und produzieren jeden Tag viele hundert Redakteurinnen und Redakteure von Thalkirchen bis Tokio, von Wolfratshausen bis Warschau, in München, Berlin, Brüssel und an vielen anderen Plätzen der Welt, um die Süddeutsche Zeitung jeden Tag so bunt und vielfältig, so ernsthaft und unterhaltsam gestalten zu können, wie Sie als Leserin, als Leser das erwarten.

Wenn Sie „Hinter den Schlagzeilen“ sehen und mehr über die Arbeit der SZ erfahren wollen, können Sie den Film am 9. Juni, 19 Uhr ansehen. Anmeldung unter sz.de/hinterdenschlagzeilen.

Team

Digitales Design: Lea Gardner
Illustration: Bernd Schifferdecker